Das Jianbing-Staatsgeheimnis

publiziert: Montag, 9. Mai 2016 / 08:00 Uhr
Das Ehepaar Wang in Aktion.
Das Ehepaar Wang in Aktion.

Pekinger Pfannkuchen oder Crêpes Pékinoises sind nur schwache Umschreibungen für das ultimative Pekinger Frühstück Jianbing. Wörtlich übersetzt heisst Jianbing ganz banal gebratener Pfannkuchen. Aber oho, Jianbing schmeckt nicht nur. Die Zubereitung ist auch eine Kunst.

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Jeden morgen zwischen sieben und neun strömen von der Metro-Station Yonganli im Zentrum Pekings Tausende zur Arbeit. Bereits zwischen fünf und halb sieben Uhr morgens ist das Ehepaar Wang aus der Provinz Shandong mit dem Dreirad angefahren, um unweit der Untergrundbahnstation für den kommenden Massenansturm bereit fürs Geschäft zu sein. Das Geschäft: Zubereitung und Verkauf von Jianbing. Dafür entlädt Wang Cubian zunächst eine auf Holzstelzen befestigte Eisenplatte und eine Gasflasche. «Früher, das heisst vor fünf Jahren», sagt Wang, «haben wir noch mit Kohle die Platte befeuert, doch das ist von der Stadt wegen Umweltverschmutzung jetzt verboten».

Pfefferscharf

Während also Wang die Platte betriebsbereit macht, lädt seine Frau all die Zutaten aus, die zu einem leckeren Jianbing benötigt werden: flüssiger Teig aus verschiedenen Sorten Mehl, Eier, Salat, Koriander, Lauchzwiebeln, feingehackte Karotten, geröstete Erdnüsse, Chili, Schalotten, Senf-Pickles, geschnetzeltes Schweine- und Hühnerfleisch, Würstchen, kleine Süsskartoffeln und vor allem zweierlei Saucen, die lajiao-pfefferscharfe und die weniger pfeffrige Variante. Die Saucen, sagt Frau Wang, habe schon ihre Urgrossmutter entwickelt. Auf die Frage, ob Sie das Rezept für die von Ihrem Korrespondenten bevorzugte lajiao-pfefferscharfe Sauce verraten könnte, lachte Sie nur verschmitzt und sagte: «Geheimnis, Staatsgeheimnis!».

Das Zentrum

Die Zubereitung von Jianbing ist in der Tat eine Kunst. Das fängt beim Mehl für den flüssigen Teig an. Ja nach Region wird er verschieden gemischt. Weizen, Hirse, Sorghum, Bohnen, Mais und Soya - das alles ist in unterschiedlichen Mischungen enthalten. Auch die Sauce und die Füllung ist je nach Region verschieden. Doch Peking gilt als das Jianbing-Zentrum. Das Gericht wird à la minute zubereitet, sozusagen. Der Hungrige kann dann Füllung und Sauce auswählen. Herr Wang bereitet in aller Seelenruhe mit einem hölzernen Spachtel auf der heissen Platte mit seiner flüssigen Mehlmischung den Pfannkuchen vor. Einmal fertig, wird mit einem Pinsel die Sauce aufgetragen und danach die gewünschten Beigaben verteilt. Ihr Korrespondent wählt die scharfe lajiao-Sauce, grünen Salat, Koriander, Karotten, Zwiebeln und ein Würstchen. Der Jianbing wird zweimal gefaltet. Und fertig. Es schmeckt köstlich. Mein Grossvater hätte - als höchstes kulinarisches Lob - gesagt: «gut und reichlich». So reichlich in der Tat, dass der Hunger Ihres Korrespondenten bis abends gestillt ist. Das ganze kostet auf Pekings Strassen derzeit fünf Yuan, umgerechnet etwa 75 Rappen.

«Eine gewisse Technik»

Jianbing zuzubereiten, tönt einfach. Doch das täuscht. Wang Cubian ging bei seinem Vater in die Lehre. «Es braucht Fingerspitzengefühl, eine gewisse Technik», sagt Wang, «und vor allem einen wachen Sinn für gutes Essen». Die Mischung des Mehls ist wichtig und natürlich die Zutaten. Wangs Vater wusste, wovon er sprach, denn er erlebte als junger Mann die grosse Hungersnot während Mao Dsedongs «Grossem Sprung nach Vorn» (1958-61). Damals starben je nach Schätzung 30 bis 45 Millionen Chinesinnen und Chinesen Hungers. «Mein Vater hat oft von jenen schlimmen, kargen Zeiten gesprochen», sagt Wang, «sie assen Grass und Baumrinden». Umso glücklicher sei er heute, dass sich in China alle satt essen können.

Jianbing ist nicht eine Erfindung der neuen, oppulenten Zeiten. Bereits zur Zeit der 'Drei Königreiche' im 3. Jahrhundert wurden in der Provinz Shandong Jianbing verzehrt. Zhuge Liang, Kanzler und General der Provinz, soll aus der Not eine Tugend gemacht haben. Die Armeeköche sollen der Legende nach ihre Woks verloren haben. Der Kanzler-General befahl, die Kupferschilder seiner Soldaten mit Feuer zu erhitzen und darauf fliessenden Teig aus Wasser und Mehl zu Fladen zu machen. Der Rest ist Geschichte. Von Generation zu Generation verbreitete sich Jianbing zunächst in Shandong und danach in ganz Nordchina.

Mittlerweile ist es halb neun geworden. Die Garküchen bei der Yonganli-Metrostation haben Hochbetrieb. Vor Wangs heisser Platte bildet sich eine Schlange. Geduldig warten Hungrige, bis sie an der Reihe sind. Sie werfen fünf Yan in einen kleinen Plastikübel. Das Warten lohnt sich. Heiss, frisch, knusprig, pikant soll das Frühstück sein. Doch auch für die Eiligen gibt es, ohne Warteschlange, gleich am nächsten Stand ein Frühstück. Baozi, mit Gemüse und-oder Schweinzefleisch gefüllte Dampfbrötchen. Im Unterschied zu den Jainbing aber werden die Baozi vorbereitet und dann warm gehalten.

Varianten

Unter den verschiedenen regionalen Jianbing-Varianten ist vor allem jene aus der unweit Peking gelegenen Hafenstadt Tianjin zu erwähnen. Das verwendete Mehl hat einen hohen Anteil von grobkörnigen schwarzen Bohnen. Vor allem aber werden die in ganz Nordchina beliebten Youtai - frittierte Teigstangen - als nahrhafte Füllung zugegeben. Das Frühstücksgericht heisst denn in Tianjin Jianbing Guozi. Ob aber in Peking, Tianjin oder anderswo, überall heisst es, dass nirgendwo so gute Jianbing zubereitet werden, wie eben gerade hier. Das heisst es übrigens auch landesweit von den Jiaozi (chinesische Ravioli). Doch darüber wurde in dieser Kolumne auch schon schwärmerisch berichtet.

Gastwirtschaft

Zu schwärmerisch? Vielleicht. Denn ein kluger Leser und eine charmante Leserin fragte Ihren Korrespondenten neulich in leicht genervtem Ton, ob denn diese Kolumne «langsam aber sicher zur Fress-Kolumne» verkomme. Gemach, gemach! Erstens, wenn schon, wäre es eine «Ess-Kolumne». Zweitens war, zugegebenermassen, in den letzten vier Wochen sage und schreibe zweimal vom Essen die Rede (Swisstaste, Pho). Allerdings thematisierten in den letzten zwei Jahren und 100 Kolumnen nur gerade sechs Texte das Thema Essen und Trinken, also exakt 6%. Der Wirtschaft waren jedoch sehr viel mehr Kolumnen verpflichtet, nämlich über den gleichen Zeitraum 28. Selbst wenn der kluge Leser und die charmante Leserin Wirtschaft mit Gastwirtschaft verwechselt haben sollten, wären es also zusammengerechnet erst 34% aller Kolumnen. Im übrigen: ich würde liebend gerne eine regelmässige Ess-Kolumne verfassen, im Notfall halt auch eine Fress-Kolumne...

(Peter Achten / Peking/news.ch)

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