Komet Menschheit

publiziert: Dienstag, 23. Jun 2015 / 16:24 Uhr
Massenaussterben früher: Kometeneinschlag. Die Menschheit kann's auch ohne.
Massenaussterben früher: Kometeneinschlag. Die Menschheit kann's auch ohne.

Vor zirka 66 Millionen Jahren erschütterte ein Komet mit ca. 10 Kilometer Umfang, der mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit einschlug, unsere Erde und leitete das fünfte allgemein anerkannte Massenaussterben der Weltgeschichte ein. Wie es aussieht, dürfte das sechste ganz ohne Kometen eintreten - sozusagen hausgemacht.

11 Meldungen im Zusammenhang
Weiterführende Links zur Meldung:

Studie zum heutigen Massenaussterben
Die vollständige, im Text erwähnte Studie.
advances.sciencemag.org

Massenaussterbens-Ereignisse
Auflistung der Massenaussterben auf Wikipedia
wikipedia.de

Wobei über die genaue Zahl durchaus gestritten werden kann, da der Begriff Massenaussterben nicht genau definiert ist. Für manche müssen 75% der meisten Arten aussterben, für andere reicht bereits eine grosse Reduktion der Biodiversität, damit das Label «Massenaussterben» verliehen werden kann. Doch eigentlich ist es ja egal, ob es sich um das sechste, siebte oder achte Massenaussterben handelt....

Das erste bekannte (auch wenn es auf den meisten Listen fehlt) fand bereits vor 2,4 Milliarden Jahren statt, als die Cyanobakterien mit der Erfindung der Fotosynthese und der Erzeugung des sehr aggressiven Giftes Sauerstoff in grossen Mengen fast alle anaeroben Bakterien, die bis dahin das Leben auf der Welt stellten, vergifteten.

Dann ging es fast 2 Milliarden Jahre bis zum nächsten bekannten Massentod, als vermutlich ein Klimawandel am Ende des Kambriums vor 485 Millionen Jahren 80% aller Lebewesen auslöschte. Nur vierzig Millionen Jahre später, im Ordovizum, starb nochmals die Hälfte des irdischen Lebens aus, wobei nicht klar ist, ob daran eine erdnahe Supernova, oder der Klimawandel durch die damals neuen Landpflanzen daran schuld war.

Genau wie das vorherige Sterben war auch jenes im oberen Devon vor 375 - 360 Mio. Jahren ein eher kleineres, aber lange ausgedehntes Massenaussterben, das in mehreren Schüben 'nur' etwa die Hälfte der Fauna und diese ausschliesslich im Meer tötete. Es wird ein Rückgang des Sauerstoffgehalts im Meer vermutet (die Gründe dafür sind aber unklar), das die Evolution der Amphibien und so letzten Endes auch von uns, anschob, weil Tiere, die Luftsauerstoff atmen konnten, einen Vorteil hatten.

Dann, vor 252 Millionen Jahren, an der Grenze von Perm und Trias, kam das grösste bekannte Massenaussterben, bei dem innerhalb von 200'000 Jahren 95% aller Meeresbewohner und zwei Drittel aller Landlebewesen verschwanden. Das Sterben fand in drei Phasen statt, wobei die erste (an Land) durch gigantische Vulkanausbrüche in Sibirien und den durch das ausgestossene CO2 verursachten Klimawandel (+5°C) ausgelöst wurde. Die Klimaerwärmung sorgte dann auch für eine Erwärmung der Ozeane, die dazu auch noch versauerten, so dass Meeresorganismen nicht mehr ihre Schalen und Skelette aus Kalk bauen konnten und so ausstarben, selbst wenn sie den Temperaturschock überlebt hätten. In dieser zweiten Phase wurde durch die Erwärmung der Ozeane auch eine grosse Menge des am Meeresboden gebundenen Methans in die Atmosphäre freigesetzt, das als Treibhausgas etwa 20x stärker als CO2 wirkt. Die so entstandene weitere Erwärmung der Atmosphäre um 5°C verursachte an Land eine zweite Welle des Massenaussterbens, das - einzigartig in der Weltgeschichte - sogar ein Drittel der Insekten betraf.

