Jahresrückblick 2012: Verlierer Nr. 2 - Wissenschaft

publiziert: Montag, 3. Dez 2012 / 11:46 Uhr
«Nutzlose Grundlagenforschung»? LHC am CERN.
«Nutzlose Grundlagenforschung»? LHC am CERN.

In diesem Jahr hat die Wissenschaft Triumphe feiern können: Es wurden erfolgreiche Weltraummissionen durchgeführt, der LHC in Cern hat vermutlich das Higgs-Boson gefunden und das Abschmelzen des arktischen Eises kann als Fakt gelten. Trotzdem ziehen es Politiker vor, einer alternativen Realität zu glauben.

Auch wenn viele Menschen dies nicht begreifen wollen: Es waren nicht nur Kultur und Philosophie, welche unsere Gesellschaften formten, die Wissenschaft war seit der Renaissance genau gleich daran beteiligt. Technischer Fortschritt und die Einordnung des Menschen als Teil der Welt statt als Wesen, dass gottgleich darüber steht, hat enormen Einfluss darauf gehabt, wie wir uns und unsere Umwelt wahrnehmen.

Dabei kann die Wissenschaft vor allem eines: Fakten liefern und die Methodologie, wie diese Fakten gefunden wurden, dazu liefern. Die Kritik an diesen Fakten, ihre Anwendung und Implementation muss hingegen jenen in der Gesellschaft, anvertraut werden, die Meinungen im öffentlichen Raum formen.

Ist eine Hypothese in der Wissenschaft viele Male unabhängig bewiesen und bestätigt worden so gilt sie in der Folge als Theorie. Besser wird es nicht mehr. Es gibt keine endgültige wissenschaftliche Wahrheit, denn dies würde ja heissen dass es nichts mehr zu einer Sache zu entdecken gibt. Und das es praktisch IMMER noch was zu entdecken gibt, zeigt sich immer wieder in allen möglichen Bereichen.

Doch bei vielen Theorien werden nur noch die Details verfeinert - sei dies nun in der Evolution, in der Immunologie, Plattentektonik oder in der Klimaforschung. Die Grundlagen sind solide und durch überprüfbare Fakten untermauert. Politiker hätten also gute Leitlinien für so manche wichtigen Entscheidungen - zum Beispiel in der Gesundheitspolitik, in der Umweltpolitik oder in der Raumplanung, um nur wenige Punkte zu nennen.

Stattdessen halten Sie es vielfach mit der Aussage eines Wahlkampfhelfers von Mitt Romney, der meinte, er lasse sich die Kampagne nicht durch Fakten versauen. So arbeiten weltweit Politiker vor allem danach, was ihrer Meinung nach Realität sein sollte - statt danach, was Realität ist.

Dabei ist vielfach nicht die Meinung der Politiker selbst entscheidend sondern die Volksmeinung oder jene der Wahlkampfspender und Gönner. Nicht zu vergessen ist natürlich auch die religiöse Einstellung der Kandidaten. So wird fröhlich gelogen und gedreht, geschwindelt und verwedelt, ganz wie es denn passt. Unbequeme Fakten sind da nicht wirklich brauchbar und aus dem definitiv traumatischen Eingriff der Kleinkindbeschneidung wird ein «harmloser Eingriff» und der deutsche Bundespräsident redet von «Vulgärrationalismus».

Es ist daher logischerweise schon lange Zeit ziemlich populär bei Politikern, Grundlagenforschung und Universitäten zumindest Teilweise von Steuergeldern abzukoppeln und von der Wirtschaft sponsern zu lassen. Wenn es nicht gerade Stiftungen sind, welche Uni-Institute füttern, dann sind es zwangsweise Firmen, die sehr spezifische Ziele haben und das eigentlich eherne Gesetz, die Finger von den Forschern zu lassen, bis die Resultate vorliegen, allzugerne ignorieren.

Arzneimittelskandale, manipulierte und sogar gefälschte Studien untergraben die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft, lassen sie - nicht zuletzt dank Budgetkürzungen durch die öffentliche Hand - zum Handlanger der Industrie verkommen. Selbst wenn dies bisher nur für Teile der Forschergemeinde gilt - der Eindruck, dass es alle betrifft, ist schnell geschaffen. Dies auch durchaus im Interesse der Politik.

Einwände aus der Forschung können so, selbst wenn sie legitim und berechtigt sind (Homöopathie auf Krankenkasse, zum Beispiel) als Propaganda der Industrie verunglimpft werden und in der Klima-Debatte wird den Forschern regelmässig unterstellt, ihre Resultate aus Geldgier zu publizieren, obwohl sie von Energiekonzernen wesentlich besseres Geld für «klimakritische» Gefälligkeitsgutachten bekommen könnten.

So erfüllt die Reduktion der Wissenschaftsbudgets gleich mehrere Ziele in der Politik: Unabhängige, unbequeme Wissenschaftler wird die Arbeitsgrundlage entzogen, der Politiker kann mit Stolz von seinen Sparbemühungen berichten, Industriesponsoren wird ein Weg an gut reputierte Unis geebnet und kritische Stimmen aus der Forscher-Ecke verlieren an Glaubwürdigkeit, ganz egal, wo ihre Finanzierung her kommt und wie (un-)abhängig sie von der Wirtschaft sind.

Wenn dann noch ständig Angriffe gegen die Grundlagenforschung geritten werden, in denen deren Nutzen in Frage gestellt werden («und was kann man mit einem Higgs-Boson machen, hä?»), stimmen vor allem konservative, «budgetbewusste» Politiker gerne mit ein und werden von einer zunehmend esoterisch-religiös benebelten Linken dabei noch unterstützt. Dass viele Milliarden-Industrien gerade auf solchen, bei der Entdeckung «nutzlosen» Grundlagen basieren (Mobilfunk, Computer, Navigation, Verbundwerkstoffe, etc...) wird dabei natürlich nicht erwähnt.

Politiker sollten sich das hinter die Ohren schreiben: eine unabhängige und gut dotierte Wissenschaft ist die Garantie für die Zukunft der Gesellschaft - denn eines ist sicher: Wenn wir im Angesicht der durch Überbevölkerung, Antibiotikaresistenzen, Bodenerosion, Verekarstung und Klimawandel anstehenden Probleme auf Populismus, Fundamentalismus und Neoliberalismus, statt unabhängige Wissenschaft setzen, wird die Welt wesentlich unbequemer, als es der aufsässigste Wissenschaftler je sein könnte.

(et/news.ch)

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