Am meisten überrascht war Jiri Novak selber: «Ich hätte nie
gedacht, dass ich dieses Turnier gewinnen könnte. Ich habe nicht
einmal erwartet, gegen Guillermo Coria die 1. Runde zu überstehen.»
Für den 26-jährigen Tschechen wurde ein Tennis-Märchen wahr. Er
traf letzte Woche erst am Dienstagnachmittag in Gstaad ein, weil er
am Montag noch den Doppelfinal in Wimbledon bestritten und verloren
hatte. Unmittelbar nach seiner Ankunft im Saanenland bezwang er den
als Nummer 7 gesetzten Argentinier Coria 6:2, 6:4, obwohl dieser
schon fast eine Woche lang in Gstaad trainiert hatte.
Novak war der einzige der spät aus Wimbledon angereisten Profis,
der die Umstellung von Rasen auf Sand schaffte. Die anderen (Safin,
Federer, Arazi) schieden alle in der Startrunde aus. Novak dagegen
siegte immer weiter: Im Achtelfinal deklassierte er Felix Mantilla,
den Turniersieger von 1997. Im Viertelfinal liess er dem letzten
verbliebenen Schweizer, Michel Kratochvil, ebenfalls keine Chance.
Und am Finalwochenende besiegte er die beiden Top-Ten-Spieler Alex
Corretja und Juan Carlos Ferrero und beendete damit die spanische
Dominanz in Gstaad. Seit 1991 hatten mit einer Ausnahme (1995
Jewgeni Kafelnikow) nur Spanier im Saanenland gewonnen.
17 Punkte in Folge
Der grösste Coup gelang Novak im Final. Er bezwang Juan Carlos
Ferrero (ATP 5) in 1:48 Stunden 6:1, 6:7 (5:7), 7:5. Die Partie
begann kurz nach 12 Uhr, ging bei nasskalter Witterung indes erst
gegen 18 Uhr zu Ende. Ferrero hatte zuvor auf Sand eine Matchbilanz
von 31:3 gehabt, wurde aber anderthalb Sätze lang von Novak
vorgeführt. Vom 4:1 im ersten Satz bis zum 6:1, 2:0, 30:0 gewann
Novak 17 Punkte hintereinander. Der Tscheche besass total fünf
Chancen für einen Doppelbreak-Vorsprung im zweiten Satz (3:0 oder
4:1). Bei zwei dieser fünf Breakmöglichkeiten entschied der Referee
gegen ihn und gegen den Linienrichter. Ferrero fand daraufhin noch
ins Spiel zurück, Novak liess sich aber auch durch die verpassten
Chancen und den Satzausgleich nicht aus der Ruhe bringen. Im
Entscheidungssatz brachte er all seine Aufschlagspiele sicher
durch. Ferrero geriet immer mehr unter Druck und produzierte
schliesslich beim zweiten Matchball den entscheidenden
Doppelfehler.
Unscheinbarer Champion
Für Novak war es der grösste Erfolg seiner Karriere. Der Mann
aus Zlin hat zwar schon vorher drei Turniere gewonnen, «aber die
waren alle mit etwa der Hälfte Preisgeld dotiert.» In der Schweiz
sorgte er vor fünf Jahren für Furore, als er in Basel Boris Becker
schlug und in der Folge die Halbfinals erreichte. Im gleichen Jahr
hatte er bei Prostejov mit Martina Hingis Interclub gespielt. Und
letztes Jahr bezwang er im Daviscup Pete Sampras mit 3:0 Sätzen.
Selber bezeichnet sich Novak als unscheinbar. Er verstehe, dass
er kaum Unterstützung vom Publikum erhalte, schliesslich eliminiere
er hier einen Publikumsliebling nach dem anderen, was ihm ein wenig
leid tue. Im Final erhielt Novak als Aussenseiter Unterstützung --
allerdings waren nur rund die Hälfte der 3824 Zuschauer, die ein
Ticket gekauft hatten, am Court präsent.
In der Weltrangliste wird sich Jiri Novak dank des zweiten
Turniersieges in dieser Saison (nach München ebenfalls auf Sand)
von Platz 40 etwa auf Position 33 verbessern. Finalverlierer Juan
Carlos Ferrero steigt von 5 auf 4. Im Champions Race ist Ferrero
neu hinter Andre Agassi die Nummer 2.
Drittbester Besuch
Gewiss wäre den Organisatoren Juan Carlos Ferrero als Sieger
lieber gewesen als Novak. Dem 21-jährigen Spanier gehört die
Zukunft, er kann der beste Spieler seiner Art seit Mats Wilander
oder Guillermo Vilas werden. Die Bilanz der Veranstalter war aber
positiv. Das «Regen Open» vom letzten Jahr hinterliess wenig
Spuren. Der befürchtete Zuschauerrückgang blieb aus. Das Wetter war--
abgesehen vom Finaltag -- gut. Mit 45 368 Besuchern wurde das
drittgrösste Zuschauertotal erreicht; bei schönem Wetter am Sonntag
wäre sogar ein Zuschauerrekord möglich gewesen.
(sda)