Das Ende der Trias, vor 201 Millionen Jahren, sah - vermutlich wieder durch Vulkanausbrüche, die dieses Mal die Atmosphäre mit Schwefeldioxid verseuchten und die flachen Randmeer mit Schwefelwasserstoff vergifteten - ein Massentodereignis, das 50 - 80% aller Tierarten umbrachte.

Vor 66 Millionen Jahren kam dann jenes Massenaussterben, das fast jedem ein Begriff ist. Wobei hier - obwohl womöglich sowohl ein Komet als auch ein Supervulkan in Indien daran beteiligt waren - «nur» etwa 50% der Tierarten ausstarben. Fast unbekannt hingegen ist die «Grand Coupure» vor knapp 34 Millionen Jahren, bei der durch eine Klimaabkühlung 60% der Säugetierarten des unteren Oligozäns ausstarben, wobei die Ursachen dieses Klimawandels noch unklar sind - sowohl durch Kontinentaldrift veränderte Meeresströmungen als auch Vulkane und Meteoriteneinschläge werden vermutet.

Der obige kurze Abriss macht hoffentlich zweierlei klar: Bei solchen Massenaussterben verschwanden die Arten nicht von heute auf morgen, sondern es handelte sich um Phasen von Tausenden, ja hunderttausenden Jahren, in denen die Tiere aufgrund von veränderten Umweltbedingungen dahingerafft wurden. Andererseits: Die Ursachen des Aussterbens tönen erschreckend bekannt: Klimawandel, Versauerung der Ozeane durch CO2, Vergiftung der Oberflächengewässer, Freisetzung von Methan und Reduktion des Sauerstoffgehalts von Gewässern.

Nun ist bei uns kein Komet abgestürzt oder ein Supervulkan ausgebrochen. Doch Arten sterben aus. Das tun sie zwar immer, sonst gäbe es keine Evolution. Doch das Tempo, in dem Arten seit etwas mehr als 100 Jahren aussterben, ist laut einer in Science veröffentlichten Studie im Zeitraum seit 1900 114 Mal höher als normal zu erwarten wäre. Und dies, obwohl die Forscher die Basis-Aussterbensrate 2 bis 20x so hoch ansetzten wie diese allgemein eingeschätzt wird. Trotzdem starben allein unter den Wirbeltieren im letzten Jahrhundert so viele Arten aus, wie sonst in 800-10000 Jahren.

Es lohnt sich ganz klar, den frei zugänglichen Aufsatz zu lesen (nur damit einem auch klar wird, warum die Variablen so weit auseinanderliegen und die Ergebnisse vermutlich noch besorgniserregender sind, als sie auf den ersten Blick erscheinen). Der - auf sehr vorsichtigen Schätzungen beruhende - Schluss ist der, dass Arten derzeit so schnell wie nicht mehr seit 65 Millionen Jahren, als ein Steinbrocken, der höher als der Mount Everest war, im Golf von Mexiko einschlug, verschwinden. Oder, korrekter gesagt, von uns verschwunden werden.

Und wenn es so weiter geht, wird ein weiteres Massenaussterben eintreten, das in seinem Ausmass an jenes der oben ausgeführten heran kommt. Ganz einfach basierend auf dem Verlust von Lebensräumen, Überbelastung aus wirtschaftlichen Gründen, grenzenlosem Konsum und wirtschaftlicher Ungleichheit.

Und hier wird es politisch. Denn seit dem Wirtschaftscrash hat die Menschheit offenbar keine Zeit und Musse mehr für solche Kinkerlitzchen wie Umweltschutz und nachhaltiges Wirtschaften. Wir kämpfen mit ökonomischen Desastern auf der ganzen Welt, die Unruhen, Kriege und Flüchtlingsströme auslösen. Doch die Ursachen vieler dieser Unruhen haben auch ökologische Ursachen. Missernten und höhere Getreidepreise verursachen Unruhen und Aufstände in ärmeren Weltgegenden. Und nicht wenige «Wirtschaftsflüchtlinge» sind einfach auf der Flucht vor Hunger und dem Verlust ihrer Lebensgrundlagen. Wobei diese Dürren und Missernten durch bis vor wenigen Jahren unbekannten Extremwetterereignisse ausgelöst werden, die ihre Grundlage im Klimawandel haben, der immer noch von vielen Dummköpfen wortreich, aber faktenarm bestritten wird.

Im Hintergrund sterben unterdessen Tierarten aus, einzigartige Spezialisten, hervorgebracht von der Evolution, um spezielle Nischen zu besetzen. Wenn deren Lebensräume weg fallen, verschwinden auch sie. Und dann wird das Eintreten, was auch bei den Massenaussterben der Weltgeschichte schon stimmte: übrig bleiben die «Unkraut-Arten», jene Tiere, die sich überall irgendwie durch schlagen können. Ratten, Mäuse, Heuschrecken und Schaben, um nur mal die prominentesten zu nennen. Opportunistische Arten, Generalisten, die überall durchkommen, auch wenn die Lebensgrundlage dünn geworden ist.

Biodiversität schützt unsere Art zu leben und hält opportunistische Tierarten in Schach. Biodiversität birgt auch das Potential von vielen Problemlösungen für uns, die im Erbgut von Tieren und Pflanzen (die auch vom Aussterben betroffen sind) verborgen liegen. Biodiversität sorgt für eine reichhaltigere, lebenswertere Welt, die auch Naturkatastrophen besser wegstecken kann. Es liegt an den von uns bestimmten Politikern für dieses Leben gegen den Gewinn- und Ideologie-gesteuerten Massentod zu kämpfen, denn ob Mexikanische Grizzlys, Tasmanischer Tiger, Karibische Mönchsrobbe, Dodo, Wandertaube, Moa, Quagga, Sardinischer Pika, Steller'sche Seekuh, Auerochs und wie die erst durch den Menschen ausgerotteten Tiere alle heissen, sie wären nur der Anfang einer fast nicht enden wollenden Liste. Es liegt an uns, zu entscheiden, ob wir als eine Naturkatastrophe, als der «Komet Mensch», in die Geschichte eingehen wollen. Die Möglichkeiten durch Technik und Wissenschaft hätten wir. Es fehlen lediglich Einsicht und politischer Wille.

Übrigens: Nach einem Massenaussterben erholen sich Flora und Fauna jeweils wieder und erreichen irgendwann wieder dieselbe Vielfalt und denselben Reichtum, die sie vorher hatten. Man muss nur 5 bis 10 Millionen Jahre warten können.

(Patrik Etschmayer/news.ch)

