Die Verantwortung der Anderen

publiziert: Montag, 18. Jun 2007 / 11:47 Uhr / aktualisiert: Dienstag, 19. Jun 2007 / 11:04 Uhr

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Pascal Couchepin war sichtlich irritiert, als Ueli Maurer unmittelbar nach der Annahme der 5. IV-Revision eine sechste forderte und dabei schon wieder griffige Schlagworte wie 'Auslandsrenten' und natürlich 'Missbrauch' vorbrachte. Couchepin wunderte sich vor allem darüber, dass diese Themen nicht bereits in der Vernehmlassung zur soeben angenommenen Revision eingebracht worden waren, dürften diese Punkte doch nicht eben erst aufgetaucht sein.

Viel mehr entsteht der Eindruck, dass die SVP nach dem auf immer kleinerer Flamme köchelnden Ausländersüppchen dringend ein neues Dauerthema braucht, mit dem sich im Wahljahr die politische Speisekarte auffrischen lässt.

Natürlich wird es auch nach dieser IV-Revision immer noch Missbräuche geben. Aber das ist ja eigentlich gar nicht das Thema. Viel mehr geht es darum, dass eine klar definierte Gruppe unter einen Generalverdacht gestellt werden kann: Wer nicht gerade taub-blind im Rollstuhl sitzt und trotzdem IV bezieht, muss sich unterdessen fragen lassen, warum denn.

Die andere Frage wird hingegen wesentlich weniger gestellt: warum scheint unsere Gesellschaft immer mehr physisch und vor allem psychisch Behinderte zu erzeugen? Es sind ja auch vor allem die psychischen Fälle, die am kontroversesten sind. Kann es denn sein, dass ein äusserlich gesund scheinender, auch nicht an einer Geisteskrankheit leidender Mensch arbeitsunfähig ist? Dass Leute durch die ständigen Belastungen im Job so stark gestresst werden, dass es ihnen nicht mehr möglich ist, einer Arbeit nach zu gehen?

Diese Frage wurde eben in Frankreich auf erschütternde Weise beantwortet, wo es in den beiden grossen Autokonzernen zu einer Welle von Suiziden gekommen ist. Acht Leute haben sich dort auf Grund der Belastungen am Arbeitsplatz das Leben genommen. Vermutlich haben diese Unglücklichen einfach zu gut funktioniert und brachen nicht vollständig zusammen sondern setzten ihrem Leiden unter unmenschlichen Leistungsforderungen selbst ein Ende.

Auch in der Schweiz werden die immer höheren Belastungen spürbar. Von Arbeitnehmern wird bei hohem Lohndruck – trotz hervorragender Unternehmenszahlen – immer mehr Leistung und Flexibilität gefordert. Vakante Stellen werden vielfach nicht mehr besetzt sondern es wird versucht, diese Arbeiten einfach anderen Angestellten aufzuschultern. Die Frustration unter diesen wächst ebenso wie der Stress. Dies ebenso in der Privatwirtschaft wie im öffentlichen Bereich.

Die SVP wird sich aber hüten, die Wirtschaft wegen ausbeuterischem Verhalten anzugreifen oder gar zu fordern, dass durch die höhere Arbeitsbelastung in manchen Behörden mehr Leute angestellt werden müssten (die Unterstellung, dass Lehrer vor allem wegen Unfähigkeit an Burn-Out litten, ist immer noch einer der Tiefstpunkte in dieser Debatte). Stattdessen geht sie weiterhin auf die IV-Bezieher los.

Dabei müssten doch ebenso die IV-Produzenten unter die Lupe genommen werden. Wenn sich bei gewissen Unternehmen und Verwaltungen IV-Fälle häufen, müsste eine Intervention von der Seite der Versicherung her und sogar das Verlangen von Veränderungen möglich sein. Genau so wie das Erschleichen von IV-Renten ein kriminelles Vergehen ist, müsste auch das bewusste Inkaufnehmen des psychischen oder physischen Ruins seiner Angestellten bestraft werden.

Doch wahrscheinlich wird eine solche Idee – zumindest von der SVP – nicht in die nächste Revision dieser Versicherung eingebracht. Denn Verantwortung fordert man vor allem von anderen.

(von Patrik Etschmayer/news.ch)

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