Bangladesch wegen religiösen Extremisten auf dem Weg zum Failed State

publiziert: Freitag, 8. Apr 2016 / 22:38 Uhr / aktualisiert: Freitag, 8. Apr 2016 / 23:00 Uhr
Nazimuddin Samad ist seit 2013 der 10. Online-Aktivist, der in Bangladesch umgebracht wurde.
Nazimuddin Samad ist seit 2013 der 10. Online-Aktivist, der in Bangladesch umgebracht wurde.

Am 6. April wurde in Bangladesch erneut ein Online-Aktivist von religiösen Extremisten auf offener Strasse regelrecht abgeschlachtet. Das Land, das sich 1971 bei seiner Gründung eine säkulare Verfassung gegeben hatte, droht wegen des muslimischen Terrors zum gescheiterten Staat zu werden.

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Der 28-jährige Student Nazimuddin Samad wurde am 6. April in der Hauptstadt Dhaka auf dem Nachhauseweg von einer Vorlesung von Motorradfahrern mit Macheten und Schusswaffen attackiert und brutal ermordet. Samad stand auf einer Todesliste religiöser Extremisten, die Kritiker des radikalen Islam zum Schweigen bringen wollen. Er ist seit 2013 bereits der zehnte Online-Aktivist, der so umgebracht wurde. Ein zweiter Blogger wurde bei einer weiteren Attacke am selben Abend «nur» verletzt - seine Begleitpersonen konnten die Angreifer in die Flucht schlagen. Ein säkularer Blogger, mit dem die Freidenker in direktem Kontakt stehen, und der mit Nazimuddin Samad bereits den sechsten persönlichen Freund auf diese schmerzliche Art verloren hat, geht von mindestens zwanzig weiteren akut gefährdeten Personen aus.

Islamische Extremisten greifen auch in Bangladesch immer wieder zu Gewalt, um ihre Forderungen durchzusetzen. Der politische Islam wurde bereits bei der Gründung Bangladeschs im Jahr 1971 als Gefahr angesehen, die leidvollen heimischen Erfahrungen im ehemaligen Ost-Pakistan waren allgegenwärtig. Sheikh Mujibur Rahman, die Leitfigur der damaligen Unabhängigkeitsbewegung, hatte deshalb 1971 für einen säkularen Staat geworben. Als solcher wurde Bangladesch auch gegründet: die erste Verfassung untersagte religiöse Parteien. Dennoch wurde 1988, als das Land von einer Militärdiktatur regiert wurde, der Islam ausdrücklich als Staatsreligion anerkannt.

Vor einem Monat drohte der Sekretär der radikal muslimischen Organisation Hefazat-e-Islam mit Gewalt, sollte das Oberste Gericht einer Petition nachkommen, die verlangte, dass die Nennung des Islam als Staatsreligion gestrichen werden sollte. Am 28. März entschied das Gericht innerhalb von zwei Minuten, nicht auf die Petition einzugehen: Es beschied, die Petitionäre sein nicht eingabeberechtigt gewesen - ein Zeichen, dass die islamistischen Drohungen wirken. Wie anderswo wird die Radikalisierung vom Ausland vorangetrieben, Saudi-Arabien und Pakistan gelten als die Hauptfinanzierer ultraorthodoxer Koranschulen und auch von Terrorgruppen wie Hefazat-e-Islam und Jamaat-ul-Mujahideen.

Die Forderungen und Positionen der Islamisten fliessen zunehmend in die etablierte Politik ein. 2013 nannte Khaleda Zia, Anführerin der Oppositionspartei BNP, die vorwiegend jungen Demonstranten der so genannten Shahbagh-Bewegung, die ein resoluteres Vorgehen gegen Kriegsverbrecher einfordert, «Atheisten und verdorbene Leute». Wer sich derart äussert, schielt sichtlich auf die Stimmen der konservativen muslimischen Bevölkerung - und spielt gleichzeitig den Gewalttätern in die Hände, denn durch derlei Aussagen werden Blogger und andere Personen, die sich für den Erhalt eines säkularen Bangladesch einsetzen, erst recht zum Freiwild.

Als es zwei Tage, bevor Nazimuddin Samad niedergemetzelt wurde, darum gegangen war, eine Protestaktion gegen ein neues Kohlekraftwerk im Zaum zu halten, war der Staat unnachgiebig und mächtig in Erscheinung getreten: die Polizei erschoss mindestens vier Personen und eröffnete mehrere Tausend Verfahren wegen Vandalismus. Wenn es um islamischen Terror geht, vermitteln Polizei und Justiz hingegen kaum einen potenten Eindruck: erst von zwei der zehn getöteten Online-Aktivisten wurden die Mörder gefasst und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Ein Staat, der so agiert, läuft Gefahr zu scheitern.

(Andreas Kyriacou/news.ch)

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