Frohes Explodieren

publiziert: Dienstag, 16. Dez 2014 / 16:00 Uhr / aktualisiert: Mittwoch, 17. Dez 2014 / 10:45 Uhr
Wut und Angst trifft auf schwammiges Lavieren: «PEGIDA»-Protest in Dresden (15. 12. 2014)
Wut und Angst trifft auf schwammiges Lavieren: «PEGIDA»-Protest in Dresden (15. 12. 2014)

Wutbürger, Proteste und die Politiker: Ein Absurdum sondergleichen entwickelt sich immer weiter auf den grossen Knall zu. Kann da jemand noch entschärfen?

5 Meldungen im Zusammenhang
Wut findet vor der Eskalation statt. Vor dem Ausbruch. Wut ist ein Ausdruck von Hilflosigkeit und Frustration. Das Gefühl, beschissen worden zu sein, spielt da sicher auch mit, bei den ganzen Wutbürgern, den Frustrierten, denen, die sich verraten fühlen, betrogen um die eigene Zukunft oder /und die ihrer Kinder.

Doch wie immer ist die echte Bedrohung nicht wirklich zu fassen, jene die uns arm machen sitzen weit weg, hinter kugelsicheren Scheiben von streng bewachten Luxusanwesen oder in Business-Jets. Oder die sind gar noch weniger fassbar, Organisationen und Multis, deren Lobbyisten und gekaufte Politiker sich im Schatten ihrer vertraulichen Sitzungsprotokolle verschanzen, die besser nie das Licht der Öffentlichkeit sehen sollten.

So werden von denen, die sich als Opfer sehen - und zu einem gewissen Teil auch selbst Opfer sind - jene bekämpft, die selbst noch viel mehr unter den Verwerfungen der heutigen Zeit leiden. Sie sind aus Kriegsgebieten geflüchtet, vor irren Islamisten und blutrünstigen Stammeskriegern, vor dem Kollaps ihrer Gesellschaften, ihrer Heimaten und sind nun auf einmal die Schuldigen an unserem Unbehagen, an unserer Angst vor dem Verlust unserer Identität, die wir so befürchten.

Da wird in Deutschland, dem Ort, in dessen Hinterland vor siebzig Jahren noch die Schlote der Konzentrationslager Rauch und Asche der vergasten und verbrannten Juden Europas ausspuckten, das christlich-jüdische Abendland beschworen und in Städten mit weniger als einem Prozent Ausländer die Panik vor der Überfremdung als grösste Gefahr der Gegenwart an die Wand gemalt.

Die Demonstranten weigern sich dabei, mit Journalisten der deutschen «gleich geschalteten» Medien zu sprechen und stiessen eine ARD-Reporterin rüde weg. Als jedoch ein sehr plump als «Russia Today» Journalist verkleideter Mann der satirischen deutschen «heute show» den Demonstranten das Mikro hinhielt, wurden diese auf einmal gesprächig, beklagten sich über die deutschen Einheitsmedien und waren des Lobes voll darüber, wie die nachweislich staatlich gelenkten (vermeintlichen) Russen für Meinungsfreiheit und Offenheit stünden. Es war ein Trauerspiel, über das man sich vor Lachen krümmen wollte.

Vielleicht ist es den offensichtlichen Putin-Fans, die da gegen die Islamisierung Europas protestierten, entgangen, wo ihr Held des Christentums und der Freiheit (oder was auch immer), vor gerade mal zwei Wochen war: In der Türkei, genauer in Ankara - noch genauer: bei einem neuen Liebling von ihm, Recep Tayyip Erdogan, Förderer des Islamismus, während langer Zeit Unterstützer des jenseits seiner Grenzen operierenden - Verzeihung, da ist ein Euphemismus rein gerutscht - mordenden IS und astreiner Antidemokrat, der die mögliche Assimilation von im Ausland lebenden Türken als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnete. Und wie die Razzien gegen und Verhaftungen von türkischen Journalisten beweisen, war der Besuch des lupenreinen Demokraten Putin am Bosporus offenbar eine wahre Inspiration für Erdogan, was den Umgang mit einer «freien Presse» angeht.

So hegen also viele der Demonstranten offensichtliche Sympathie für ein Regime, das eben so offensichtlich mit einem Regime kooperieren will, gegen das sie grosse Antipathie empfinden. Schon dieses Muster demonstriert die sehr kurz fassende (Un-)Logik dieser «Wutbürger». Die Hoffnung, die Welt, von der man selbst in Form von billigen Rohstoffen, Energie und ausgelagerter Billigarbeit und Umweltverschmutzung profitiert, mit genügend Lautstärke draussen halten zu können, ist illusorisch. Zu komplex sind die Verknüpfungen. Nur um den Islamismus in den Zusammenhang zu rücken: Dieser kam erst durch die Unterstützung der Taliban in Afghanistan vor bald 40 Jahren durch die USA im Kampf gegen Russland erst so richtig in die Gänge und wird heute von einem Despoten gefördert, der ausgerechnet von den Russen hofiert wird.

Dass diese Bewegungen die deutsche (und die Schweizer) Politik in die Bredouille bringen, liegt denn auch nicht an der Stärke der Argumente, sondern an der Schwäche der Politiker, die seit Jahren aufgehört haben, für mehr als die Interessen der Lobbys zu kämpfen, und dabei die Zukunft ihrer Wähler verhökerten. Probleme zuzugeben und mit einem konsequenten Eintreten für die demokratischen Werte anzugehen, wäre in der Zeit des immerwährenden Wahlkampfes aber schädlich, man könnte ja irgendwem auf die Zehen treten. Ehrlich zu sein ist ohnehin undenkbar. Und den Lobbyisten einen Riegel vorzuschieben - um Himmels Willen, was für eine absurde Idee. Also wird weiter abgewedelt, beschwichtigt und weg geschaut.

