Idée Urologue
Als am 23. September 2010 mit Simonetta Sommaruga die vierte Bundesrätin in die Schweizer Regierung gewählt und zum xten-mal die Frauenfrage und Konkordanz verhandelt wurden, tauchte ich vor der Fernsehkamera auf und verkündete in meiner gewohnt aufgeregt-euphorischen Art, dass es für mich nie genug Frauen im Bundesrat haben könne.
Vorgestern kursierte auf Facebook das neue Bild der Idee Suisse-Leitung. Nett drapiert sitzen oder stehen einige Herren im dunklen Anzug mit unterschiedlich farbigen Krawatte, mal bebrillt, geschielt oder direkt, auf und um ein rotes Sofa. Die Kommentare im Facebook überschlugen sich, das Wartezimmer der Urologen war leider nicht mehr dabei. Wie es sich eine öffentlich-rechtliche Institution im Jahre 2011 leisten kann, ein ausschliessliches Männergremium als Idee Suisse zu verkaufen, ist mir schlicht unverständlich. Doch die neue Bunga-Männlichkeit feiert offenbar Medien-Hochstand. So fragt auch die neue Moderatorin der Arena in der Sendung vom 2. April 2011 zum Thema «Wem gehört die Schweiz?» eine ausschliessliche Männerrunde, inklusive Männer-Experten in der ersten Reihe.
Während Brüssel und Berlin mehr oder minder ernsthaft über Frauenquoten in den obersten Leitungsgremien für börsenkotierte Unternehmen diskutieren, hüllen sich die öffentlich-rechtlichen Gremien hierzulande in uniformen Männerlook. Postfinance, Schweizerischer Nationalfonds, fast alle Universitätsleitungen, SBB (halt, hier eine glorreiche Ausnahme), Swisscom, Bakom, fast sämtlich Expertenkommissionen der Regierung (und viele andere mehr) sind ausschliessliche Männergremien (plus minus eine Frau zählt eigentlich nicht).
Das verwirrt. Schliesslich sind die Chefinnen in der Regierung in der Mehrheit weiblich. Könnte es sein, dass sie sich von der klassischen Moderatorinnenfunktion verwirren lassen und auch im Amt weiterhin das Schema: «Frau fragt, Mann antwortet» wiederholen?
Besonders absurd ist, dass erst vor kurzem himmelhochjauchzend 40 Jahre Frauenstimmrecht gefeiert wurde.
Nun bin ich die Erste, die festhält: Biologie spielt keine Rolle. Wenn sie aber derart dominant mit bestimmten Machtpositionen korreliert, gilt es aufzupassen. Denn dann entscheiden nicht die Leistung, sondern die Geschlechts-, Alters- sowie Vernetzungsbiologie über den entsprechenden Posten oder das Amt. Schauen Sie nochmals aufmerksam auf das Bild und Hand aufs Herz: Fällt Ihnen die unbedingte Eintönigkeit sowie Uniformität nicht auf? Denken die Herren auch so ähnlich wie sie aussehen? Das wäre dann doch sehr bedauerlich für die plurale und vielfältige Schweiz.
«Wenn ich je Gelegenheit hatte, mit einem Manne über Frauenbewegung und Frauenstimmrecht zu sprechen, so sind mir dabei zwei Dinge immer besonders aufgefallen: Einmal wie wenig im allgemeinen der Mann über die Ziele und Zwecke der Frauenbewegung orientiert ist, wie viele Missverständnisse ein Sichverstehen in diesen Fragen hemmen, und andererseits wie beinahe jeder mann sich sofort und instinktiv in Verteidigungsstellung begibt, sobald man diese Frage antönt.»
Dies meinte die kluge Helene David im Jahre 1919. Mir geht es 2011 noch immer so plus gibt es nun auch ein paar Führungsfrauen, die meinen: «Aber es hat sich soviel verändert!» Tja.
Voller Erstaunen stelle ich fest, dass unsere Grossmütter häufiger in den wichtigen Kommissionen sassen, besser behandelt und sogar öfters zitiert wurden als dies bei den zeitgenössischen Frauen als Lehrerinnen, als Dozentinnen, als Journalistinnen, als Schriftstellerinnen, als Künstlerinnen, als Philosophinnen etc. momentan der Fall ist. Machen Frauen in der Schweiz Schlagzeilen, dann vor allem als Ex-Miss oder künftige Miss. Sind sie klug, dann dürfen Sie immerhin einen Mamablog schreiben. Doch wehe, sie äussern sich zu Themen, die nicht frauenspezifisch, gesellschaftlich-kulturell, fashion etc. sind! Dann werden sie entweder totgeschwiegen oder mit dem Etikett «provokativ» belegt.
Doch vielleicht bin ich einfach ungerecht. Die Frauen sind nämlich vielleicht sogar im Bild. Wahrscheinlich sitzen alle hinter den Stoffbahnen des roten Sofas - oder sie sind sogar das Sofa. Deshalb müssen wir wahrscheinlich auch Sonja Hasler zu ihrer wahrhaft monströsen Frauenstimmrechtssendung vom 4.2.2011 gratulieren, als sie unter «Alles Paletti? Sind es jetzt die Männer, die unter die Räder kommen?» nicht nur einen Frauen- und Männertisch über Gleichberechtigung hat diskutieren lassen, sondern a) zur politischen Partizipation von Frauen ausgerechnet Claude Longchamp einlud und b) als eigentlichen Gleichstellungsexperten den Antifeministen der ersten Stunde, den Luzerner René Kuhn vorstellte ? Autsch.
Tja. Das Bild von «Idée Suisse» sagt mehr als 1000 Worte über den Zustand des Service publique, über die Uniformität der sogenannten Eliten, über den Iconographic Turn, über die Geschlechterkonstruktion in der Postmoderne, über die Finanz- sowie Machtverteilung, über die Ausländerpolitik etc. als jedes Standardwerk von Susan Neiman. Oder wie ein brillianter Facebookfriend meinte: «Männer sind feige, Frauen sind harmoniesüchtig. All diese Gemeinplätze schmerzen halt hüben wie drüben. (?) Wir werden mit Metawissen warmgespült. Nach dem Granteln und Selbstbemitleiden kommt der saublöde Gegenangriff: ich kauf mir jetzt auch 'nen dritten Massanzug, aber nur wenn Du Deine Stilettos im Bett montierst. Ist natürlich schön, wenn man Menschen trifft, die zwischen Rollenspiel und Gefühl unterscheiden können.» Punkto Macht stell ich hier nüchtern fest: Die «Idée Suisse» gehört mit Bestimmtheit nicht dazu.
(Regula Stämpfli/news.ch)
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