'Hat Chirac Olympia nach London geblödelt?'

publiziert: Donnerstag, 7. Jul 2005 / 12:44 Uhr

Die Internationale Presse kommentierte die Vergabe der Olympischen Sommerspiele 2012 an London, das nach knappem Sieg über Favorit Paris bereits zum dritten Mal nach 1908 und 1948 die Jugend der Welt beherbergen wird.

Die grossen Zeitungen kommentierten den Entscheid mit spitzen Federn.
Die grossen Zeitungen kommentierten den Entscheid mit spitzen Federn.
4 Meldungen im Zusammenhang
"Daily Express": "Grossbritannien hat die Chance, die erfolgreichsten Spiele aller Zeiten zu veranstalten und das Ansehen des Landes in aller Welt zu festigen. Aber die Grösse des Projekts stellt auch eine enorme Herausforderung dar. Von Anfang an brauchen wir Zusicherungen, dass die Kosten nicht ausser Kontrolle geraten. Die Regierung muss aus früheren Erfahrungen lernen und dafür sorgen, dass diese fantastische Gelegenheit nicht durch Unfähigkeit und Misswirtschaft verspielt wird."

"The Times": "Es wäre ungezogen und falsch, diesen Sieg als Niederlage für Frankreich zu werten. London sollte vielmehr Paris dafür danken, dass dort das Tempo bestimmt wurde. Die Bewerbung der französischen Hauptstadt vereinigte Enthusiasmus, Erfahrung und ausgezeichnete Sportanlagen mit einem Konkurrenzdenken, das London zu einer Extra-Anstrengung zwang. Paris verfehlte den Sieg um Haaresbreite. Vielleicht war es nur das Pech des Führenden, vielleicht gekoppelt mit ungeschickter Diplomatie. Chirac wird sicherlich das volle Gewicht der nationalen Enttäuschung auf seinen Schultern spüren."

"Libération": "Frankreich stellt dem Irak-Krieg ein mutiges Nein entgegen, aber weiss nichts zu sagen, wenn die Iraker massenhaft zu den Wahlurnen drängen. Es lehnt die EU-Verfassung unter dem Vorwand ab, dass es sein gerechtes Sozialmodell verteidigen muss, aber wundert sich nach der Abstimmung, dass der erhoffte soziale Ruck ausbleibt. Mit der Anhäufung von Naivität und Arroganz hat Frankreich viele seiner Partner ermüdet. Olympia reflektiert diese Wirklichkeit eines auf allen Kontinenten isolierten Landes. Eines Landes, das Einfluss verliert, während der Lobbykönig Tony Blair mit öffentlichem Geld auf einer liberalen Welle surft, in Europa zum Tanz bläst und für Afrika den Ton vorgibt."

"Le Parisien": "Sind die Franzosen "zu fair"? Die Stadt Paris wollte eine vom ethischen Standpunkt her untadelige Kandidatur. Doch sie zahlt am Ende teuer dafür. Jetzt muss man feststellen, dass London mehr als zwei Jahren die Regeln verletzt hat. Doch jedes Mal hat das IOC die Engländer entschuldigt."

"France Soir": "Die Wahl Londons ist politisch. Sie ist geprägt vom Irak-Krieg und von Gelegenheitsbündnissen. Jacques Rogge, IOC-Chef seit 2001, hat nichts an dem System geändert, das sein Vorgänger Juan Antonio Samaranch geschaffen hat. Immer bestimmen dieselben sportfremden Interessen die Wahl des Austragungsortes. Es lebe der Sport."

"Les Echos": "Wir müssen heute ernsthaft über das Image nachdenken, das wir im Ausland haben. Über diese Arroganz, anderen Lektionen zu erteilen. Über unser Sozialmodell und die Streiks, die jedes Mal unsere Kandidatur beeinträchtigen. Über unsere widersprüchliche Haltung, die uns dazu bringt, einerseits die Türen unseres Landes zu verschliessen und gleichzeitig die Organisation weltweiter Ereignisse für uns zu beanspruchen. Kurzum, wir müssen uns die Frage nach unserer Attraktivität stellen - und nicht nur im wirtschaftlichen Bereich."

Le Figaro": "Die Zuversicht der Franzosen könnte einen neuen Dämpfer bekommen. Unser Land, das schon in der existenziellen Krise steckt, kommt nur hinkend voran, es hat kein Projekt, das ihm sein Selbstvertrauen zurückgeben könnte, keine Ambitionen, die seine Zukunft umreissen könnten. Im Inneren ist Frankreich schon durch seine Unbeweglichkeit lahm gelegt, und auf internationalem Parkett verliert es auch an Punkten. Als ob sein Prestige verwelkt wäre. Nach dem Nein zur EU-Verfassung vom 29. Mai wirkt die Entscheidung des IOC wie eine Guillotine."