So treffen Wut und Angst auf schwammiges Lavieren und Ausweichen vor unangenehmen Realitäten. Eine explosive Mischung. Fragt sich, ob entschlossenes Handeln mit einem langfristigen Ausblick die Situation noch entschärfen kann. Doch halt, die Frage kann man sich wohl sparen, angesichts der Politiker, die momentan an den Hebeln der Macht sitzen. Na dann, frohes Explodieren.

(Patrik Etschmayer/news.ch)

Kommentieren Sie jetzt diese news.ch - Meldung.
Lesen Sie hier mehr zum Thema
Berlin - Mit einer Demonstration der Solidarität nach dem Terror von Paris haben in ... mehr lesen
Aiman Mazyek, der Vorsitzender des Zentraltrats der Muslime Deutschlands, hatte zur Kundgebung aufgerufen.
Heute kamen nach Polizeiangaben 17'500 Menschen in Dresden zusammen, um gegen die «Islamisierung des Abendlandes» zu demonstrieren.
München/Dresden - Der Protest ... mehr lesen 2
Brüssel - Als Reaktion auf die jüngsten Festnahmen von Journalisten in der ... mehr lesen 1
Die Türkei stellt die Achtung der Medienfreiheit infrage, die ein Kernprinzip der Demokratie ist, so die EU.
Es scheint so, dass durch zunehmende Kritik an den Pegida-Aufmärschen der Zulauf grösser wird.
Dresden - Trotz landesweiter Kritik verzeichnet das rechtspopulistische «Pegida»-Bündnis in Deutschland weiter Zulauf. Nach Angaben der Polizei folgten am Montagabend in Dresden ... mehr lesen 1
Dresden - Begleitet von Gegenprotesten sind am Montagabend in Dresden erneut ... mehr lesen
Die Polizei war mit mehr als 360 Beamten im Einsatz. (Archivbild)
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 22
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
«Hier hätte ich noch eine ...
In den USA ist bei einer Frau mit Harnwegsinfektion zum ersten mal ein Bakterium aufgetaucht, das gegen das letzte Reserve-Antibiotikum resistent ist. Wer Angst vor ISIS hat, sollte sich überlegen, ob er seinen Paranoia-Focus nicht neu einstellen will. Denn das hier ist jenseits aller im Alltag sonst verklickerten Gefahren anzusiedeln. mehr lesen 4
Durch ungeschickte Avancen von SBB- und Post-Chefs, droht die Service-Public-Initiative tatsächlich angenommen zu werden. Von bürgerlicher Seite her solle laut einem Geheimplan daher ein volksnaher ... mehr lesen
Künftig mindestens 500'000.-- und die ganze Schweiz inklusive: SwissPass, der schon bald mal GACH heissen könnte.
Urversion von IBM's Supercomputer WATSON: Basis für 'ROSS'... und unsere zukünftigen Regierungen?
Eine renommierte US-Kanzlei stellt einen neuen Anwalt Namens Ross ein. Die Aufgabe: Teil des Insolvenz-Teams zu sein und sich durch Millionen Seiten Unternehmensrecht kämpfen. Und ... mehr lesen  
In letzter Zeit wurden aus Terrorangst zwei Flüge in den USA aufgehalten. Dies, weil Passagiere sich vor Mitreisenden wegen deren 'verdächtigen' Verhaltens bedroht fühlten. Die Bedrohungen: Differentialgleichungen und ein Telefongespräch auf Arabisch. Sollten Sie also in nächster Zeit in den USA unterwegs sein, hier ein paar Tipps fürs problemlose Reisen. mehr lesen  
Typisch Schweiz Der Bernina Express Natürlich gibt es schnellere Bahnverbindungen in den Süden, aber wohl ...
Highlight der Kollektion: Eine Gibson Les Paul von 1959, die 300.000 bis 500.000 Pfund einbringen soll.
Shopping Mark Knopfler verkauft seine Gitarrensammlung Die Gitarrensammlung vom Dire Straits-Gitarristen Mark Knopfler wird am 31.01.2024 bei Christie's versteigert.
Erstaunliche Pfingstrose.
Jürg Zentner gegen den Rest der Welt.
Jürg Zentner
Frauenrechtlerin Ada Wright in London, 1910: Alles könnte anders sein, aber nichts ändert sich.
Regula Stämpfli seziert jeden Mittwoch das politische und gesell- schaftliche Geschehen.
Regula Stämpfli
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
Patrik Etschmayers exklusive Kolumne mit bissiger Note.
Patrik Etschmayers
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Peter Achten zu aktuellen Geschehnissen in China und Ostasien.
Peter Achten
Recep Tayyp Erdogan: Liefert Anstoss, Strafgesetzbücher zu entschlacken.
Skeptischer Blick auf organisierte und nicht organisierte Mythen.
Freidenker
 
Stellenmarkt.ch
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Mi Do
Zürich 5°C 16°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Basel 8°C 18°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
St. Gallen 4°C 14°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Bern 4°C 16°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Luzern 6°C 16°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Genf 5°C 16°C sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Lugano 6°C 17°C sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt freundlich
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten