Das Moralmonopol bröckelt

publiziert: Freitag, 15. Apr 2005 / 11:28 Uhr / aktualisiert: Freitag, 15. Apr 2005 / 17:53 Uhr

1 Meldung im Zusammenhang
'No beast so fierce, but knows some touch of pity.... But I know none, and therefore am no beast.' William Shakespeare, Richard III.

Keine Angst, es geht hier nicht um die Kirche. Vielmehr um die Menschheit im Allgemeinen. Denn diese hat den Anspruch, dass sie die Erfinderin von Gerechtigkeit, uneigennützigem und vor allem moralischem Handeln ist. Dies geht soweit, dass ein solches, ethisch hochstehendes Handeln, als 'menschlich' bezeichnet wird. Werden hingegen Grausamkeiten begangen, so dürfen die Worte 'unmenschlich' und 'bestialisch' (von 'bestia' – Tier) keineswegs fehlen.

Dabei sind keine KZ's bekannt, die von Tieren errichtet worden wären und auch Daumenschrauben und eiserne Jungfrauen sind menschlichen Ursprungs. Trotzdem besteht der Anspruch, dass der moderne Mensch das einzige Lebewesen auf der Erde sei, das spontan seinen Artgenossen hilft, wenn diese in Not sind, auch wenn ihm kein direkter Nutzen daraus entsteht.

Auch das Missbilligen von selbstsüchtigen Handlungen und das Abstrafen so handelnder Individuen sei eine exklusiv menschliche Spezialität, wird angenommen. Wer Hilfe entgegennimmt, später anderen aber nicht hilft, muss damit rechnen, künftig keinen Beistand mehr zu bekommen.

Rücksichtsloses agieren in Wirtschaft und Politik wird hingegen gerechtfertigt, indem man solche Milieus gerne mit der freien Natur vergleicht. 'It's a jungle, out there!' heisst es dann jeweils. Es entsteht der Eindruck, dass in der Natur einfach ein Jeder über den anderen herfallen würde – der Stärkste überlebt, die anderen bleiben im Staub zurück.

Doch schon seit einiger Zeit stellen Verhaltensforscher mit Erstaunen fest, dass Rudeltiere einander beistehen. Dass dies bei Schimpansen und Gorillas der Fall ist, erschütterte unser Eigenbild noch nicht allzu sehr.

Doch nun wurde moralisches Handeln – und nicht nur unter verwandten Tieren – auch bei einem Tier entdeckt, von dem wir dies vermutlich nie erwartet hätten: Nämlich bei einer Vampirfledermaus! Diese Tierchen, die sich ausschliesslich vom Blut anderer Warmblüter ernähren, haben keineswegs bei jedem Beutezug Glück. Viele kehren mit leerem Magen in die Wohnhöhle zurück und würden verhungern, wenn ihnen erfolgreiche Vampire nicht etwas ihrer Beute abgeben würden.

Der amerikanische Biologe Gerard Wilkinson stellte verblüfft fest, dass sich so wahre 'Freundschaften' bilden, bei denen sich Fledermäuse gegenseitig aushelfen. Hat die eine Hunger, wird sie von der anderen versorgt. Am nächsten Tag kann es umgekehrt sein. Wer hingegen nicht hilft, dem wird auch nicht geholfen – Egoisten droht so der Hungertod.

Kapuzineräffchen andererseits sind stinksauer, wenn sie für eine Arbeit von Forschern schlechter entlöhnt (Gurkenstück) werden, als Artgenossen, die für dieselbe Arbeit eine Süssigkeit bekamen. So geprellte Äffchen schmissen die sonst beliebte Gurke wütend weg. Auch kleine Affen wollen fair behandelt werden.

Doch es geht noch weiter. Biologen haben beim Studium von Tierarten in extremen klimatischen Gegenden (z.B. sibirische Tundra) festgestellt, dass sogar Tiere verschiedener Arten miteinander kooperieren und so gegenseitig die Überlebenschancen erhöhen.

Gerechtigkeitssinn, Fairness und kooperatives Handeln sind keineswegs menschliche Erfindungen. Hingegen haben wir die Fähigkeit erfunden, mit fadenscheinigen Behauptungen unmoralisches und grausames Benehmen zu rechtfertigen. Ein Zoobesuch würde einigen Politikern und Wirtschaftsführern gut tun: Oder kennen Sie eine bessere Lektion in Fairness, als von einem wütenden Kapuzineräffchen mit Gemüse beworfen zu werden?

(Patrik Etschmayer/news.ch)

Lesen Sie hier mehr zum Thema
Berlin - Das Centrum Judaicum in ... mehr lesen
Köpfe von drei Häftlingen von Wlodzimierz Siwierski, Konzentrationslager Auschwitz, 1941.
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 22
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
«Hier hätte ich noch eine ...
In den USA ist bei einer Frau mit Harnwegsinfektion zum ersten mal ein Bakterium aufgetaucht, das gegen das letzte Reserve-Antibiotikum resistent ist. Wer Angst vor ISIS hat, sollte sich überlegen, ob er seinen Paranoia-Focus nicht neu einstellen will. Denn das hier ist jenseits aller im Alltag sonst verklickerten Gefahren anzusiedeln. mehr lesen 4
Durch ungeschickte Avancen von SBB- und Post-Chefs, droht die Service-Public-Initiative tatsächlich angenommen zu werden. Von bürgerlicher Seite her solle ... mehr lesen  
Künftig mindestens 500'000.-- und die ganze Schweiz inklusive: SwissPass, der schon bald mal GACH heissen könnte.
Eine renommierte US-Kanzlei stellt einen neuen Anwalt Namens Ross ein. Die Aufgabe: Teil des Insolvenz-Teams zu sein und sich durch Millionen Seiten Unternehmensrecht kämpfen. Und nein, ROSS ist kein armes Schwein, sondern ein Computerprogramm. mehr lesen  
Sicherheitskontrolle in US-Airport: 95% Versagen, 100% nervig.
In letzter Zeit wurden aus Terrorangst zwei Flüge in den USA aufgehalten. Dies, weil Passagiere sich vor Mitreisenden wegen deren 'verdächtigen' Verhaltens bedroht fühlten. Die Bedrohungen: Differentialgleichungen und ein ... mehr lesen  
Typisch Schweiz Der Bernina Express Natürlich gibt es schnellere Bahnverbindungen in den Süden, aber wohl ...
Highlight der Kollektion: Eine Gibson Les Paul von 1959, die 300.000 bis 500.000 Pfund einbringen soll.
Shopping Mark Knopfler verkauft seine Gitarrensammlung Die Gitarrensammlung vom Dire Straits-Gitarristen Mark Knopfler wird am 31.01.2024 bei Christie's versteigert.
Erstaunliche Pfingstrose.
Jürg Zentner gegen den Rest der Welt.
Jürg Zentner
Frauenrechtlerin Ada Wright in London, 1910: Alles könnte anders sein, aber nichts ändert sich.
Regula Stämpfli seziert jeden Mittwoch das politische und gesell- schaftliche Geschehen.
Regula Stämpfli
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
Patrik Etschmayers exklusive Kolumne mit bissiger Note.
Patrik Etschmayers
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Peter Achten zu aktuellen Geschehnissen in China und Ostasien.
Peter Achten
Recep Tayyp Erdogan: Liefert Anstoss, Strafgesetzbücher zu entschlacken.
Skeptischer Blick auf organisierte und nicht organisierte Mythen.
Freidenker
 
Stellenmarkt.ch
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Fr Sa
Zürich 3°C 7°C wechselnd bewölkt, Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen wechselnd bewölkt, Regen
Basel 4°C 9°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen wechselnd bewölkt, Regen
St. Gallen 0°C 4°C starker Schneeregenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig trüb und nass starker Schneeregen
Bern 0°C 6°C Schneeschauerleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen wechselnd bewölkt, Regen
Luzern 3°C 6°C wechselnd bewölkt, Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen wechselnd bewölkt, Regen
Genf 4°C 9°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen wolkig, aber kaum Regen
Lugano 9°C 14°C wechselnd bewölktleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich recht sonnig
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten