7 Prozent plusminus

publiziert: Montag, 1. Dez 2014 / 09:15 Uhr
Xi Jinping: Über sich hinausgewachsen.
Xi Jinping: Über sich hinausgewachsen.

Harte Landung? Weiche Landung? Immobilienblase? In der Falle des mittleren Einkommens? Das ganze Jahr über zerbrachen sich westliche Ökonomen die Köpfe. Die chinesische Führung liess sich nicht beirren. Das Resultat kann sich sehen lassen.

7 Meldungen im Zusammenhang
Wie immer, wenn es in den letzten 35 Jahren um Chinas Wirtschaftreform ging, hatten westliche Untergangspropheten ein gewichtiges Wort mitzureden. Doch Chinas rote Mandarine mussten irgendetwas richtig gemacht haben, sonst wäre Chinas Volkswirtschaft nicht dort, wo sie sich heute befindet. Den Chinesinnen und Chinesen geht es heute so gut, wie noch nie in ihrer jahrtausendealten Geschichte. Lehrreich und gut ist es, sich in Kommentare westlicher Qualitätsblätter der letzten drei Jahrzehnte zu vertiefen. Die Krise, der Untergang war nach Meinung der neunmalklugen Kolumnisten immer nur eine Frage der Zeit.

Gewiss, es gab Schwierigkeiten. Die kapitale Krise jedoch ist nicht eingetreten. Ein, zwei Schritte zurück vom kulturellen Eurozentrismus wären wohl bei der Analyse hilfreich gewesen. Die westliche Konvergenztheorie zum Beispiel funktionierte in China nicht, d.h. das automatische Einsetzen von Demokratie bei wirtschaftlich schnellem Wachstum. Und noch bis vor einem Jahrzehnt war vielen in Europa - nicht aber in den Pazifikstaaten USA oder Kanada - nicht klar, dass sich das wirtschaftliche und politischen Zentrum vom Atlantik in den Pazifik verlagert hatte. Europa und Amerika sind zwar noch längst nicht alte Geschichte. Dennoch müssten sich Politiker und Politikerinnen im Westen und mithin auch der Schweiz langsam fragen, warum denn China im Augenblick einen offensichtlichen Vorteil hat.

Die Antwort, wenn man sie hören will, ist relativ einfach. Chinesische Politiker können es sich leisten, langfristig und strategisch zu denken. Die müssen sich nicht alle paar Jahre den Wählern stellen. Der seit zwei Jahren amtierende und beim Volks bereits sehr beliebte Staats- und Parteichef Xin Jinping zum Beispiel wird bis ins Jahr 2022 regieren. Politiker und Politikerinnen im Westen kommen nicht darum herum sich zu fragen, ob denn der permanente Wahlkampf nicht kontraproduktiv ist. Auch und gerade in der Schweiz. Ähnlich wie in China derzeit ein neues ökonomisches Modell gefragt ist, wäre im Westen ein neues politisches Modell überlebenswichtig. Auf der Grundlage der grossen Vorteile, wie zum Beispiel Rechtsstaat, Transparenz, Demokratie. Chinesische Bekannte allerdings, die in Amerika oder Europa studiert haben, sagen mir oft, dass die westliche Demokratie à la USA oder Italien oder Frankreich oder Spanien nun tatsächlich nicht ein Modell für China sein könne....

Die harten Fakten in der «sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung» sprechen jenseits aller Theorien auch am Ende des laufenden Jahres für eine solide Leistung, freilich bei zusehends abnehmendem Wachstum. Die Zentralbank - die unter der Ägide von Partei und Regierung stehende Volksbank - hat deshalb mit einer Zinssenkung in der zweiten Hälfte November dem Markt eine Lockerung der Geldpolitik signalisiert. Ein allzugrosser Einbruch des chinesischen Wachstums werde nicht tatenlos akzeptiert. Das anvisierte aktuelle Wachstumsziel: sieben Prozentpunkte plusminus. Nach Berechnungen chinesischer Ökonomen braucht es ein Wachstums des Brutto-Inlandprodukts von mindestens sechs bis sieben Prozent, um die jährlich rund zehn Millionen neuen Arbeitsplätze zu schaffen. Andere Ökonomen sehen sogar eine mögliche Bandbreite von fünf bis sieben Prozent. Ob das wirklich zutrifft, bezweifeln einige chinesische Wirtschaftswissenschafter mit dem Hinweis, dass noch vor zehn Jahren offiziell acht Prozent Wachstum das absolute Minimum zur Schaffung von Millionen von neuen Arbeitsplätzen darstellten.

Wie immer, im Augenblick wird von der chinesischen Regierung der Hebel der Geldpolitik verwendet, um das Wachstum in der geplanten Grössenordnung zu halten. Was für ein Unterschied zu den Jahren der westlichen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09, als China am Rande einer Rezession mit einer kapitalen Finanzspritze von 560 Milliarden US-Dollar der kränkelnde chinesischen Volkswirtschaft wieder auf die Sprünge half. Heute ist natürlich der Spielraum für geldpolitische Impulse weit grösser als damals, um dem globalen zyklischen Ungleichgewicht erfolgreich die Stirne zu bieten. Im Gegensatz zu Europa, das das geldpolitische Pulver schon längst und ohne Not verschossen hat,

Chinas Wirtschaft steht denn seit Amtsantritt von Staats- und Parteichef Xi Jinping vor zwei Jahren mitten in einem fundamentalen Umbruch. Eine auf Export, Investitionen und Schulden orientierte Wirtschaft soll zu einer von Konsum, Binnennachfrage, Dienstleistungen und Innovation angefachten Ökonomie mutieren. Um es im Ökonomen-Slang zu sagen: China steht kurz vor dem Status eines Landes mit mittlerem Einkommen. Da gilt es, wiederum im Ökonomen-Lingo forumuliert, der «Falle des Mittleren Einkommens» zu entkommen. Und dieser Falle kann man nach Lehrbuch und Wirklichkeit nur entkommen, wenn man ohne Rücksicht auf Verluste Strukturreformen durchzieht. Innovation wird dabei ganz gross geschrieben. Genau das macht die KP mit weitreichenden, strategischen Beschlüssen im vergangenen und im laufenden Jahr. Wer an einem alten Wirtschaftsmodell festhält, bestraft - wie es so schön heisst - die Geschichte. Das Schwellenland Brasilien etwa ist ein negatives Beispiel.

In der realen Wirklichkeit von Ende 2014 jedoch ist das globale wirtschaftliche Umfeld für China eher schwierig. Die Nachfrage lässt nach, besonders aus Europa. Immerhin ist China auf dem Weg zu einem neuen Wirtschaftsmodell auf gutem Weg. Noch 2008 trugen die Exporte 35% zum Brutto-Inland-Produkt bei. Heute sind es nur noch 24%. Das schwächelnde Europa ist immer noch Chinas grösster Exportmarkt. Insgesamt gehen 42% der Exporte nach Europa, Amerika und Japan. Nach den vom ZK vor einem Monat verabschiedeten Beschlüssen befindet sich das Reich der Mitte auf gutem Weg, die ominöse «Falle des Mittleren Einkommens» erfolgreich zu umschiffen. Parteicher Xi hat bislang erfolgreich und gegen einigen Widerstand von Vertretern tief verwurzelter Privilegien in der KP durchgegriffen. Nicht nur im Kampf gegen Korruption sondern auch gegen alte Seilschaften im Apparat von Regierung und Partei.

Parteichef Xi freilich setzt nur fort, was das Führungsduo von Parteichef Hu Jintao und dem extrem populären Premier Wen Jiabao von 2003 bis 2012 bereits in Umrissen vorgezeichnet hat. Allerdings ist Xi zur Überraschung sowohl chinesischer als auch ausländischer Beobachter über sich hinausgewachsen. Seit Revolutionär und Reform-Übervater Deng Xiaoping gab es wohl nie mehr einen solch starken, überzeugenden Mandarin wie Xi Jinping. Mit dem von westlichen Qualitätsmedien prognostizierten und wohl auch erhofften «chinesischen Gorbatschow» konnte Xi freilich nicht dienen.

Xi ist sich der «Falle des Mittleren Einkommens» wohl bewusst. Nicht Wahlkampf sondern strategisches Denken ist gefragt. Sagte doch schon Premier Wen Jiaobao vor zehn Jahren angesichts der «Falle des Mittleren Einkommens»: «Chinas Wachstum ist instabil, unausgewogen, unkoordiniert und nicht nachhaltig». Das neue Wachstumsmodell setzt sich jetzt, wie die Zahlen zeigen, erfolgreich durch.

(Peter Achten / Peking/news.ch)

Kommentieren Sie jetzt diese news.ch - Meldung.
Lesen Sie hier mehr zum Thema
Madrid - Nach einer mehrjährigen Durststrecke Rezessionsjahren kommt Spaniens ... mehr lesen
Spanien liegt fast gleich hoch wie Deutschland.
Das Jahr des Schafes ist für die chinesischen Kalenderproduzenten schon vor seinem Beginn so gut wie gelaufen...
Achtens Asien Ein «extravaganter» Brauch gehört der Vergangenheit an: Die Partei verbietet staatlich finanzierte Kalender-Geschenke. ... mehr lesen
Peking - Mit versöhnlichen Gesten und Appellen zu engerer Kooperation hat der ... mehr lesen
Xi Jinping setzt ein Zeichen in den frostigen Beziehungen zwischen China und Japan.
Weitere Artikel im Zusammenhang
Die Konjunktur in China braucht neuen Schwung.
Peking - Die chinesische Konjunktur ... mehr lesen
Achtens Asien Das jährliche Plenum des ZKs der KP ... mehr lesen
Parteichef Xi Jinping (mit First Lady Peng Liyuan): Dürfte gestärkt aus der Partei-Konklave hervor gehen.
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 22
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der ...
Mit seinem Besuch in Vietnam hat US-Präsident Obama seine seit acht Jahren verfolgte Asienpolitik abgerundet. Die einstigen Todfeinde USA und Vietnam sind, wenn auch noch nicht Freunde, so doch nun Partner. China verfolgt die Entwicklung mit Misstrauen. mehr lesen 
Zum 50. Mal jährt sich im Mai der Beginn der chinesischen «Grossen Proletarischen Kulturrevolution». Das Chaos dauerte zehn Jahre. Mit tragischen Folgen. mehr lesen
Mao-Büsten aus der Zeit der Kulturrevolution: «Sonne des Ostens» und Halbgott.
Kein Psychopath, sondern ein der Realität verpflichteter Diktator: Kim Jong-un.
Kim Jong-un ist ein Meister der Propaganda und (Selbst)Inszenierung. Nach vier Jahren an der Macht liess er sich nun am VII. Kongress der Koreanischen Arbeiterpartei zum ... mehr lesen  
Pekinger Pfannkuchen oder Crêpes Pékinoises sind nur schwache Umschreibungen für das ultimative Pekinger Frühstück Jianbing. Wörtlich übersetzt heisst Jianbing ganz banal gebratener Pfannkuchen. Aber oho, Jianbing schmeckt ... mehr lesen
Das Ehepaar Wang in Aktion.
Typisch Schweiz Der Bernina Express Natürlich gibt es schnellere Bahnverbindungen in den Süden, aber wohl ...
Highlight der Kollektion: Eine Gibson Les Paul von 1959, die 300.000 bis 500.000 Pfund einbringen soll.
Shopping Mark Knopfler verkauft seine Gitarrensammlung Die Gitarrensammlung vom Dire Straits-Gitarristen Mark Knopfler wird am 31.01.2024 bei Christie's versteigert.
Erstaunliche Pfingstrose.
Jürg Zentner gegen den Rest der Welt.
Jürg Zentner
Frauenrechtlerin Ada Wright in London, 1910: Alles könnte anders sein, aber nichts ändert sich.
Regula Stämpfli seziert jeden Mittwoch das politische und gesell- schaftliche Geschehen.
Regula Stämpfli
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
Patrik Etschmayers exklusive Kolumne mit bissiger Note.
Patrik Etschmayers
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Peter Achten zu aktuellen Geschehnissen in China und Ostasien.
Peter Achten
Recep Tayyp Erdogan: Liefert Anstoss, Strafgesetzbücher zu entschlacken.
Skeptischer Blick auf organisierte und nicht organisierte Mythen.
Freidenker
 
Stellenmarkt.ch
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Sa So
Zürich 4°C 19°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen wechselnd bewölkt
Basel 7°C 19°C wechselnd bewölktleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig gewitterhaft wechselnd bewölkt
St. Gallen 4°C 19°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen wechselnd bewölkt
Bern 4°C 19°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen wolkig, aber kaum Regen
Luzern 6°C 19°C wechselnd bewölktleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen wechselnd bewölkt
Genf 10°C 21°C wechselnd bewölktleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen trüb und nass
Lugano 8°C 12°C anhaltender Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig anhaltender Regen anhaltender Regen
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten