Der Spezialfall Genf

publiziert: Mittwoch, 24. Mai 2006 / 10:22 Uhr / aktualisiert: Donnerstag, 25. Mai 2006 / 09:03 Uhr

Genf - Seit etwa zehn Jahren werden Stadt und Kanton Genf immer wieder von Polit-Skandalen erschüttert. Die Häufung in den letzten drei Jahren mit Casino-, Betreibungsamts-, Immobilien- und zuletzt der Bussen-Affäre wirft Fragen auf. Ein Erklärungsversuch.

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«Hier in Genf werden die Skandale sicher schneller publik als anderswo», sagt Peter Tschopp, ehemaliger FDP-Nationalrat aus Genf. Weshalb dem so sei, wisse er nicht. Er kenne die Kreise nicht, die die Medien mit Indiskretionen belieferten. Klar sei aber, dass es immer Kreise gegeben habe, die über Missstände in Genf Bescheid gewusst hätten.

Ob es in Genf auch häufiger Anlass zu Polit-Skandalen gebe als andernorts, könne er nicht sagen, erklärt Tschopp. Dazu fehlten ihm die Detailkenntnisse aus anderen Regionen.

Ideologischer Graben

Pascal Sciarini, Politologie-Professor in Lausanne, ortet einen Grund für die Häufung der Skandale im tiefen ideologischen Graben, der die politischen Lager in Genf teilt. «Diese Skandale sind auch das Resultat der für Schweizer Verhältnisse extrem starken Polarisierung», sagt er.

Der Graben zwischen links und rechts sei allgemein grösser in der Romandie, am stärksten sei er aber in Genf - wegen des Einflusses Frankreichs, vermutet Sciarini. Dieser sei in Genf wohl schon allein wegen dem Umstand gross, dass die Grenze zur Restschweiz nur 4 Kilometer messe, während die Grenze zu Frankreich über 200 Kilometer lang sei.

Konkret rührt nach Ansicht Sciarinis die Polarisierung im Links-Rechts-Schema daher, dass rechts von CVP und FDP vor allem die Liberalen und in jüngster Zeit auch die SVP diese traditionellen bürgerlichen Parteien herausfordern und zu einem ausgeprägteren Rechtskurs zwingen. Gleichzeitig ziehen auf der Linken nicht weniger als vier Kleinparteien trotzkistischer oder kommunistischer Prägung die SP und in vermindertem Masse die Grünen Richtung links.

Harte politische Sitten

Bei dieser spannungsgeladenen Situation werde dann schon mal hart auf den Mann oder die Frau gespielt, erklärt Sciarini weiter. Dies kann Politiker auch das Amt kosten. So wurden etwa Micheline Spoerri (Liberale) und Gérard Ramseyer (FDP) nach Polit-Affären abgewählt.

Tschopp glaubt nicht an Sciarinis These. Vielmehr sieht er strukturelle Gründe für die zahlreichen Genfer Polit-Theater. Genf habe von Napoleon ein zentralistisches System geerbt, mit einem starken Kanton.

Um die Macht des Staats einzuschränken, habe man später 45 Gemeinden geschaffen. Anders als in der übrigen Schweiz hätten diese Gemeinden de facto aber keine Macht. «Wer eine Baubewilligung will, muss sich hier an den Kanton wenden», so Tschopp. Solche Strukturen öffneten klientelistischen Tendenzen Tür und Tor.

Tschopp: Mangel an Politikern mit Format

«Dazu kommt, dass es heute einfach nicht mehr das politische Personal mit dem nötigen Format gibt», erklärt Tschopp. Dies auch deshalb, weil das Politikerdasein in Genf sehr viel Zeit beanspruche.

Das Genfer Kantonsparlament zählt 24 ständige Kommissionen, während es im Schnitt in anderen Kantonen nur 7 sind. Dies führte in Genf im letzten Jahr zu 700 Kommissionssitzungen. Der Schweizer Durchschnitt beträgt 100.

Soviel Zeit könne von Persönlichkeiten mit einem verantwortungsvollen Beruf nicht mehr aufgebracht werden, sagt Tschopp, der aber auch einer «moralischen Verluderung» die Schuld am Mangel an politischem Personal gibt. Verantwortlich dafür macht er unter anderem den Reichtum des Genfer Finanzplatzes.

Dieser wecke überall in der Bevölkerung Begehrlichkeiten und fördere die Tendenz, den Lohn eigenmächtig aufzubessern. «Davon sind nicht nur Politiker betroffen», ist Tschopp überzeugt. Auch der Missbrauch bei den Sozialversicherungen sei in Genf höher als anderswo.

(Von Thomas Zimmermann/sda)

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