Die vom deutschen Philosophen Karl Jaspers stark beeinflusste
Denkerin hatte mit ihren dezidierten Stellungnahmen zu politischen
Fragen der Zeit immer wieder für Aufsehen und Widerspruch gesorgt.
Mit Stellungnahmen für Landesverteidigung und Kernenergie und gegen
Drogenfreigabe erwarb sie sich den Ruf der «Rechtslastigkeit».
Hersch engagierte sich aber auch direkt in der Politik: in ihrer
Arbeit bei der Unesco und als politische Beraterin und Delegierte,
etwa beim Kulturforum der KSZE 1985. Bereits 1939 trat sie der
Sozialdemokratischen Partei bei, die sie als «Schule des
demokratischen Denkens» betrachtete.
Jaspers und Heidegger
Jeanne Hersch wurde am 13. Juli 1910 in Genf geboren. Ihre
Eltern waren osteuropäische Intellektuelle jüdischer Abstammung.
Sie studierte deutsche Literatur, hörte Karl Jaspers in Heidelberg
und Martin Heidegger in Freiburg und arbeitete nach dem Abschluss
zunächst als Gymnasiallehrerin.
1956 bis 1977 war sie Professorin für systematische Philosophie
an der Universität Genf. 1966-68 leitete sie die Abteilung für
Philosophie der Unesco in Paris und vertrat danach die Schweiz im
Unesco-Exekutivrat. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter
anderen den Preis der Stiftung für Freiheit und Menschenrechte.
Ihre Essays und Vorträge wurden in Buchform Bestseller. Kaum ein
Thema blieb von ihr unbeachtet: von der Euthanasie bis zum
Schwangerschaftsabbruch, von den Menschenrechten bis zu Europa, von
bildender Kunst bis zur Kopp-Affäre.
Kritische Würdigungen
Für die Basler Philosophieprofessorin Annemarie Pieper war eine
der imponierendsten Leistungen von Hersch, dass sie neben grossen
Sinnfragen Alltagsbereiche wie Staunen, Angst, Freude philosophisch
einem grossen Publikum nähergebracht habe. Aber mit ihren Meinungen
zur Tagespolitik habe sie «manchmal wohl auch Fehler gemacht».
Von Jeanne Hersch bleibe ihm die Erinnerung einer sehr starken
Präsenz, sagte der Genfer Literaturwissenschafter Jean Starobinski.
Nie habe sie die Ethik von der Politik getrennt, was sehr kostbar
sei. Auch wenn gewisse Stellungnahmen Herschs fragwürdig gewesen
seien, habe sie sich immer ihre ethische Glaubwürdigkeit bewahrt.
Für Professor Jean Ziegler war Hersch eine grosse Philosophin.
Er sei mit ihr jedoch nie einer Meinung gewesen. Hersch sei unter
anderem gegen seine Berufung an die Universität Genf gewesen mit
der Begründung, er sei ein linksextremer Agitator. Dennoch sagt
Jean Ziegler: «Sie war eine aussergewöhnliche Frau.»
(news.ch)