Hassen in der Blase

publiziert: Dienstag, 9. Feb 2016 / 11:08 Uhr / aktualisiert: Mittwoch, 10. Feb 2016 / 00:17 Uhr
Filter-Bubbles können radikalisieren. (Screenshot des verlinkten TED-Talks)
Filter-Bubbles können radikalisieren. (Screenshot des verlinkten TED-Talks)

Die Hysterie und Aggressivität, mit der derzeit Debatten ausgetragen und aus Irritationen Probleme, aus Problemen Krisen und aus Krisen Katastrophen gemacht werden, ohne dass die Vernunft auch nur einen Fuss in die Türe bekommt, ist erschreckend. Doch woran liegt das wohl? Der Autor gibt Facebook die Schuld.

7 Meldungen im Zusammenhang
Weiterführende Links zur Meldung:

Wikipedia zu Filterblasen
Das Konzept der 'Filterblase' in Wikipedia erklärt.
wikipedia.de

TED-Talk Filter-Bubble
Eli Parisers TED-Talk über Fiter-Blasen und wie diese uns ein Jahrhundert zurück werfen.
ted.com

Es ist in, komplexen Problemen eine einzige Ursache und auch eine einzige, möglichst simple Lösung zuzuschreiben. Und da es sich einem Autor von Kolumnen nicht geziemt, aktuelle Trends zu ignorieren, muss er diesen wohl auch folgen. Und die Diskussion über die Timeline von Facebook kommt gerade recht.

Facebook kündete Anfang Februar an, seine Timeline mehr dem anzupassen, was seine Benützer 'liken', am liebsten konsumieren, offensichtlich wichtig finden und weiter verbreiten. Solange es dabei nur um Katzen-Content, Babybilder und Party-Videos ginge, wäre das ja egal. Aber Facebook hat sich für viele Internetbenützer zu einer Art Ersatz-News-Portal entwickelt, auf dem sie sich darüber informieren, was alles so in der Welt passiert.

Einem nicht ganz im Koma befindlichen Leser dürften jetzt schon kalte Schauer den Rücken hinunter rieseln, denn bei den verlinkten Inhalten handelt es sich meistens um Meldungen und Ansichten, die am ehesten den eigenen entsprechen und diese so weiter verstärken. Das Internet ist voller Schwachsinn von behämmerter Impfkritik bis zu bescheuerten Neonazi- und Islamistenseiten. Doch nicht alle radikalen und einseitigen Inhalte sind so problemlos von weitem zu erkennen, vor allem wenn sie mit angeblichen Fakten bestückt sind, die zu überprüfen aber zu mühsam wäre. Denn das ist ja Facebook, oder? Abweichende Informationen werden hingegen ignoriert und in der Folge vom Timeline-Algorithmus ausgeblendet. Dafür wird umso mehr von dem vorgeschlagen, was gerade mit einem 'Daumen-Rauf' markiert und geteilt wurde.

Wie gesagt: Bei Kätzchen vs. Welpen ist das ja egal. Aber wenn es um politische Themen geht, wird es problematisch. Sobald sich eine sogenannte Filter-Blase bildet, in der sich womöglich hunderttausende von Personen befinden, die sich gegenseitig in ihren Ansichten bestätigen, Neuigkeiten nicht aufgrund von deren Wahrheitsgehalt und Vertrauenswürdigkeit teilen, sondern weil sie ihren Vorstellungen entsprechen und durch den Timeline-Filter vor abweichenden Fakten und Meinungen isoliert werden, wird die Saat zur Radikalisierung im (a)sozialen Netzwerk gestreut.

Jeder liebt es, bestätigt zu werden und glaubt die eigenen Meinungen eher als andere. Doch bis vor kurzem war die normale Presse noch wirksam als Korrekturmechanismus dieses sogenannten 'kognitiven Bias' und dort präsentierte Fakten brachten Menschen dazu, ihre Ansichten etwas zu hinterfragen oder gar zu korrigieren. Doch das ist jetzt vorbei. Stattdessen wird das 'Lügenpresse - halt die Fresse'-Geschrei zum Standard im Diskurs um drängende Probleme. Realität hat nur noch Platz, wenn sie durch die immer fester zementierten (und täglich von Facebook-Freunden) bestätigte Schablonen passt.

Spielte sich das ganze nur im Containment von Facebook ab, wäre es das eine. Doch der Wahnsinn schwappt in die Realität über. Eltern lassen ihre Kinder nicht mehr impfen, 'besorgte Bürger' werfen Brandsätze auf Flüchtlingsunterkünfte, frustrierte und verunsicherte Immigrantenkinder schliessen sich islamistischen Gruppen an und hauen als Selbstmordattentäter nach Syrien ab.

Gemein ist all diesen radikalisierten Menschen, dass Sie in einer eigenen Realität leben, und sich durch alternative Ansichten und Einsprüchen gegenüber dieser so bedroht fühlen, dass sie nicht mehr zu einer Diskussion in der Lage sind, sondern fast nur noch mit verbaler oder tatsächlicher Gewalt reagieren können. Solche (als Selbstverteidigung wahrgenommene) Angriffe werden in der Folge auch nicht von den Gruppengenossen verurteilt, sondern sogar noch gelobt und zur Nachahmung empfohlen.

Anfangs werden Verletzte, dann bald mal Tote in Kauf genommen, später gebilligt, zuletzt gewünscht. Islamisten sind da das aktuelle Musterbeispiel. Doch man soll sich nichts einbilden: Die Fähigkeit, andere Menschen-Gruppen zu entmenschlichen und so zum Freiwild für Verfolgung, Enteignung und Ermordung zu machen, wohnt sehr vielen von uns inne und mit ausreichend Bestätigung gelingt uns das erschreckend gut auch in der Realität umzusetzen. Verhöhnung ertrunkener Flüchtlinge oder von Terroropfern ist auf dem gleichen Niveau angesiedelt. Gleichgeschaltete (Des-)Information ist für einen solchen moralischen Absturz instrumental.

Nazis und auch die Kommunisten beherrschten das zum Beispiel perfekt und entwickelten dafür ein aufwendiges und ausgeklügeltes Propaganda-System mit strenger Zensur und gleichgeschalteter Presse.

Doch heutzutage ist das gar nicht mehr nötig. Die Radikalisierung findet nun nämlich ganz einfach und freiwillig in der Filter-Blase der (a)sozialen Netzwerke statt. Die Töne werden dabei immer schriller, der Ton aggressiver und aggressiver und die Menschenverachtung in FB-Gruppen und Kommentarspalten zum applaudierten Standardrepertoire, wo auch schon der nächste Bürger- oder echte Krieg herbeigeklickt wird. Egal ob PEGIDA, Trump oder ISIS: Eine Radikalisierung in dieser Breite in eigentlich offenen Gesellschaften ist ohne die (a)sozialen Netzwerke - allen voran Facebook - fast unvorstellbar.

Der Algorithmus wird unterdessen weiter so getunt, so dass sich jeder noch ungestörter in seinem Hass und in seiner Angst bestätigt fühlen kann. Und ja, liken sie doch bitte die Kolumne, wenn sie ihnen gefällt. Auch Autoren brauchen eine Blase, um darin zu leben.

 

(Patrik Etschmayer/news.ch)

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