Kommentieren Sie jetzt diese news.ch - Meldung.
Lesen Sie hier mehr zum Thema
Washington - Ohne rechtzeitige ... mehr lesen
Kalifornien drohen zunehmend Trockenperioden.
Papst Franziskus will weltweit auf das Thema aufmerksam machen.
Rom - Papst Franziskus hat vor der vollständigen Zerstörung des Ökosystems in diesem Jahrhundert gewarnt, sollte der Klimawandel nicht rasch gebremst werden. Die Industrieländer hätten eine ... mehr lesen
Oslo - Eisbären steigen bei der ... mehr lesen
Veränderungen verlangen nach neuen Taktiken.
Bestehende Schutzgebiete zeigen, dass die Menschen von einem erweiterten Schutz der Ozeane profitierten.
Lissabon - Die Umweltschutzorganisation WWF fordert eine Ausweitung der Meeresschutzgebiete weltweit. Die wirtschaftlichen Vorteile würden die Kosten bei weitem ... mehr lesen
Luzern - Jede zweite Vogelart, die in ... mehr lesen
Der Kiebitz brütet in der Schweiz.
Weitere Artikel im Zusammenhang
Eine langfristige Prognose ist wegen mangelnder Messdaten aus Gebirgsregionen kaum möglich.
Turin - Gebirge erhitzen sich deutlich ... mehr lesen
Brüssel - Die Tierwelt in Europa stirbt sehr rasch aus, da die artenreichen ... mehr lesen
Die Tierwelt Europas stirbt sehr rasch aus.
Bern - Grosse weisse Pilzflächen ... mehr lesen
Die aggressive, leicht übertragbare Pilzkrankheit führt bei den Fischen häuftig zum Tode.
Die Elefanten in Afrika sind gefährdet.
Kasane - Wegen des dramatischen Rückgangs der Elefantenpopulation in Afrika fordern Experten dringend drastische Massnahmen gegen Wilderei. Andernfalls drohe der afrikanische Elefant in ... mehr lesen
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 22
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
«Hier hätte ich noch eine ...
In den USA ist bei einer Frau mit Harnwegsinfektion zum ersten mal ein Bakterium aufgetaucht, das gegen das letzte Reserve-Antibiotikum resistent ist. Wer Angst vor ISIS hat, sollte sich überlegen, ob er seinen Paranoia-Focus nicht neu einstellen will. Denn das hier ist jenseits aller im Alltag sonst verklickerten Gefahren anzusiedeln. mehr lesen 4
Durch ungeschickte Avancen von SBB- und Post-Chefs, droht die Service-Public-Initiative tatsächlich angenommen zu werden. Von bürgerlicher Seite her solle ... mehr lesen  
Künftig mindestens 500'000.-- und die ganze Schweiz inklusive: SwissPass, der schon bald mal GACH heissen könnte.
Eine renommierte US-Kanzlei stellt einen neuen Anwalt Namens Ross ein. Die Aufgabe: Teil des Insolvenz-Teams zu sein und sich durch Millionen Seiten Unternehmensrecht kämpfen. Und nein, ROSS ist kein armes Schwein, sondern ein Computerprogramm. mehr lesen  
Sicherheitskontrolle in US-Airport: 95% Versagen, 100% nervig.
In letzter Zeit wurden aus Terrorangst zwei Flüge in den USA aufgehalten. Dies, weil Passagiere sich vor Mitreisenden wegen deren 'verdächtigen' Verhaltens bedroht fühlten. Die Bedrohungen: Differentialgleichungen und ein ... mehr lesen  
Typisch Schweiz Der Bernina Express Natürlich gibt es schnellere Bahnverbindungen in den Süden, aber wohl ...
Highlight der Kollektion: Eine Gibson Les Paul von 1959, die 300.000 bis 500.000 Pfund einbringen soll.
Shopping Mark Knopfler verkauft seine Gitarrensammlung Die Gitarrensammlung vom Dire Straits-Gitarristen Mark Knopfler wird am 31.01.2024 bei Christie's versteigert.
Erstaunliche Pfingstrose.
Jürg Zentner gegen den Rest der Welt.
Jürg Zentner
Frauenrechtlerin Ada Wright in London, 1910: Alles könnte anders sein, aber nichts ändert sich.
Regula Stämpfli seziert jeden Mittwoch das politische und gesell- schaftliche Geschehen.
Regula Stämpfli
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
Patrik Etschmayers exklusive Kolumne mit bissiger Note.
Patrik Etschmayers
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Peter Achten zu aktuellen Geschehnissen in China und Ostasien.
Peter Achten
Recep Tayyp Erdogan: Liefert Anstoss, Strafgesetzbücher zu entschlacken.
Skeptischer Blick auf organisierte und nicht organisierte Mythen.
Freidenker
 
Stellenmarkt.ch
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Fr Sa
Zürich 0°C 12°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt wolkig, aber kaum Regen
Basel 5°C 14°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen wolkig, aber kaum Regen
St. Gallen 1°C 9°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt
Bern 0°C 11°C starker Schneeregenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wolkig, aber kaum Regen
Luzern 1°C 12°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt wolkig, aber kaum Regen
Genf 5°C 13°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt wolkig, aber kaum Regen
Lugano 6°C 10°C wechselnd bewölkt, Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig anhaltender Regen anhaltender Regen
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten