Traditionelle Verbindungen herrschen in der Schweiz und in Deutschland heute noch prozentual vor, aber die nachfolgenden Generationen definieren Beziehungen zum Teil völlig neu und finden zu gänzlich anderen Arrangements. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Internet. Erwartungen und Wünsche sind keinesfalls mehr für ein ganzes Leben festgeschrieben, sondern werden zunehmend durch die eigene momentane Situation bestimmt und immer wieder hinterfragt. Die Welt des Einzelnen ist sehr vielfältig und komplex geworden. Ebenso werden es seine Beziehungen sein.
Traditionelle Beziehungen
Die traditionelle Liebesbeziehung wird in Mitteleuropa seit etwa einhundert Jahren gelebt. Mit der Herauslösung der Menschen aus verfestigten Standes- und Moralvorstellungen ergaben sich Möglichkeiten der freien Partnerwahl und zunehmend auch Varianten der offeneren Beziehung. Noch in den fünfziger Jahren galten Geschiedene oder Homosexuelle als stigmatisiert, unverheiratete Paare waren gesellschaftlich unmöglich.
Heute sind diese Formen längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen und werden allgemein akzeptiert. Nach einer Erhebung der Partneragentur
Parship.ch leben etwa 69 Prozent der Schweizer zwischen achtzehn und neunundsechzig Jahren in einer Partnerschaft, 27,3 Prozent davon, über ein Viertel, empfinden die Beziehung als sehr glücklich.
Insgesamt ist auch bei traditionell geführten Beziehungen eine Liberalisierung, die zunehmend von der Öffentlichkeit anerkannt und adaptiert wird, zu verzeichnen. Gleichgeschlechtliche Ehen sind längst kein Tabuthema mehr. Das Rollenverständnis in festen Beziehungen wird immer wieder neu diskutiert und ändert sich. Beziehungen wandeln sich in ihrem Verständnis von Treue und Exklusivität.
Ob mit Trauschein oder ohne, eine dauerhafte Partnerschaft wird immer noch von vielen gewünscht. In der paarship.ch-Umfrage bezeichnen sich circa 4,5 Prozent der Befragten als Menschen in unverbindlichem Beziehungsstatus («Mingles»). Ein hoher Prozentsatz dieser Personengruppe sucht nach einer festen Beziehung. Während Schweizer Singles dies eher nicht tun.
Der Sehnsucht nach Stabilität steht das zunehmende Bedürfnis nach individueller Freiheit gegenüber. Das Internet, der virtuelle Raum erweitern die Wahlmöglichkeiten. Die ausschliesslich monogame Bindung kann jederzeit aufgebrochen werden und ist eher vom eigenen individuellen Empfinden als von Verantwortungen und äusseren Ansprüchen abhängig. Empty-Shell-Beziehungen, Partnerschaften, in denen jeder sein eigenes Leben lebt, können ein temporäres Arrangement darstellen, um beispielsweise die Kinder gemeinsam zu erziehen. Gleichzeitig wird aber versucht, die eigenen Interessen und Beziehungswünsche zu entwickeln.
Polyamore Beziehungen
Beziehungen zu mehr als einem Partner sind längst keine Seltenheit mehr. In einer sich ständig wandelnden, Mobilität und Flexibilität einfordernden Gesellschaft steigen nicht nur die Anforderungen an den Einzelnen, sondern erweitern sich auch dessen Wunsch- und Erwartungshaltungen. Diese auf einen einzigen Menschen exklusiv und dauerhaft zu projizieren wird zunehmend schwieriger.
Das Internet als Multiplikator und Raum des Austauschs spielt dabei eine grosse Rolle. Verbindlichkeit kann mit mehreren gelebt werden. Liebesbeziehungen zu unterschiedlichen Menschen zur gleichen Zeit sind verlässlich möglich.
Andreas Steinle vom renommierten Kelkheimer Zukunftsinstitut sieht in individuell ausgehandelten Arrangements die Zukunft der Beziehungen. Wandlungen der Parameter im Spannungsfeld von Partnerschaft, Liebe und Sexualität stehen mit dem Wandel von Familienformen und der Neubestimmung von Geschlechterrollen im engen Zusammenhang.
Der Einzelne wird zunehmend weniger von Konventionen bestimmt, sondern handelt freiwillig und eigenständig sowie transparent seine Beziehungsmodalitäten anderen aus. Die Offenheit der Kommunikation ermöglicht eine dauerhafte Verbindlichkeit der Beziehung. Das Verdikt der Treue gehört damit nicht der Vergangenheit an, sondern es wird modifiziert. Tragfähige Beziehungen, in denen man zum Beispiel gemeinsam Kinder erzieht, werden nicht aufgegeben, sondern transparent und in Absprache mit allen Beteiligten erweitert. Dieser Trend steht der Angst vor zunehmend volatilen Beziehungen entgegen.
Singles
Singles gelten längst nicht mehr als unglückliche oder nur auf sich selbst bezogene Randgruppe. Nach der Parship.ch-Studie vom Juni 2014 bezeichnen sich 27 Prozent als Singles. Die meisten der Befragten, circa 90 Prozent, fühlen sich auch ohne Beziehung wohl. Der überwiegende Teil (80 Prozent) dieser Gruppe hat bereits Beziehungserfahrungen.
Etwa die Hälfte der befragten Singles hat seine Ansprüche an eine Beziehung beibehalten, der andere Teil hat sie im Laufe der Jahre erhöht.
Als positive Gesichtspunkte des Single-Lebens gelten vor allem Unabhängigkeit (86 Prozent) und bessere Voraussetzungen, sich der eigenen Karriere zu widmen (76 Prozent). Zudem wäre es für Singles leichter, da sie alle Entscheidungen alleine treffen könnten (71 Prozent). Diese Ergebnisse spiegeln auch Wunschvorstellungen und zeigen, was den Einzelnen an ihrem Leben wichtig ist: Unabhängigkeit, Karriere sowie Entscheidungsfreiheit werden eindeutig positiv besetzt.
Eine Mehrheit der Befragten, geht davon aus, dass es in Zukunft mehr Singles geben werde. Dies korrespondiert mit dem hohen Wert, den die Befragten der Möglichkeit zur Selbstverwirklichung einräumen. Für 85 Prozent dominiert diese in Beziehungen.
Bei der Suche nach einem Partner gelten Freundeskreis, Arbeitsplatz und Ausgang als erfolgversprechendste Wege.
Bereits mehr als fünfzig Prozent aller Befragten denken, dass man heute einen Partner über das Internet finden kann. Zwanzig Prozent haben diese Möglichkeit auch bereits genutzt.
Beziehungen zwischen Mensch und Maschine
Künstliche Intelligenz ist omnipräsent und bestimmt unser Leben entscheidend. Unsere Wahrnehmung verändert sich und akzeptiert Maschinen zunehmend auch im emotional-persönlichen Bereich als Partner.
Nach der Umfrage von paarship.ch können sich heute schon fast fünfzig Prozent der 19- bis 29-Jährigen emotionale Beziehungen zu künstlichen intelligenten Systemen vorstellen. Die rasante Entwicklung auf diesem Gebiet geht bereits weit über das Roboter-Haustier hinaus. Wissenschaftsbereiche wie die Anthropomatik befassen sich mit der Erforschung der Beziehungen zwischen Mensch und Maschine. Die Informatik erfasst mehr und mehr auch emotionale Bereiche.
Intelligente, menschengerechte Systeme können in Perspektive zunehmend zu Partnern werden. Zwar glauben heute noch knapp 64 Prozent daran, dass eine Maschine einen Menschen niemals vollständig ersetzen kann. In der Realität werden aber durch Smartphones, Tablets etc. bereits grosse Teile unserer Kommunikation mit androiden Systemen abgedeckt. Der virtuelle Austausch beeinflusst unsere Wahrnehmung und löst Emotionen aus, die kein menschliches Gegenüber mehr benötigen. Intelligente Systeme sind heute bereits in einem gewissen Rahmen zu eigenständigen Reaktionen fähig, die auf das spezielle Individuum reagieren.
In der Gruppe der 20- bis 29-Jährigen halten 25 Prozent eine Beziehung mit einer intelligenten Maschine im Falle von Einsamkeit für denkbar. In dem Masse, in dem das eigene Ich als selbständig erkannt wird, können Beziehungen zu intelligenten Systemen zumindest temporär Aspekte einer Partnerschaft annehmen.
Partnersuche
Die Partnersuche im Internet wird heute gesellschaftlich allgemein akzeptiert. Neben Freundeskreis, Ausgehen und Arbeitsplatz belegt das Internet mit 55 Prozent den vierten Platz bei den Möglichkeiten, einen Partner zu finden.
Die Gründe hierfür sind vielfältig, liegen aber wohl vor allem auch in den Anforderungen, die Arbeit und Alltag an den einzelnen stellen. Es bleibt einfach insgesamt weniger Zeit, die man in eine aktive Partnersuche investieren kann. Als einen Hauptvorteil von Partnersuchen über das Internet geben 42 Prozent dann auch die Möglichkeit der selektiven Suche an: Die Suche über das Internet kann man effektiv gestalten und so Zeit gewinnen, Enttäuschungen, in gewissem Masse, von vornherein dezimieren.
Ein konstruktiver Umgang mit dem Internet ermöglicht eine Erweiterung des individuellen Handlungsspielraums. Das Netz hat sich von einer Datenbank für Nerds zu einem allgemein genutzten sozialen Versammlungsort entwickelt.
Kontakt- und Austauschplattformen werden entsprechend allgemein genutzt. Die Barrieren der zwischenmenschlichen Kommunikation sind zunächst geringer.
Wie Menschen in Perspektive mit den variablen Möglichkeiten der Gestaltung ihrer Partnerschaften umgehen und welchen Einfluss das Netz und intelligente Systeme dabei auf ihre sozialen und emotionalen Beziehungen haben werden, lässt sich noch nicht festschreiben. Doch Fakt ist, dass sich ein Grossteil der jüngeren Generation diesen Chancen gegenüber insgesamt sehr offen zeigt.
(tl/IFJ)