Die 17. Fussball-WM tritt in die entscheidende Phase. 56 von 64
Spielen sind gespielt. Neben zahlreichen attraktiven Partien und
der immensen Begeisterung sowohl in Südkorea als auch in Japan,
zeigt sich auch Walter Gagg als oberster WM-Sicherheitschef höchst
erfreut.
Haben Sie Meldungen von irgendwelchen Ausschreitungen oder
Zusammenstössen?
Walter Gagg: Nein. Kein Handgemenge, keine Hooligans. Nie
mussten Sicherheitstruppen eingreifen. Die WM läuft in geordneten
Bahnen, freudvoll und friedfertig. Wir sind erfreut über die
Disziplin und Ordnung aller Zuschauer.
Haben Sie eine so problemlose WM vermutet?
Gagg: Ich habe es erwartet. Südkorea und Japan sind die
sichersten Länder der Welt. Das hat mit der Gefühlslage und der
Ehrlichkeit der Menschen zu tun. Ausländer und Besucher passen sich
erfreulicherweise diesen positiven asiatischen Tugenden an.
Verhielten sich denn wirklich alle sittlich?
Gagg: 30 Hooligans, die durch die ersten Sicherheitsnetze
geschlüpft waren, wurden von den asiatischen Behörden am Zoll
zurückgewiesen. Sie konnten gar nicht einreisen. Es wurden auch
sehr wenige Diebstähle und Alkoholexzesse gemeldet. Man sieht, dass
Fussball nicht mit kriminellen Handlungen oder Ausschreitungen
gleichzusetzen ist.
Also überhaupt keine Vorkommnisse.
Gagg: Ein schottischer Englischlehrer, der in Polen lebt und die
Mannschaft seiner neuen Heimat in Jeonju in Südkorea beim Spiel
zwischen Polen und Portugal unterstützte, verletzte sich schwer.
Als er die polnische Flagge schwenkte, rutschte er im Regen aus und
fiel in einen Graben. Er zog sich eine schwere Schädelbasisfraktur
durch, ist inzwischen ausser Lebensgefahr, aber noch nicht
transportfähig. Das ist aber ein Unglücksfall wie er sich an jeder
Veranstaltung ereignen kann.
Für die Sicherheit wurden auch enorme Vorkehrungen getroffen.
Gagg: Korea stellt 55 000 Sicherheitsbeamte, Japan 40 000. Diese
rekrutieren sich aus Militär, Polizei, Hilfspolizei, Sanität,
Stewards, Feuerwehr und noch viele mehr. Dazu stehen
Spezialeinheiten wie Anti-Terror-Truppen im Einsatz. Jede Regierung
hat Fachleute abgestellt. Südkorea und Japan fühlen sich
verpflichtet, alles für die Sicherheit der Aktiven, deren Betreuer,
aber auch für die Zuschauer und Touristen zu tun.
Vermuten Sie noch andere Gründe der Friedfertigkeit?
Gagg: Reise, Unterkunft und Verpflegung sowie Eintrittspreise
sind teuer. Das kann sich nicht jeder leisten. Der Pöbel stammt ja
meistens aus unteren Schichten. Dazu hat uns sicher auch das Wetter
geholfen. Temperaturen und Luftfeuchtigkeit waren nicht so hoch wie
befürchtet. Man musste deshalb nicht so viel -- Alkohol -- trinken.
Nie war also eine Fussball-WM sicherer als in Südkorea und
Japan.
Gagg: Noch sind wir nicht durch, noch dauert das Fussball-
Weltfestival fast zwei Wochen. Auch vor acht Jahren in den USA
erlebten wir eine ruhige WM, im Gegensatz zu Italien 1990 und
Frankreich 1998. In Japan und Südkorea können auch Frauen nachts
alleine durch die Strassen schlendern, ohne angepöbelt oder
belästigt zu werden. Anstand, Hilfsbereitschaft und Wertschätzung
des Gastes lernt jeder Asiate von klein auf.
In welchem Zustand sind die Stadien?
Gagg: Auch da gibt es nur Positives festzustellen. Sowohl in
Südkorea wie in Japan stehen je 10 Stadien der Zukunft mit
modernster Infrastruktur für Spieler, Medien und Zuschauer. Alles
entspricht neuesten zeitgemässen Anforderngen. Keine der Arenen
kostete ja weniger als 300 Millionen Franken. Insgesamt wurden 18
neue Stadien erstellt, die eine Gesamtsumme von drei Milliarden
Dollar verschlangen.
Hat die FIFA dazu auch eine stattliche Summe beigesteuert?
Gagg: Nein. Die FIFA erteilt hiefür keinen Zuschuss. Für die
Kosten müssen der Staat, die Städte und die Sponsoren aufkommen. Ob
die Rechnung letztlich aufgeht, ist das Problem der Organisatoren.
Auch auf die Eintrittspreise hat die FIFA keinen Einfluss. Sie ist
nur Ratgeber.
Wie beurteilen sie die Qualität der Spielfelder?
Gagg: Ebenfalls ausgezeichnet. Rasenbeschaffenheit und Schnitt
sind einwandfrei. Wir erhalten von sämtlichen Teams Komplimente.
Die Bewässerung ist ideal. Regenwasser wird durch modernste Anlagen
gesammelt und dient gleich wieder zu neuer Berieselung.
Sind die Stadien auch vor Erdbeben sicher?
Gagg: Die Statik verheisst dies. Bei Erdstössen wird Schutz für
alle Menschen im Stadion zugesichert. Wir haben keinen Grund, an
der Richtigkeit dieser Versprechen zu zweifeln.
Eingeschritten ist die FIFA nur bei Wiederholungen von
Spielszenen auf der Grossleinwand in den Stadien, wenn ein
fragwürdiger Schiedsrichterentscheid vorlag.
Gagg: Wir haben dies deshalb verfügt, weil wir unsere Referees
schützen wollen. Sie verlieren sonst bei gewissen Entscheidungen,
die sie im Moment und ohne Wiederholungen und Zeitlupenaufnahmen
von allen Winkeln fällen müssen, ihre Glaubwürdigkeit. Die FIFA
will die Schiedsrichter nicht diskriminieren. Auch sie sind
Menschen und deshalb nicht fehlerlos.
Wie gefällt Ihnen der Fussball an dieser WM?
Gagg: Wir erleben eine WM mit einigen Überraschungen. Wer hätte
schon gedacht, dass in den Viertelfinals die vier ehemaligen
Weltmeister Frankreich, Argentinien, Uruguay und Italien nicht mehr
dabei sind. Die Fortschritte der Afrikaner und Asiaten wurden mit
dem Vorstoss von Senegal und Südkorea in die Viertelfinals belohnt.
Die Stimmung in beiden Ländern ist enorm. Wir erleben zahlreiche
Fussballfeste.
Und wer wird Weltmeister?
Gagg: Vor der WM habe ich auf Spanien getippt. Sie sind zwar
noch im Rennen, aber erscheinen mir auch etwas müde. Mein Favorit
heisst nun Brasilien.
(eh/sda)