Der Vorhang ist gefallen

publiziert: Montag, 28. Jul 2003 / 08:58 Uhr / aktualisiert: Mittwoch, 8. Jun 2005 / 18:01 Uhr

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Das gigantischste Sportdrama der Welt hat seinen Abschluss gefunden. Und im Gegensatz zu den letzten Jahren war der Sieg nicht schon nach einer Woche sicher in den Händen des Favoriten, sondern noch bis zum vorletzten Tag hart umkämpft. Vom Duell Ullrich gegen Armstrong wurde schon genug geschrieben. Das soll hier nicht nochmals getan werden. Die Tour bot noch viel mehr an Drama, die fast schon Shakespear'sche Dimensionen erreichten. Krankheiten dezimierten das Feld, so dass zum Beispiel die Fassa Bortolo Mannschaft des siebtplazierten Ivan Basso schon nach einer Woche zwei Drittel der Fahrer verloren hatte. Andere Fahrer, darunter auch Ullrich und Armstrong, durchlitten gesundheitliche Krisen, die sie fast zum Aufgeben zwangen. Dann die Stürze. Von den ersten sechs des Gesamtklassements stürzten vier mindestens einmal mit mehr oder weniger gravierenden Folgen. Tyler Hamilton schaffte es, mit seinem zweifach gerissenen Schlüsselbein eine schwere Bergetappe in einer Soloflucht für sich zu entscheiden. Auch die meisten anderen Gestürzten fuhren weiter, blutende Wunden hin, geschwollene Gelenke und schmerzhafte Prellungen her. Andere mussten aufgeben, wobei der Mitfavorit Joseba Beloki, der dieses Jahr so stark und aggressiv wie noch nie zuvor fuhr, von einem der grausigsten Stürze dieser Tour ereilt wurde. Sein Hinterrad riss nach einem kleinen Fahrfehler bei einem Bremsmanöver aus und der Collé löste sich von der Felge. Das querstehende Rad blockierte und der Oncé-Kapitän wurde mit brutaler Gewalt auf den Asphalt geschleudert, während Lance Armstrong die Abkürzung über die Wiese nehmen musste. Die Folge waren zigfach wiederholte Fernsehbilder und bei Beloki ein gebrochenes Handgelenk, Ellbogen und Oberschenkelhals. Der Zeitfahrspezialist Uwe Peschel hingegen konnte nach einem Ausrutscher auf dem verregneten Zeitfahrparcours zwar noch die Etappe mit einer sehr guten Zeit beenden. Doch wurde ihm - gegen seinen heftigen Protest - verboten, die letzte Etappe zu fahren. Er hatte sich Rippenbrüche geholt und die Ärzte liessen ihn nicht mehr aufs Rad, dies obwohl der Spätzünder Peschel mittlerweile viel Routine in Sachen Knochenbrüchen haben muss (die Eingabe "Peschel" und "Sturz" in Google zeigt erschlagend viele Treffer). Neben Peschel konnten ein gutes Viertel der Fahrer die letzte Etappe nach Paris nicht mehr antreten. Neben Stürzen und Krankheiten forderten auch die Hitze, das Zeitlimit und Lebensmittelvergiftungen ihren Tribut gefordert. Der Schrecken der Tour der France wurde durch positive Bilder und Momente kontrastiert, die erschauern liessen. Die Zuschauermassen an der Alpe d'Huez und in den Pyrenäen waren unglaublich. Der Enthusiasmus, der allen Fahrern entgegenbrandete, egal welcher Nation und Mannschaft der sie angehörten, phänomenal. Ein faireres Publikum ist kaum vorstellbar. Ebenso die Fairness unter den Fahrern. Viele Sportreporter, die scheinbar das Nachtreten in Fussballspielen als Normalverhalten betrachten, kritisierten Jan Ullrich dafür, dass er in der Steigung nach Luz Ardidenne auf den gestürzten Lance Armstrong gewartet hatte. Sie konnten nicht begreifen, dass Menschen, die unglaubliche Leiden für den Sieg auf sich nehmen, auch in der heissesten Rennphase Fairplay praktizieren. Auch jetzt noch starten die Fahrer unter dem Generalverdacht des Dopings. Doch solche Aktionen wie von Ullrich lassen nachtretende Fussballspieler und schimpfende Tennisspieler wie unzivilisierte Rüppel aussehen. Doch Radsport IST anders. Er ist härter, intensiver und grossartiger als die meisten anderen sportlichen Wettkämpfe. Doch auch der Radsport ist in Gefahr. Ausgerechnet die Tour de France, die den Radsport so stark ins allgemeine Interesse rückt wie kein anderes Ereignis, ist dabei, die anderen Rennen und Rundfahrten zu deklassieren und zu verdrängen. Auch an Giro d'Italia, Vuelta, Tour de Suisse, Midi Libre und Dauphine Liberé wird gelitten und gekämpft. Doch für diese Wettkämpfe schwindet die Aufmerksamkeit von Jahr zu Jahr. Es wird Zeit, diese Rennen wieder ins Bewusstsein zurückzurufen, weil sonst dieser wunderbare Sport vom Riesen Tour de France erdrückt wird.

(Patrik Etschmayer/news.ch)

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