Die graue Energie in Smartphones und Würsten

publiziert: Montag, 23. Mrz 2015 / 09:10 Uhr / aktualisiert: Montag, 23. Mrz 2015 / 19:15 Uhr

Die Volksinitiative «Energie-statt Mehrwertsteuer», über die demnächst abgestimmt wird, ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine scheinbar einfache Frage zu einer äusserst komplizierten, weltumspannenden Analyse führen kann, die mehrere wissenschaftliche Bereiche umfasst.

Die Debatte rund um die Volksinitiative dreht sich zu einem grossen Teil darum, ob diese sinnvoll ist oder nicht. Als Forscher im Bereich Energie und Umwelt mit Kenntnissen in Life Cycle Assessment (LCA, zu Deutsch Lebenszyklusanalyse oder Ökobilanz) fragte ich mich, wie man die vorgeschlagene neue Energiesteuer berechnen würde.

Die LCA ist ein wissenschaftlicher Bereich, der sich spezifisch mit den Umweltauswirkungen von Produkten befasst. Die Methode folgt dabei einem recht einfachen Prinzip: Die Auswirkungen werden in Kategorien wie Produktion, Transport, Nutzung und Entsorgung unterteilt. Dann wird jede Kategorie weiter in Unterkategorien aufgeteilt, beispielsweise in Stahl- und Plastikproduktion. Für die Herstellung von Stahl wiederum benötigt man Eisenerz und Kohle, und so weiter. Am Schluss multipliziert man diese Auswirkungen mit dem Anteil der jeweiligen Komponente am Produkt und zählt alles zusammen. Nun frage ich mich, wie dies bei der Berechnung der Energiebelastung eines Smartphones oder einer Wurst oder sonst irgendeines der Zehntausenden von Konsumgütern in der Schweiz funktionieren würde.

Eine wahrlich globale Angelegenheit

Beginnen wir mit dem Smartphone: In der Schweiz werden keine Smartphones hergestellt. Das heisst, sie werden alle von irgendwo - normalerweise China, Taiwan oder Korea - in Versandschachteln mit Plastiktüten, Bedienungsanleitungen usw. hierher transportiert. Der Transport und sämtliche Verpackungsmaterialien verbrauchen eine gewisse Menge an Energie. In der Fabrik wird ein einzelnes Smartphone aus etwa 500 Einzelteilen zusammengesetzt, wobei diese (mit Ausnahme von zehn Komponenten) alle sehr klein sind. Alle diese Teile werden irgendwo hergestellt und dann in die Fabrik gebracht, in der sie zusammengebaut werden, was zu mehr Verpackung und Transport und somit auch zu weiterem Energieverbrauch führt.

Die Einzelteile selbst werden aus mindestens zwei Dutzend verschiedenen Mineralien wie Gold, Tantal, Zinn, Kupfer, Glas und Öl (für das Plastik) gefertigt. All dies wurde an irgendeinem anderen Ort auf der Welt aus dem Boden gewonnen. Die Mineralien werden auf dem weltweiten Rohstoffmarkt gehandelt, weshalb oft nicht nachvollziehbar ist, woher sie stammen und wie weit sie gereist sind. Manchmal wurden einige der verwendeten Materialien auch rezykliert, was oft weniger Energie verbraucht.

Eine solche Berechnung trifft jeweils nur auf ein bestimmtes Handymodell zu. Ein anderes Modell, bei dem Bildschirm, Hülle und Batterie anders sind, benötigt in der Herstellung nicht die gleiche Menge Energie. Ein gutes Beispiel ist die LCA für das Fairphone, die als Projekt im Rahmen einer Masterarbeit durchgeführt wurde.

Das Leben einer Wurst

Man könnte einwenden, dass ein Smartphone schliesslich ein High-Tech-Gerät und daher logischerweise äusserst komplex ist. Betrachten wir daher stattdessen eine Wurst: Wenn man ins tiefste Zürcher Oberland fährt, gibt es dort vermutlich in einem Dorfladen köstliche, hausgemachte Würste zu kaufen, produziert von einem ortsansässigen Bauern, der Sonnenkollektoren auf dem Dach sowie eine Biogasanlage hat. Da wurde alles lokal aus erneuerbaren Energien hergestellt.

Wenn man aber stattdessen im Supermarkt eine Chorizo kauft, wird es gleich viel komplizierter. Zunächst wäre da die Energie, die benötigt wird, um die Wurst aus Spanien in die Schweiz zu bringen. Dann braucht es Energie für die Haltung der Schweine. Natürlich darf eine Wurst gemäss den EU-Regelungen selbst dann als spanisch deklariert werden, wenn die dafür verwendeten Tiere den grössten Teil ihres Lebens in einem völlig anderen Land verbracht haben (weshalb auch mehr Parmaschinken verkauft wird, als je mit den in der Emilia-Romagna gezüchteten Schweinen produziert werden könnte). Es ist offensichtlich sehr aufwändig, das Leben und den Energieverbrauch eines einzelnen für die Wurstproduktion verwendeten Schweins zurückzuverfolgen.

Viehfutter besteht oftmals aus einer Mischung von importiertem Getreide, Hülsenfrüchten wie Soja aus Argentinien und Maniok aus Afrika. Diese werden - genau wie die Mineralien im obigen Smartphone-Beispiel - auf dem weltweiten Rohstoffmarkt gehandelt, weshalb auch hier oft nicht nachvollziehbar ist, woher sie stammen und wie weit sie gereist sind. Soja wird mithilfe von Dünger und Pestiziden angebaut, deren Herstellung Energie verbraucht. Viele in Lateinamerika verwendeten Soja-Arten sind genetisch verändert und patentiert. Sie können sich nicht natürlich vermehren, weshalb die Bauern das Saatgut jedes Jahr von Agrarunternehmen neu kaufen müssen. Diese Unternehmen betrachten Informationen über die für die Herstellung dieses Saatguts benötigte Energie als wirtschaftlich sensibel, sodass sie gegenüber Anfragen von Forschern in der Regel nicht gerade empfänglich sind.
Auch diese Berechnung trifft nur auf eine bestimmte Sorte von Würsten zu. Bei der nächsten gelten wieder andere Parameter.

Die wissenschaftliche Antwort auf eine einfache Frage wie «Wie viel Energie braucht es für ein Mobiltelefon oder eine Wurst» erfordert also nicht nur eine chemische Analyse, sondern ist auch mit den Bereichen Technik und Biologie sowie der Analyse von gesetzlichen Vorgaben und Handelsströmen verbunden.

Wie schwierig diese Analyse ist, hängt stark davon ab, wie weit entlang der Produktionskette recherchiert und wo die Grenze gesetzt wird, ab welcher der Anteil Energie am gesamten Energieverbrauch so klein ist, dass er vernachlässigt werden kann. Ein pragmatischer Wissenschaftler wird auf Werte von standardisierten LCA-Datenbanken wie ecoinvent zurückgreifen, aber selbst mit solch generischen Daten entspricht der Arbeitsumfang für die Erstellung einer Ökobilanz eines einzigen Handys etwa demjenigen einer Masterarbeit. Die Analyse von abertausend verschiedenen Artikeln wird daher einiges an harter und hoch qualifizierter Arbeit erfordern.

(Oscar van Vliet/ETH-Zukunftsblog)

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