Eine Frage der Zeit

publiziert: Donnerstag, 19. Feb 2015 / 08:36 Uhr / aktualisiert: Donnerstag, 19. Feb 2015 / 11:22 Uhr
Vorschlag an den Kolumnisten: Wenigstens in Hobbiton dürfte er von Missionaren verschont bleiben und sich nur gegen Hobbits verteidigen müssen.
Vorschlag an den Kolumnisten: Wenigstens in Hobbiton dürfte er von Missionaren verschont bleiben und sich nur gegen Hobbits verteidigen müssen.

Selbst am anderen Ende der Welt ist man vor Missionaren nicht sicher - doch in einem paradiesischen Land ist das verkünden des jenseitigen Paradieses ein hartes Brot.

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Unterwegs in Neuseeland, einem der Länder mit dem höchsten Anteil an religionsferner Bevölkerung, ist der erste «Kiwi», der mich anspricht, ein Missionar. Unglaublich aber wahr: Ich bin 24 Stunden geflogen, bin maximal weit auf dem Globus gereist, und dieser junge Mann will mich mitten in Auckland zu seinem Glauben konvertieren. Die freikirchlichen Prediger hier sind aggressiver als bei mir zuhause, penetranter, und scheuen sich auch nicht, einen am Fussgängerstreifen beim Versuch, die Strasse zu überqueren, von Jesus überzeugen zu wollen. Ob es dieser Jesus, sofern es ihn denn tatsächlich gab, schätzen würde, dass in seinem Namen Leute belästigt und gefährdet werden, steht auf einem anderen Blatt.

Die Penetranz hat wohl damit zu tun, dass ihre Botschaft hier auf denkbar steinigen Boden fällt. Denn nicht nur ist Neuseeland eines der Länder mit dem höchsten Lebensstandard überhaupt, es wird, wenn man das Land bereist auch klar, dass die Aussicht auf ein Paradies nach dem Ableben verblasst, wenn man bereits in einem paradiesischen Ort lebt. (Nein, diese Kolumne wird leider nicht vom neuseeländischen Board of Tourism gesponsert.)

Auch die neuseeländischen Ureinwohner hatten Mühe mit der Vorstellung von Erbsünde und Auferstehung der Toten. Mit ersterem, weil sie die Idee von Sünde an sich als absurd erkannten, mit letzterem, weil in der Glaubenswelt der Maori die Ahnen sowieso ständig um einen herum präsent sind. Der Australier, der mit uns das Aucklander Museum besuchte und sich tatsächlich erblödete, beim Führer nachzufragen, ob die Maori schon vor der Ankunft westlicher Missionare «kind of a religion» gehabt hätten, staunte nicht schlecht, als ihm dieser Führer die vielfältige Glaubenswelt der Ureinwohner schilderte, die diese bis zum heutigen Tag pflegen - von christlichen Mythen weitgehend unbelastet.

Wie alle sozialen Phänomene hat auch Religion in einer Gesellschaft eine klare Funktion. Bei den Maori ist dies in erster Linie eine identitätsstiftende. Bei uns hatte Religion genau dieselbe Funktion; sie ermöglichte Identität und gleichzeitige Abgrenzung von den «Ungläubigen». Einzelne Spielarten monotheistischer Religionen erleben unter dieser Funktion momentan ein Revival. Dabei ist klar, dass es sich um Rückzugsgefechte handelt. Noch nie konnte sich Dogma auf lange Sicht gegen die Freiheit des Denkens durchsetzen, noch nie gewann Ignoranz, Sauertöpfigkeit und intellektuelle Askese den Marathon gegen Offenheit, Humor und freien Diskurs.

«Jesus loves you, man!», ruft mir der junge Mann in Auckland nach, als die Ampel endlich auf Grün schaltet. «Gandalf loves you too», rufe ich ihm als Antwort zurück. Seiner Gesichtsfarbe nach zu urteilen, scheint er der einzige Neuseeländer zu sein, der mit «Lord of the Rings» nichts anzufangen weiss.

(Claude Fankhauser/news.ch)

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