Keine Verwahrung

Berner Urteil: Ernüchterung für die Familien der Opfer

publiziert: Freitag, 21. Mrz 2014 / 15:32 Uhr / aktualisiert: Freitag, 21. Mrz 2014 / 16:49 Uhr
Der Verurteilte hat zahlreiche behinderte Kinder sexuell missbraucht. (Symbolbild)
Der Verurteilte hat zahlreiche behinderte Kinder sexuell missbraucht. (Symbolbild)

Bern - Dass der Berner Missbrauchsprozess ohne Verwahrung des Angeklagten endet, ist aus Sicht von Opfer-Angehörigen «eine Ernüchterung». Das sagte Bernadette Kaufmann von der Opferhilfe Bern am Freitag gegenüber Journalisten.

6 Meldungen im Zusammenhang
Es bestehe der Eindruck, dass die Strafe zu gering ausgefallen sei, hielt Kaufmann in einem kurzen Statement direkt nach der Urteilseröffnung fest. Das Regionalgericht Bern verurteilte den Mann zu 13 Jahren Freiheitsstrafe, sah aber von einer Verwahrung ab und ordnete stattdessen eine stationäre Massnahme an.

Staatsanwältin Erika Marti hatte die Verwahrung gefordert. Sie liess offen, ob sie das Urteil in den kommenden zehn Tagen weiterziehen wird. Zunächst wolle sie die Urteilsbegründung eingehend studieren, sagte Marti und wies darauf hin, dass das Gericht ihren Anträgen im Wesentlichen gefolgt sei und nur eine «minim tiefere» Strafe ausgesprochen habe.

Der pädophile Sozialtherapeut werde das Urteil wohl akzeptieren, sagte Pflichtverteidiger John Wyss zu Journalisten vor dem Berner Amthaus. Der definitive Entscheid werde aber erst nächste Woche gefällt.

«Mich hat die Begründung des Urteils überzeugt», stellte Wyss fest. Dass es keine Verwahrung gebe, halte er für richtig. Die stationäre Massnahme stehe dem Mann zu, sie sei für ihn eine Chance.

Erstaunen bei Heimverband

«Nicht enttäuscht, aber erstaunt» zeigte sich Ueli Affolter über das Urteil. Der Geschäftsführer des Heimverbandes Socialbern hätte nach eigenen Angaben «nicht erwartet, dass man dem Mann eine Chance gibt. Ich habe mir das anders vorgestellt. Ich hätte beinahe auf eine Verwahrung gewettet», sagte Affolter.

Er habe all die Opfer-Angehörigen, die dem Prozess beiwohnten, «enorm bewundert», sagte Affolter. Für sie sei es eine sehr schwere Woche gewesen. Das Urteil vom Freitag werde sie nun «noch mehr aufrütteln».

Sozialtherapeut misshandelte lange viele Behinderte

Der 57-jährige Angeklagte hatte gestanden, über einen langen Zeitraum 114 Behinderte in mehreren Heimen sexuell misshandelt zu haben. Wegen Verjährung ging es vor Gericht noch um 33 Fälle. Schuldig gesprochen wurde der Mann unter anderem wegen Schändung und sexuellen Handlungen mit Kindern, Abhängigen und Anstaltspfleglingen.

«Extrem» sei nicht nur die Zahl der Übergriffe, sagte Gerichtspräsident Urs Herren bei der Urteilsverkündung. Extrem sei auch der Delikts-Zeitraum von mehreren Jahrzehnten.

Beim Aktenstudium habe er sich oft gefragt, wie es dem Mann möglich gewesen sei, über so lange Zeit so viele Delikte unentdeckt zu begehen, sagte Herren. Dass es sich bei den Opfern mehrheitlich um schwerstbehinderte Jugendliche und Kinder handle, sei ein Stück weit eine Erklärung.

Herren nannte «ein Beispiel besonderer Unverfrorenheit». Dabei ging es um den Übergriff auf ein dreijähriges Mädchen während einer Autofahrt. Die Mutter des Kindes am Steuer habe nichts mitbekommen, hatte der Sozialtherapeut ausgesagt.

Ans Licht kamen die Taten erst im März 2010 im Kanton Aargau, nachdem zwei Bewohner eines Behindertenheims ihren Eltern von sexuellen Kontakten mit ihrem Betreuer erzählt hatten. Der Mann wurde daraufhin an seinem Wohnort im Berner Oberland verhaftet. In der Folge gab er die zahlreichen früheren Missbräuche zu.

Die Heimbranche musste sich unangenehme Fragen gefallen lassen zur Tatsache, dass der Sozialtherapeut immer wieder neue Anstellungen gefunden hatte, obwohl er zum Teil als schwierig und unkooperativ eingeschätzt wurde.

Heime und Behindertenverbände lancierten daraufhin eine Charta unter dem Titel «Wir schauen hin!». Die Unterzeichner verpflichteten sich darin zu einer Null-Toleranz-Politik und zu Präventionsmassnahmen.

(bg/sda)

Kommentieren Sie jetzt diese news.ch - Meldung.
Lesen Sie hier mehr zum Thema
Bern - Im Kanton Bern muss sich ein ... mehr lesen
21 Kinder und Jugendliche wurden Opfer sexueller Übergriffe. (Symbolbild)
Die Staatsanwaltschaft hat eine Berufung angemeldet.
Bern - Der Fall des wegen Missbrauchs zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren und einer stationären Massnahme verurteilten Sozialtherapeuten wird wahrscheinlich vor Obergericht ... mehr lesen
Bern - Im Missbrauchsprozess gegen ... mehr lesen
Das Ausmass der Übergriffe sei kaum in Worte zu fassen, so Staatsanwältin Erika Marti.(Symbolbild)
Bei den Opfern handelt es sich mehrheitlich um schwerstbehinderte Jugendliche und Kinder. (Symbolbild)
Bern - Am Missbrauchsprozess vor dem Berner Regionalgericht ist am Montagmorgen der Angeklagte befragt worden. Es sei ihm nicht bewusst gewesen, was er den Opfern angetan habe, ... mehr lesen
Bern - Der Berner Sozialtherapeut, der ... mehr lesen
Der Sozialtherapeut verging sich in Heimen jahrzehntelang an Behinderte. (Symbolbild)
Weitere Artikel im Zusammenhang
Die zehn in der Charta definierten Standards seien für alle in der Betreuung Behinderter tätigen Personen hilfreiche, umsetzbare Richtlinien.
Bern - Der Fall des Berner Sozialtherapeuten, der 2011 den sexuellen Missbrauch von mehr als 120 in Heimen lebenden Behinderten gestand, hat die Schweizer ... mehr lesen
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 22
Apple hatte Musikstreaming-Konkurrenten im App Store benachteiligt.
Apple hatte Musikstreaming-Konkurrenten im App Store ...
Musikstreaming-Apps im App Store  Brüssel hat Apple mit einer Geldstrafe in Höhe von 1,8 Milliarden Euro belegt. Laut einer Untersuchung der EU-Kommission hat das US-Unternehmen seine dominante Stellung durch bestimmte Regeln im App Store missbraucht und Konkurrenten im Musik-Streaming-Geschäft behindert. Ein zentraler Punkt ist das allgemeine Verbot von Apple für Entwickler, in ihren Apps auf günstigere Kauf- oder Abonnementmöglichkeiten hinzuweisen. mehr lesen 
Um den Anforderungen der Wirtschaft Genüge zu tun  Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) hat im Jahr 2023 insgesamt 50 neue oder überarbeitete Berufe genehmigt und ... mehr lesen  
Für die Solarwirtschaft wurden die Berufe «Solarinstallateur/in EFZ», «Solarmonteur/in EBA» eingeführt.
Publinews In der sich ständig weiterentwickelnden Welt der Technik gewinnen Anwendungen oft schnell an Aufmerksamkeit, nur um später wieder von der Bildfläche zu verschwinden. Peppr, einst ein heisses Thema unter Technikbegeisterten, ist ein Beispiel für diesen Trend. Was zeichnete Peppr also aus, und welche Herausforderungen führten zu seinem Niedergang? mehr lesen  
Das KI-erzeugte Bild «A Recent Entrance to Paradise» (2018) ist «Public Domain».
Menschliche Beteiligung ist unerlässlich für KI-generierte Kunstwerke ohne US-Copyright  In zunehmend mehr Bereichen wird die KI-Technologie eingesetzt, jedoch hat ein US-Gericht bestätigt, ... mehr lesen  
Titel Forum Teaser
 
Stellenmarkt.ch
Der Remoteserver hat einen Fehler zurückgegeben: (500) Interner Serverfehler.
Source: http://www.news.ch/ajax/top5.aspx?ID=0&col=COL_3_1
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Mi Do
Zürich 5°C 16°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Basel 8°C 18°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
St. Gallen 4°C 14°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Bern 4°C 16°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Luzern 6°C 16°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Genf 5°C 16°C sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Lugano 6°C 17°C sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt freundlich
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten