Keine Privilegien für religiöses Marketing!

publiziert: Donnerstag, 21. Aug 2014 / 11:58 Uhr
Hotelzimmerbibeln: Entfernung aus Hotels ist keineswegs «tragisch und bizarr.»
Hotelzimmerbibeln: Entfernung aus Hotels ist keineswegs «tragisch und bizarr.»

Keine Bibeln mehr in den Zimmern einer der grössten englischen Hotelketten - das ist vernünftig und nachahmenswert. Es ist nicht die Aufgabe eines Hotels, wegen ein paar weniger Interessierten allen Gästen ein religiöses Buch unterzujubeln. Eine solch neutrale Haltung würde auch einem säkularen Staat wohl anstehen.

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Anfangs Woche wurde publik: Eine englische Hotelkette stattet ihre Zimmer neu nicht mehr mit den Gratisbibeln der Gideons aus. Ihre Begründung: England werde vielfältiger und sie wolle keine Religion bevorzugen oder diskriminieren. Ein vernünftiger Entscheid, der auch hierzulande gefördert werden könnte, indem mehr Menschen bei der Buchung ein bibelfreies Zimmer verlangen würden. Der Aufschrei der anglikanischen Kirche blieb aber natürlich nicht aus: tragisch sei der Entscheid und bizarr.

Tragisch, bizarr? Nüchtern betrachtet: Wer heute reist, hat die persönlich Dinge mit dabei, führt allenfalls auch eine Bibel oder ein anderes Buch mit sich, physisch oder elektronisch. Es gibt keine Notwendigkeit, die Bibel allen Menschen ungefragt bereitzulegen. Im Gegenteil. Sollte jemand das Buch tatsächlich vermissen, wäre die vernünftige Gegenfrage: «Warum tragen Sie kein Exemplar auf sich, wenn es Ihnen so wichtig ist?» Dann würde sich schnell zeigen, dass hier nicht ein subjektives Bedürfnis zur Nachfrage drängt, sondern das Marketingbedürfnis einer Religion, die um ihre öffentliche Position kämpft - diese Tatsache mag für sie tatsächlich tragisch sein, bizarr ist allenfalls, wenn sie das partout nicht wahrhaben will.

In der gleichen Woche wurde bekannt, dass das Zürcher Warenhaus Jelmoli seinen zahlungskräftigen, religiösen arabischen ShopperInnen einen Gebetsverrichtungsraum anbietet. Die Begründung: Man nehme die Bedürfnisse der gläubigen Kundinnen ernst und habe beobachtet, dass sonst irgendwo in den Ladenräumlichkeiten wild gebetet werde. Nun, immerhin werden dadurch die anderen Kunden vor den Gebetsritualen der frommen Muslime verschont. Allerdings ist zu bedenken, dass an diesen Gebetsraum für ein paar wenige Fromme teure Ladenquadratmeter vergeben werden, für die alle Kunden letztlich bezahlen. Frau hat aber die Wahl, sie kann sich ja überlegen, ob sie Jelmoli nicht einfach seinen reichen arabischen KundInnen überlassen will.

Anders verhält es sich mit religiöser Werbung im öffentlichen Raum. Religiöses Marketing ist in den letzten Jahren aggressiver geworden.

Der Gideon-Bund ist eine klandestine Bewegung von evangelikalen «Geschäftsleuten», die sich als Menschenfischer betätigen, indem sie Bibeln in Hotels, Krankenhäusern, Schulen, Altersheimen und Gefängnissen auslegen oder kostenlos an Schülerinnen und Studenten, an Polizei- und Armeeangehörige und an das Pflegepersonal abgeben. Das Geld für dieses Marketing kommt aus Spenden, regelmässig auch aus Kollekten der Schweizer Landeskirchen. In der Schweiz sind die Gideons in den letzten Jahren schon mehrmals negativ aufgefallen, weil sie in oder direkt vor Volksschulen den SchülerInnen ihr «Geschenk» aufgedrängt haben. In gewissen Kantonen geschah dies sogar mit Empfehlung der Regierung.

Und dann sind da die allgegenwärtigen und immergleichen blauen Plakate mit Bibelsprüchen der spendenfinanzierten Aktion C. Entlang von Schweizer Strassen dokumentieren sie zunächst einmal die Malaise der Allgemeinen Plakatgesellschaft APG, welche nicht gebuchte Plakatstellen den Religiösen zu Dumpingpreisen vermietet. Wahrscheinlich gehört die Agentur C mittlerweile zu deren grössten Kunden, und vielleicht gibt es ja auch noch persönliche Verflechtungen zwischen der APG und evangelikalen Kreisen. In zweiter Linie zeigen der Fall der Agentur C aber auch eine Lücke in den Plakatierungsvorschriften auf, welche religiöse Werbung freier zulassen als etwa parteipolitische. Vermutlich müssen erst mit arabischen Ölmillionen finanzierte muslimische Plakate die Schweiz verunzieren, bevor die Politik daran etwas korrigiert.

Marketing will immer die Vorzüge eines Produkts präsentieren, die negativen Effekte werden ausgeblendet. Umso erstaunter ist man deshalb, wenn man hört, dass in Berlin eine öffentliche Gedenkstätte für ein kirchliches Zwangsarbeiterlager im 2. Weltkrieg errichtet werden soll - natürlich auf öffentlichem Grund und sehr wahrscheinlich mit Unterstützung der öffentlichen Hand. Ausgerechnet die Kirchen, die sowieso schon zu den grössten Grundbesitzern gehören. In einer ihrer vielen leerstehenden Liegenschaften an allerbesten Lage hätten sie Platz genug, um eine Gedenkstätte einzurichten. Dort läge sie auch richtig, sie würde nämlich die Gläubigen dazu anregen, die problematischen Seite ihrer Kirche zu erkennen. Stattdessen wollen die Kirchen die grosse öffentliche Geste, die vor allem zeigen soll, dass man sich öffentlich bescheinigt, heute geläutert zu sein - Marketing eben.

Es ist höchste Zeit, dass sich säkular nennende Staaten solche Machenschaften nicht mehr unterstützen, sondern in Fragen des religiösen Marketings dieselbe neutrale Position einnehmen, wie die englische Hotelkette.

(Reta Caspar/news.ch)

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