«Was bleibt von meiner Musik übrig, wenn ich sie von klassischen Instrumentalisten spielen und die wichtigsten Elemente, die Beats, weglasse?» Diese Frage bildete den Anfang von «Instruments», dem neuen Album von Henrik Schwarz.
Vier Jahre ist es mittlerweile her, dass der Berliner Musiker und Produzent die Einladung erhielt, eine Auswahl seiner House-Tracks von einem Orchester spielen zu lassen. Nun hat das Tokyo Secret Orchestra sieben für Kammerorchester arrangierte Stücke eingespielt, die nicht nur dank ihrer rhythmischen Sogkraft und Poesie an den Minimalismus von Steve Reich und Michael Nyman erinnern. Zwischendurch schlägt ein Stück wie «In Björndal» mit seinen schillernd schönen Instrumentalfarben sogar den Bogen zurück zur Epoche des Fin de Siècle und eines Arnold Schönberg.
Klassische Aufführungen elektronischer Clubmusik gab es im Laufe der letzten zehn Jahre immer wieder. Doch häufig standen sie in der «Classic Rock»-Tradition der 70er Jahre, als Symphonie-Orchester die grössten Pop-Hits nachspielten. «Meist wurden unter die Orchesterarrangements dann noch elektronische Beats gemischt. Auf mich wirkte das irgendwie halbherzig», findet Schwarz. Ihn interessierte kein Crossover, sondern vielmehr was passiert, wenn man Clubmusik in eine klassische Instrumentierung überführt. Wenn die im House und Techno so zentrale Bassdrum als Mittel des Zusammenhalts wegfällt. «Ich wollte wissen, ob diese Musik überhaupt noch eine Bedeutung hat, wenn man ihr alle synthetischen Sounds und die Beats nimmt.»
In der Folgezeit experimentierte Henrik Schwarz zusammen mit dem Arrangeur Johannes Brecht und wechselnden Ensembles an den Partituren herum, ganz ohne Computerklänge oder akustische Schlaginstrumente, die im Vierviertel-Takt den Rhythmus vorgeben. Es ging um das Schreiben von neuer akustischer Orchester Musik auf der Basis von elektronischer Computer Musik.
Viele Anknüpfungspunkte und Schwierigkeiten
Klassische Musiker, Dirigenten und Tonmeister waren in die Diskussion involviert: Es gab viele Anknüpfungspunkte aber auch einige Schwierigkeiten zu überwinden. «Zum Glück gibt es inzwischen in den meisten Orchestern Musiker, die mit aktueller Clubmusik vertraut sind und die schnell verstanden haben wo ich mit meiner Idee hin wollte. Man muss erstmal eine gemeinsame Sprache finden» erläutert Schwarz. Viele Konzerthäuser suchen nach neuen Wegen und sind neuen Ideen gegenüber sehr aufgeschlossen. Das «Instruments» Projekt hat viele neue Verbindungen hergestellt.
Henrik Schwarz, 42, ist mit Veröffentlichungen auf Labels wie Innervisions, !K7 und Sunday Music seit über einem Jahrzehnt einer der respektiertesten House-Produzenten und viel gefragter Remixer, etwa für Mary J. Blige, Ane Brun oder Coldplay. In den letzten Jahren kamen zahlreiche genreübergreifende Projekte hinzu. Schwarz vertonte einen Stummfilm, arbeitete mit dem Berliner Staatsballett und dem Maler Norbert Bisky zusammen, er macht Musik mit den Jazzgrössen Bugge Wesseltoft und Dan Berglund und gibt gemeinsame Konzerte mit dem Pianisten Nik Bärtsch.
Die «Instruments» Arrangements wurden in den letzten Jahren bereits von wechselnden Orchestern in so renommierten Konzertsälen wie dem Berliner Kammermusiksaal, dem Amsterdamer Concertgebouw oder der Tonhalle Zürich aufgeführt - vor begeistertem Publikum.
Schlüsselerlebnis mit dem Tokyo Secret Orchestra
Für Henrik Schwarz stellte erst eine Aufführung mit 27 jungen japanischen Musikern unter der Leitung der Dirigentin Emi Akiyama, die sich für das Konzert in einem buddhistischen Tempel 2013 als Tokyo Secret Orchestra zusammengetan hatten, den Durchbruch dar. «Plötzlich hörte ich meine eigene Musik mit anderen Ohren. In der klassischen Musik gibt es ja ganz andere Anforderungen als bei einem House-Track. Im House ist es erst die zeitliche Präzision, die den Groove erzeugt, aber ein Orchester ist es nicht gewohnt, wie eine Maschine zu spielen. Doch in Tokio hatte ich das Gefühl, dass es den Musikern gelang zum Kern der Musik vorzudringen.»
Die Aufnahmen aus Japan bildeten auch das Ausgangsmaterial für das INSTRUMENTS Album. Sieben Stücke werden hier mit klassischen Instrumenten neu vertont, von Henrik Schwarz? Clubhit «Walk Music» (der in der Neubearbeitung lange Zeit als Opener den Beginn seiner Live-Sets markierte), über «Wamims», der Version eines Remixes von 2006, bis zum einzig neu geschriebenen und bislang unveröffentlichten Stück "In Björndal".
Sämtliche Stücke sind für den obligatorischen Streicherapparat (Violinen, Bratschen, Celli und Kontrabass) arrangiert. Hinzu kommen tiefe Blasinstrumente (Bassflöte, Bassklarinette, Fagott), die nicht nur für besondere Klangfarben sorgen. Tatsächlich setzen sie - ähnlich wie die Percussionsinstrumente (u.a. Vibraphon) - die Stücke rhythmisch in Bewegung. Dabei stehen vor allem der Zauber und die magnetische Kraft des Minimalismus im Mittelpunkt, mit dem nicht zuletzt der Amerikaner Steve Reich mit seinen raffiniert verschachtelten Rhythmusketten auch die Pop- und Techno-Szene beeinflusst hat.
Produktionstechniken der elektronischen Musik in Orchesterarrangements transformiert
Gleich der Beginn von "Walk Music" ist eine magische Liaison aus einzelnen lyrischen Streichertönen und geheimnisvoll im Hintergrund ablaufenden Vibraphon-Figuren. Und auch das nachfolgende »Marvin« knospet geradezu aus einem einzigen, sich ständig wiederholenden Ton auf. Bassflöte, Bratsche und Cello entwickeln dabei eine rhythmische Motorik, die zunächst mit ihrem leicht burlesken Ton an den neo-klassizistischen Stil des Russen Igor Strawinsky erinnert - bevor die Orchesterstimmen zu einem mehrstimmigen Groove ansetzen. Überhaupt kommt es ständig zu raffiniert eingestreuten, unscheinbaren Reminiszenzen an so manche Klassik-Grossmeister. Einen eigentümlichen, verführerisch melancholischen Zauber verströmt "In Björndal", das fast eine Hommage an Arnold Schönberg und seine prismatische Klangsprache sein könnte. Darüber hinaus hat Arrangeur Johannes Brecht in die Besetzung von "Leave My Head Alone Brain" auch das an die Klarinette angelehnte Bassetthorn aufgenommen, das besonders Wolfgang Amadeus Mozart liebte. Und in "I Exist Because Of You" spielt das Cello schon mal die sogenannten "Bartók-Pizzicati", die auf den Ungarn Béla Bartók zugehen: dabei reisst der Cellist die Saite an und lässt sie effektvoll aufs Griffbrett zurückschnellen.
Immer wieder werden Produktionstechniken der elektronischen Musik wie Loops oder Low-Cuts in Orchesterarrangements transformiert, wobei Frequenzen über mehrere Takte hinweg gedämpft werden (zu hören etwa auf "Leave My Head Alone Brain Seven").
Es entsteht eine neuartige Musik mit klassischer Instrumentierung. Eine Musik, die ihren Ursprung aus dem Club nicht leugnet und die so nur am Computer entstehen konnte, und der es gelingt die Energie elektronischer Tanzmusik in den klassischen Konzertsaal zu überführen - und bei der die Bassdrum nur noch im Kopf kickt.
(fest/news.ch mit Agenturen)
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