Dein Weltklimarat, das unbekannte Wesen

publiziert: Dienstag, 3. Apr 2012 / 09:10 Uhr
Andreas Fischlin ist Professor für Systemökologie an der ETH Zürich.
Andreas Fischlin ist Professor für Systemökologie an der ETH Zürich.

Die Berichte des Weltklimarats sind die verlässlichste Informations- und Entscheidungsgrundlage in Klimafragen. Gäbe es den Weltklimarat nicht, müsste man ihn erfinden. Warum eigentlich?

Weiterführende Links zur Meldung:

Blogbeitrag vom 29.03.2012
Rigorose Qualitätskontrollen beim neusten IPCC-Sonderbericht, Dr.Boris Orlowsky
klimablog.ethz

NZZ, 14. November 2007
«Die Arbeit im Intergovernmental Panel on Climate Change - Klimaforschung und die schwierige Suche nach einem politisch belastbaren Konsens.» Prof. Andreas Fischlins Erlebnisbericht zur Arbeit als koordinierenden Hauptautor beim vierten Klimabericht
nzz.ch

Vierter Sachstandsbericht des IPCC
«Klimaänderung 2007», deutsche Übersetzung
ipcc.ch

«Klimaänderung 2007»: Wissenschaftliche Grundlagen
häufig gestellte Fragen und Antworten
ipcc.de.ch

Fischlin, A. et al., Ecosystems, their properties, goods and services.
Climate change 2007: Impacts, adaptation and vulnerability. Contribution of Working Group II to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel of Climate Change (IPCC). Cambridge University Press: Cambridge, UK. 211-272.
ipcc.fischlin

Weltklimarats IPCC
Website
ipcc.ch

Weltklimarats IPCC (deutsch)
Website der deutschen IPCC-Koordinierungsstelle; mit deutschen Informationen zu IPCC
ipcc.de.ch

Während den 80er-Jahren wurden infolge neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse Befürchtungen laut über menschliche Einflüsse auf das Klima. 1988 beschlossen die Regierungen dieser Welt an einer UN-Generalversammlung, dass sie deshalb verlässlich und umfassend über den Stand des Wissens zu Klimafragen informiert werden wollen. Zu diesem Zweck gründeten die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) den heutigen Weltklimarat oder IPCC (Intergovernmental Panel On Climate Change).

Der damalige Wunsch der Regierungen nach verlässlichen Informationen zu einem komplexen Thema ist noch heute Programm und in unser aller Interesse. Dies gilt umso mehr in der heutigen Zeit des Internets. Fehlinformationen bis hin zu Verleumdungen können sich da beliebig tummeln. Heute nimmt nicht nur mehr Papier alles an!

Seit seiner Gründung vor mehr als 20 Jahren veröffentlicht IPCC nun alle fünf bis sechs Jahre einen umfassenden Bericht zum aktuellen Stand des Klimawissens. Zusätzlich erscheinen in unregelmässigen Abständen sogenannte «Special Reports» zu ausgewählten Themen aus der Klimaforschung (siehe dazu auch Blogbeitrag von Boris Orlowsky >siehe weiterführende Links).

Wissenschaftlichkeit, Transparenz, Offenheit und politische Unabhängigkeit

Die Verlässlichkeit der Informationen in den IPCC-Berichten ergibt sich durch eine ganze Reihe von Vorkehrungen. Diese sind gestützt auf die Grundsätze Wissenschaftlichkeit, Transparenz, Offenheit und politische Unabhängigkeit. Die Einhaltung dieser Grundsätze wird durch Verfahrensregeln und Institutionen gewährleistet und überwacht.

Die Berichte enthalten eine Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger, welche die Regierungen jeweils Wort für Wort genehmigen. Damit anerkennen sie, dass die Berichte korrekt den momentanen Wissensstand widerspiegeln. Übrigens: Dabei wird nicht Konsens um jeden Preis angestrebt. Sind bestimmte Forschungsergebnisse unsicher oder wissenschaftlich stark umstritten, muss das in den Berichten auch entsprechend dargestellt werden.

Wer arbeitet mit bei den Klimaberichten?

Ein Klimabericht besteht aus drei Teilberichten, die von je einer Arbeitsgruppe verfasst werden. Sie beschäftigen sich (i) mit den physikalisch-wissenschaftlichen Grundlagen, (ii) mit den Folgewirkungen sowie der Verletzlichkeit und Anpassung und (iii) mit Möglichkeiten zu Gegenmassnahmen. Der Weltklimarat betreibt dabei selbst keinerlei Forschung. Er fasst bloss schon bestehende Forschungsergebnisse zusammen und beurteilt sie auf deren Zutreffen, Robustheit und Unsicherheiten.

Die drei Arbeitsgruppen werden für jede Berichtsrunde neu zusammengestellt. So bestehen die Arbeitsgruppen, die zurzeit am fünften Klimabericht arbeiten, zu zirka 75% aus neuen Autoren. Die führenden Autoren werden dabei in erster Linie nach wissenschaftlicher Qualifikation ausgewählt. Doch gemäss dem Prinzip der Offenheit wird auch angestrebt, dass Autoren wie Begutachter breit abgestützt sind. So werden auch Fachleute aus Industrie und Interessengruppen wie beispielsweise Umweltverbänden oder sogenannten Klimaskeptikern gezielt und in ausgewogener Weise um Mitarbeit gebeten.

Die grossen Klimaberichte werden im Rhythmus von rund sechs Jahren verfasst; veröffentlicht wurden die bisherigen Berichte 1990, 1996, 2001 und 2007. Am letzten Bericht haben 1'369 Autoren mitgearbeitet sowie über 2'500 Gutachter aus mehr als 130 Ländern. Vergleicht man das mit dem Bericht der Klimaskeptiker, dem sogenannten NIPCC-Bericht, so haben da lediglich total 39 Personen mitgearbeitet, inklusive Sekretärinnen und Begutachter. Zudem ist der NIPCC-Bericht - verfasst durch selbsternannte Autoren - kein Musterbeispiel an Transparenz, Wissenschaftlichkeit oder politischer Ausgewogenheit.

Funktionsweise des Weltklimarats

Die Autoren der IPCC-Berichte nehmen verschiedene Rollen ein: Es gibt koordinierende Hauptautoren («Coordinating Lead Authors»), Hauptautoren («Lead Authors») und unterstützende Autoren («Contributing Authors»).

Geführt werden die Arbeitsgruppen durch je zwei Vorsitzende («Co-chairs»), die typischerweise aus einem Industrie- und einem Entwicklungsland stammen, sowie dem mehrköpfigen Vizepräsidium («Bureau»).

Unterstützung bei der Berichtsverfassung erhalten die Arbeitsgruppen von einer «Technischen Unterstützungseinheit» (TSU). Gastland für die TSU der ersten Arbeitsgruppe (physikalisch-wissenschaftlichen Grundlagen) für den kommenden fünften Klimabericht ist übrigens die Schweiz (Uni Bern).

Schliesslich wird die gesamte Organisation geleitet durch den Vorsitzenden, zurzeit Dr. Rajendra K. Pachauri, das schlanke Sekretariat in Genf sowie durch die Delegiertenversammlung aus den Vertretern der Mitgliedsländer, dem obersten Entscheidungsorgan.

Aufwändige und strikt geregelte Begutachtungsrunden

Jeder IPCC-Bericht wird sehr aufwändig erarbeitet. Mehrere völlig offene Begutachtungsrunden sind entscheidend dafür, dass die Berichte breit abgestützt sind und von möglichst vielen Fachleuten inhaltlich als korrekt befunden werden. Bei den Begutachtungsrunden gelten strikte Regeln. Insbesondere müssen alle Aussagen durch Quellenangaben zurückverfolgbar und sauber untermauert werden (Wissenschaftlichkeit, Transparenz). Zu allen Kommentaren müssen die führenden Autoren schriftlich Stellung nehmen. Sogenannte Begutachtungseditoren («Review Editor») gewährleisten, dass alle Kommentare ausgewogen und wissenschaftlich korrekt behandelt worden sind. Kommentare sowie Stellungnahmen müssen veröffentlich werden.

Die Arbeit an einem einzigen Bericht erstreckt sich über mehr als vier Jahre und erfordert von den Autoren Höchstleistungen. So habe ich beispielsweise mit meinem Team beim letzten Bericht 3'081 Arbeiten begutachtet und davon 915 zitiert - was zu einer 45 Seiten langen Literaturliste führte. 96% der zitierten Quellen waren wissenschaftliche Artikel aus peer-reviewten Zeitschriften; Artikel also, die bereits durch Wissenschaftler mit Fachkenntnis begutachtet wurden. Die restlichen 4% entfielen hauptsächlich auf Berichte von Regierungen oder akademischen Instituten beziehungsweise auf eine Dissertation.

Es gilt übrigens manchmal auch Berichte von Umweltverbänden oder Klimaskeptikern zu beurteilen, insbesondere wenn Politiker eine Beurteilung durch die Wissenschaft wünschen. Damit wird klar, dass entgegen anderslautenden Unkenrufen auch die sogenannte «graue Literatur» - die nicht gleichermassen strikt durch Fachleute begutachtet wurde - in den Klimaberichten mitberücksichtigt werden muss. Aus dieser Tatsache konstruierte Vorwürfe sind also unangebracht.

Wer vom Klimawandel erst vor kurzem gehört hat, mag verblüfft sein

Trotz all dieser Vorkehrungen und Massnahmen hat sich gezeigt, dass der Weltklimarat vor Fehlern nicht gefeit ist. Im letzten Bericht wurde im Asienkapitel ein äusserst peinlicher Detailfehler gemacht: Der Zeitpunkt des Abschmelzens der Himalaya-Gletscher wurde viel zu früh auf das Jahr 2035 angegeben. Dank der Transparenz war es für mich ein Leichtes festzustellen, wie dieser Fehler und die dazugehörigen Regelverletzungen passieren konnten: Die Autoren verwendeten untaugliche populärwissenschaftliche Quellen (einen Artikel aus «New Scientist»), kritische Gutachter begründeten ihre Ablehnung nicht und wurden missverstanden und nach dem Druck waren alle Autoren froh die langjährige Arbeit abgeschlossen zu haben und wendeten sich wieder anderen Aufgaben zu, statt eine Korrektur zu verfassen.

Dem Weltklimarat wegen dieses einen klaren Fehlers jedoch Alarmismus vorzuwerfen erachte ich für völlig verfehlt. Dies zeigt beispielsweise auch die Tatsache, dass sich der Weltklimarat vier Berichte und damit viele Jahre Zeit gelassen hat, um den Klimawandel der letzten 50 Jahre als «sehr wahrscheinlich menschgemacht» einzustufen. Im ersten Bericht (1990) wurde die Möglichkeit in Betracht gezogen, im zweiten (1996) menschliche Einflüsse als erkennbar bezeichnet und im dritten (2001) als wahrscheinlich eingestuft (66-90%). Erst im vierten (2007) erfolgte die Einstufung sehr wahrscheinlich (90-99%). Wer erst ab da zuzuhören begonnen hat, mag vielleicht etwas verblüfft sein. Aber Hand aufs Herz: Ist das die Handschrift von Alarmisten? Natürlich nicht, es ist das verantwortungsvolle Beurteilen sich allmählich herauskristallisierender wissenschaftlicher Erkenntnisse, das weder Über- noch Untertreibungen duldet und ungeachtet jeglicher politischer Unbequemlichkeit der wissenschaftlichen Erkenntnis verpflichtet ist.

Ja der Weltklimarat ist nicht unfehlbar, aber er ist aufgrund seiner Arbeitsweise und den angewandten Grundsätzen nach wie vor klar die verlässlichste Informations- und Entscheidungsgrundlage in Klimafragen. Gäbe es den Weltklimarat nicht, so meine ich, müsste man ihn erfinden!

Lesetipps

NZZ, 14. November 2007: «Die Arbeit im Intergovernmental Panel on Climate Change - Klimaforschung und die schwierige Suche nach einem politisch belastbaren Konsens.» Prof. Andreas Fischlins Erlebnisbericht zur Arbeit als koordinierenden Hauptautor beim vierten Klimabericht >siehe weiterführende Links

Vierter Sachstandsbericht des IPCC «Klimaänderung 2007», deutsche Übersetzung >siehe weiterführende Links

«Klimaänderung 2007»: Wissenschaftliche Grundlagen: häufig gestellte Fragen und Antworten >siehe weiterführende Links (PDF 8.1 MB)

Fischlin, A. et al., 2007. Ecosystems, their properties, goods and services. In: Parry, M. L. et al. (eds.). Climate change 2007: Impacts, adaptation and vulnerability. Contribution of Working Group II to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel of Climate Change (IPCC). Cambridge University Press: Cambridge, UK. 211-272. >siehe weiterführende Links

Website des Weltklimarats IPCC: >siehe weiterführende Links

Website der deutschen IPCC-Koordinierungsstelle; mit deutschen Informationen zu IPCC: >siehe weiterführende Links

(Prof. Andreas Fischlin/ETH-Zukunftsblog)

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Lesen Sie weitere Beiträge und diskutieren Sie mit auf: www.ethz.ch/zukunftsblog

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