Gottesdiktatur, Aroma «Orthodox»

publiziert: Montag, 12. Jul 2010 / 10:27 Uhr / aktualisiert: Montag, 12. Jul 2010 / 11:34 Uhr

Wenn Staaten sich in ihrem Handeln vor allem auf Gott berufen, liegt die Freiheit bald als blutendes Bündel in der Gosse, wie zum Beispiel im Iran.

1 Meldung im Zusammenhang
Weiterführende Links zur Meldung:

Putin auf Wikipedia
Der Werdegang von Putin, inklusive seiner «Bekehrung»
wikipedia.org

Russisch Orthodoxe Kirche auf Wikipedia
Wissenswerte Fakten zur dominierenden Kirche Russlands
wikipedia.org

Interview mit Andrej Jerofejew
Interview mit einem der Angeklagten aus dem Jahr 2008
art-magazin.de

Artikel der SZ zum Prozess
Zusätzliche Informationen zum Prozess und der Kunst, um die es geht
sueddeutsche.de

Wenn Terroristen versuchen, ihre Vision von Gottesherrschaft durchzusetzen, werden – wie soeben in Uganda – Menschen ohne zu zögern dahin gemetzelt. Und wenn Autokraten auf einmal ihre Liebe zur Religion und deren finstersten Exponenten finden, wird schnell und entschlossen der Weg in die Dunkelheit beschritten.

Der seit letztem Freitag in Moskau vor Gericht stehende ehemalige Kurator der Tretjakow-Galerie Andrej Jerofejew und der inzwischen entlassene Leiter des Sacharow-Zentrums, Jurij Samodurow, sind der Schürung von religiösem Hass angeklagt. Es geht soweit, dass ihnen vorgeworfen wird, eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben, deren Ziel es sei, die geistigen Werte Russlands zu zerstören. Und dies alles, weil sie in einer Ausstellung unter dem Namen «verbotene Kunst» Werke gezeigt hatten, die staatliche Museen sich geweigert hatten, zu präsentieren.

Die Bilder des Anstosses würden in Europa höchstens ein Schulterzucken auslösen: Ein gekreuzigter Lenin, küssende Polizisten im Birkenwald, eine tschetschenische «schwarze Witwe» in Marilyn Monroes berühmter Pose aus «das verflixte siebte Jahr» oder eine Kaviardose in Ikonenform.

Doch dies reichte, eine abstossende Allianz aus rechtsextremen, konservativen und kirchlichen Kreisen auf den Plan zu bringen, die, unterstützt vom Kulturministerium, den Prozess zum Laufen brachte.

Religion und Totalitarismus sind wunderbare Tanzpartner. Dies konnte man erst gerade wieder bei dem Prozess gegen den argentinischen Ex-Junta-Führer Videla beobachten, der seine Folterungen und Morde verüben liess, während er von der katholischen Kirche als frommer Staatsführer geschätzt wurde, der sich dabei Filmen liess, wie er die Kommunion entgegen nahm.

Für die russisch-orthodoxe Kirche, die 1989 nach über 70 Jahren aus den Trümmern des Kommunismus wiederauferstanden ist, scheint nun nach der Unterdrückung durch die gottlosen Bolschewiken die Zeit des Heimzahlens gekommen zu sein. Die einstige Staatskirche, die fast eine symbiotische Einheit mit dem Zarentum bildete, will ihre bestimmende Macht im Alltag Russlands wiedererlangen. Und ihr ist dies auch gelungen.

Dabei hat ihr definitiv geholfen, dass der russische Präsident Vladimir Putin nach einem Leben als kommunistischer Geheimdienstler auf einmal seinen Glauben wieder gefunden habe (angeblich nach einem Brand in seiner Datscha) und seither die russisch-orthodoxe Kirche fördert, wo er nur kann. Im Gegenzug stützt ihn die Kirche bei seinen Bestrebungen, langsam zu einem neuen Zaren zu mutieren.

Politisch ist es schon längst soweit: Seine Partei «Einiges Russland» ist eine Machtmaschine geworden, die dank ihrer Beherrschung der Massenmedien (unter anderem auch durch Morde an kritischen Journalisten) ein Propagandamonopol hat. Den neureichen Oligarchen ist es zwar frei gestellt, Oppositionsparteien zu unterstützen... sie müssen einfach damit rechnen, wie der Ölmilliardär Michail Chodorkowski enteignet und ins Arbeitslager geschmissen zu werden.

Wenn auf der politischen und wirtschaftlichen Seite aufgeräumt ist, geht es mit der Machtsicherung jeweils auf der kulturellen Seite weiter. Abweichende Sichtweisen, Zweifel an Stereotypen des Alltags und gesellschaftlichen Vorgaben sind unerwünscht. Künstler sind in dieser Hinsicht Vordenker, die ein solches Regime zum Schweigen bringen muss. Doch dafür ist eine religiöse Macht besser geeignet als eine politische. Das Verdammen von allem Neuen ist eine Spezialität einer jeden monotheistischen Religion, der freie Hand gelassen wird: Menschenrechte, Demokratie, Frauenrechte, Rechte für Arme, Religionsfreiheit, Redefreiheit... igitt! Weg damit! Die Bibel, der Koran, die Thora... das ist alles was man braucht. Und ein Staat, der die geistliche Diktatur unterstützt, weil er dafür Sukkurs bei seiner weltlichen Unterdrückung durch die Priesterschaft bekommt.

Der Prozess gegen Jerofejew und Samodurow ist ein Akt der Anti-Aufklärung, ein Fanal, das bei einer Verurteilung einen Keil zwischen Europa und Russland treiben müsste. Denn dann begäbe sich Russland auf den Weg zum Gottesstaat, zu einer nördlichen, grösseren Version des Iran. Es ist zwar noch nicht so weit, aber schon jetzt ist klar, dass die Gottesdiktatur, Geschmacksrichtung «Orthodox» ganz ähnlich schmecken würde, wie jene mit dem Aroma «Schiitisch»: Bitter und Blutig.

(von Patrik Etschmayer/news.ch)

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