Frühlings Erwachen?
Im Rausche des arabischen Frühlings orteten Zeitungs-Kommentatoren, Trend-Forscher und Asien-Experten grosses Unruhepotenzial im Reich der Mitte. Nicht ganz zu Unrecht. Doch die Schlussfolgerungen eines aufziehenden chinesischen Frühlings im Gefolge der arabischen Revolten waren falsch.
Der Bürgerzorn hat sich bis heute gehalten. Nicht nur auf der Strasse wird demonstriert, auch im Internet greifen Blogger auf dem chinesischen Twitter-Ersatz Sina Weibo in die Tasten und verfassen ätzende Kritik an den herrschenden Zuständen. Die allmächtige Kommunistische Partei reagiert auf die Kritik ihrer aufmüpfigen Bürger und Bürgerinnen mit Zuckerbrot und Peitsche.
Das Zuckerbrot besteht darin, dem Volk das zu geben, was es will, d.h. jedes Jahr mehr Lohn, mehr Wohlstand und natürlich möglichst Vollbeschäftigung. Die wachsende Mittelklasse, derzeit rund 250 bis 300 Millionen Menschen stark, hat stillschweigend so etwas wie einen Contrat social mit den Herrschenden abgeschlossen: Nichteinmischung in die Politik solange die Quelle des wachsenden Wohlstandes nicht versiegt. Dieser Contrat social ist jetzt auf dem Prüfstand. Die Volkswirtschaft befindet sich mit sinkenden, aber immer noch guten Wachstumszahlen in einer entscheidenden Phase. Der Übergang vom Investitions- und Exportabhängigen Wachstum hin zu mehr Binnennachfrage und Konsum.
Mit der Peitsche fuchtelt die Partei dann, wenn der Contrat social verletzt wird oder «sozialer Friede» und «Stabilität» bedroht sind. Die kleinste Äusserung von Unmut wird dann sofort im Keime erstickt. Die sozialen Medien werden von einer umfassenden Internet-Polizei lückenlos überwacht. Blogger, die «Gerüchte verbreiten», wandern nicht selten ins Gefängnis. Sämtliche Medien sind staatlich und parteilich. Die Kommunistische Partei betreibt zur Erhaltung ihrer Macht und ihres Informations- und Meinungsmonopols ein gut durchdachtes, effizientes Krisenmanagement.
Die China-Analyse westlicher Medien zieht gerade im Zusammenhang mit dem arabischen Frühling falsche Parallelen und übersieht die langfristigen Perspektiven der chinesischen Führung. Der Politikwissenschafter Francis Fukuyama verkündete vor zwanzig Jahren im Gefolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion und der osteuropäischen Satellitenstaaten «das Ende der Geschichte». Die Konvergenztheoretiker und Liberalen jubelten und waren überzeugt, das sich Liberalismus, Freiheit, Marktwirtschaft, Demokratie und Menschenrechte überall und ein für allemal durchsetzen werden. Das werde sich, kommentierten viele, auch in China bewahrheiten. Der Tiananmen-Zwischenfall von 1989 habe deutlich die Tendenz angezeigt.
Allein, China wollte nicht am «Ende der Geschichte» stehen. Es ging unter der Führung der KP einen eigenen, äusserst erfolgreichen Weg. Marktwirtschaft gewiss. In beschränktem Rahmen wurden und werden aber auch Freiheiten, Demokratie und Menschenrechte weiterentwickelt. Aufgrund der chinesischen Geschichte und Tradition. Ohne - wie es parteiamtlich mantramässig wiederholt wird - «Einmischung von Aussen in die inneren Angelegenheiten» Chinas.
Was haben die Proteste, Demonstrationen und Aufstände des arabischen Frühlings gebracht? War und ist der arabische Frühling eine historische Zäsur? Was denn hat die Einmischung von Aussen in die inneren Angelegenheiten etwa von Irak, Libyen, Tunesien, Aegypten oder Syrien gebracht? Mehr Demokratie, mehr Wohlstand, mehr Sicherheit etwa? Mit Blick auf das arabische Chaos könnte man so auch formulieren, dass die KP Chinas wohl noch zwei, drei Generationen an der Macht bleiben wird. Mit Zuckerbrot und Peitsche. Vorausgesetzt, es kommt zu keinen historischen Un- und Zwischenfällen. Ein chinesischer Frühling ist nicht in Sicht, ebensowenig aber auch - Fukuyama hin, Fukuyama her - das Ende der chinesischen Erfolgsgeschichte.
(Peter Achten/news.ch)
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