Farewell alter Freund

Wie beim Mensch sind auch die letzten Lebens-Jahre eines Autos die teuersten. Mit den hohen Reparaturkosten hätte ich längst einen hübschen Gebrauchtwagen kaufen können. Aber das war es mir wert, weil ich es einfach nicht übers Herz brachte, mich von meinem treuen Alfa zu trennen.

Wie ein guter Freund liess er mich nie im Regen stehen. Zuverlässig lief er über die volle Distanz von bis heute 170'000 Kilometer und brachte mich immer überall hin. Es war darum Ehrensache, dass ich auch ihm treu blieb.

Er ist alt geworden, mein Weggefährte. Bis er in die Gänge kommt, braucht es länger und die Kurven nimmt er nicht mehr so elegant wie früher. Mit dem Alter wurde er immer sanftmütiger und liess sich nicht mehr von jedem GTI provozieren.

Nun schnaubt, ächzt, röchelt und pfeift er wie ein alter Kriegsveteran. Wenn er morgens startet, hustet er eine dunkelblaue Rauchwolke. Der Keilriemen quietscht wie ein Tinnitus und der Stossdämpfer schlägt den Takt dazu.

Bei freier Fahrt und lauter Musik lachen wir manchmal über unsere gemeinsamen Erlebnisse. Zum Beispiel über die lustigen Streiche wie nervige Velofahrer mit Russ einzuschwärzen, der raus kommt, wenn man Vollgas gab. Oder der Scherz mit dem Scheibenwasser. Der Druck der Reinigungsdüsen war schon immer zu hoch - quasi ein Geburtsfehler - so dass man damit Tussis in Cabrios hinter einem vollspritzen konnte. Kein Witz, mein Alfa hat Humor. Er schreibt auch lustige Sachen auf den Bordcomputer, wie aktuell, dass es draussen 40 Grad warm ist.

Unerträglich meinen Kumpel in einer Schrottpresse verenden zu sehen, wo er doch noch prima läuft und wie ich finde, auch im hohen Alter schick aussieht. Nie könnte ich ihn umbringen - denn genau das wäre es: Auto-Mord.

Was sonst tun damit? An einen bulgarischen Händler verticken, der ihn dann nach Sibirien verschleppt, wo er von Terroristen massengeschändet wird? Es hätte den Abschied auch nicht leichter gemacht, wenn der Neubesitzer ein netter Mensch gewesen wäre.

Ständig würde ich mich fragen, wie es ihm wohl geht. Ob er mich auch vermisst? Denkt er noch manchmal an unsere gemeinsame Zeit auf der Landstrasse, unsere Tage am Meer, unsere Ferien in den Bergen, die Ausflüge in die Natur? Er war ein Stadtauto durch und durch; er verbrachte die meiste Zeit seines Lebens auf einem Blaue-Zone-Parkplatz im Kreis 3, bevor er nun seinen Lebensabend auf dem Land unter einer Fichte geniessen durfte.

Gäbe es einen Auto-Gnadenhof, hätte ich meinen Alfa dorthin gebracht bis er eines Tages nach einem langen Leben über die Regenbogenbrücke fährt.

Jedes Ende ist ein neuer Anfang. Nicht nur für mich, der jetzt ein neues Auto kauft sondern auch für meinen Alfa. Er bleibt in der Familie und geht als Geschenk an meinen Neffen, der eine Ausbildung zum Automechaniker macht.

Vielleicht erlebt er ja im Herbst seines Lebens einen zweiten Frühling.

(Jürg Zentner/news.ch)