"Abendzeitung": "Mit einer brillanten Vorstellung hatte Sebastian Coe die finale Präsentation Londons moderiert - und damit viele der noch unentschlossenen Wahlmänner überzeugt. Londons Traum ist wahr geworden. Vielleicht werden es ja wirklich Traumspiele."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Die meisten Briten können es noch immer nicht glauben: Grossbritannien hat tatsächlich die Olympischen Spiele gewonnen! Und, um das Hochgefühl noch köstlicher zu machen, Paris hat sie verloren! Wahrscheinlich wird auf dem "Trafalgar Square" um die Säule des Admirals Nelson an diesem Donnerstag immer noch der zweite Weltsieg über die Franzosen und Spanier gefeiert. Nicht der allmählich alt gewordene Sieg in der Seeschlacht von Trafalgar im Jahr 1805, dem dieses Jahr ohnehin gewidmet ist, sondern der taufrische Sieg in der Schlacht von Singapur. Die Gegner waren dieselben. Damals war es eine spanisch-französische Flotte, die der englische Admiral Nelson in den Grund bohrte, heute war es erst die spanische und dann die französische Konkurrenz um die Olympischen Spiele."

"Süddeutsche Zeitung": "Für London hat sich eine Strategie bezahlt gemacht, die in Paris mit Irritation verfolgt worden war. Selten ist eine Kandidatur so aggressiv vorgetragen worden, und weil am Ende nur das Ergebnis zählt, muss sich mancher eingestehen, dass die Briten zwar keinen Fair-Play-Preis angestrebt haben, aber mit viel Ruppigkeit gewonnen haben."

"La Repubblica": "Das Rennen zwischen London und Paris ist zeitlich mit katastrophalen politischen Abenteuern von Chirac und Blair zusammengefallen, und dies in einem besonders kritischen Augenblick für Europa. Dies hat den Wettkampf zwischen beiden Städten so vergiftet. Olympia 2012 hätte ein bisschen Sauerstoff für das deprimierte und in Europa immer mehr isolierte Frankreich sowie für seinen Präsidenten bedeutet, der bereits 20 Monate vor dem Ende seines Mandats von seinen Nachfolgern umzingelt ist."

"Corriere della Sera": "In diesem Klima hat das deprimierte und das von "Superstar Blair" gedemütigte Frankreich bereits mit dem abermaligen Prozess gegen Chirac begonnen, diesem "ewigen Verlierer", der immer mehr in die Rolle eines Sündenbocks gerät. Chirac ist nach Singapur gerannt, um die Euphorie der Kandidatur einzustreichen, und vielleicht waren es just seine Präsenz, sein Gerede über den Rinderwahnsinn und über die schlechte englische Küche, die ihm die notwendige Hand voll Stimmen gekostet hat. Vielleicht wurde in Singapur Chiracs politische Karriere beerdigt."

"Kommersant": "In Moskau glaubt man, dass es reicht, eine grosse Kundgebung am Roten Platz zu veranstalten, um das Geiseldrama von Beslan vergessen zu machen. Und den Konflikt im Nordkaukasus braucht man nach dieser Meinung auch nicht zu lösen. Die Bürger Russlands gaben sich mit grossen Kundgebungen zufrieden, während der Krieg im Süden weitergeht. Und nun sind alle darüber verwundert, dass das IOC mehr Wert auf Sicherheit als auf Kundgebungen legt. Moskau ist und bleibt eine gefährliche Stadt."

"Ilta-Sanomat": "Hat Chirac Olympia nach London geblödelt?" - Die Boulevardzeitung stellte die Frage, ob die jüngsten Äusserungen von Chirac über das finnische und britische Essen Paris möglicherweise die Ausrichtung gekostet hat. Die beiden finnischen Delegierten Peter Tallberg und Jari Kurri dürften nämlich für London gestimmt haben. Hätten sie für Paris gestimmt, wäre ein 52:52 Stimmen-Patt herausgekommen. Tallberg sagte laut "Ilta-Sanomat": "Sagen wir so, Kurri und ich sind mit diesem Endresultat zufrieden."

"de Volkskrant": "Blair kann einen weitere Perle des Triumphs auf seine Kette ziehen. Chirac erhält den soundsovielten Schlag. Die ersten Auswirkungen sind vielleicht schon heute und morgen beim G8-Gipfel in Schottland sichtbar, wo Blair drei olympischen Verlierern gegenübersitzt - Frankreich, Russland und USA. Bush und Putin lässt die Ausschaltung New Yorks und Moskaus vermutlich völlig kalt. Interessant wird sein, ob Chirac sein müdes Haupt in den Schoss legt oder jetzt erst recht versuchen wird, dem Ergebnis seinen Stempel aufzudrücken."

"Jyllands-Posten": Das Wichtigste ist vielleicht, dass die Briten, von denen der Sport in seiner Form als Basis für die Olympischen Spiele geschaffen wurde, den Spielen den sportlichen Geist zurückgeben können, wie man das als Gastgeber 1908 und 1948 getan hat. Ansonsten ertrinken die Spiele im Kommerz."

(rp/Si)

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