Marcel Hänggi: «Eine anmassende und zynische Methode»

publiziert: Freitag, 8. Okt 2010 / 08:19 Uhr / aktualisiert: Freitag, 8. Okt 2010 / 15:31 Uhr
Gastautor Marcel Hänggi ist Wissenschaftsjournalist und Autor des Buchs «Wir Schwätzer im Treibhaus. Warum die Klimapolitik versagt» (Zürich 2008).
Gastautor Marcel Hänggi ist Wissenschaftsjournalist und Autor des Buchs «Wir Schwätzer im Treibhaus. Warum die Klimapolitik versagt» (Zürich 2008).

Klimablog-Gastautor Urs Näf von Economiesuisse hat an dieser Stelle rhetorisch gefragt, ob die «Glaubwürdigkeit des Weltklimarats auf dem Tiefpunkt» sei (siehe weiterführende Links). Er beruft sich auf den Ökonomen Richard Tol, der sowohl den IPCC-Bericht wie auch den Stern-Review als viel zu pessimistisch einschätzt, was die Auswirkungen - respektive als zu optimistisch, was die Kosten der Vermeidung des Klimawandels angeht.

1 Meldung im Zusammenhang
Weiterführende Links zur Meldung:

Marcel Hänggi
Mehr zum Wissenschaftsjournalisten und Autoren Marcel Hänggi und seinem Buch «Wir Schwätzer im Treibhaus. Warum die Klimapolitik versagt» (Zürich 2008)
mhaenggi.ch

Blogbeitrag von Gastautor Urs Näf
Im Text erwähnter Blogbeitrag «Glaubwürdigkeit des Weltklimarats auf dem Tiefpunkt?» von Gastautor Urs Näf, economiesuisse.
klimablog.ethz.ch

Es lohnt sich, diese Argumentation etwas näher zu betrachten. Tols Methode ist die Kosten-Nutzen-Analyse. Kosten-Nutzen-Analytiker berechnen, wie viel Klimaschutz optimal sei - in der Überzeugung, dass es sowohl ein Zuviel wie ein Zuwenig an Klimaschutz geben könne. Sie haben dabei den Anspruch, nicht nur monetäre, sondern sämtliche Kosten respektive Nutzen zu berücksichtigen (und neigen dazu, ihre Sichtweise als die einzig richtige zu betrachten).

Tol ist in dieser ökonomischen Schule eine innovative Figur: 1995 führte er das Konzept der «recreational benefits» ein. Die Erderwärmung, so seine Überlegung, bringe mehr sonnige Tage - ein Plus für alle Freunde von Outdoor-Aktivitäten, das in die Rechnungen einfliessen müsse. Das heisst nichts anderes, als dass mehr Hungertote nach Dürren dadurch aufgewogen werden, dass öfter ohne Regenschirm Golf gespielt werden kann. Der einflussreiche Umweltökonom William Nordhaus, der das Konzept übernahm, setzte beispielsweise die «Freizeitgewinne» in China infolge des Klimawandels dreimal so hoch an wie die Verluste durch gesteigerte Mortalität und Morbidität.

Ein Kritiker hat angemerkt, für den grössten Teil der Weltbevölkerung dürfte in erster Linie «der Kampf ums Überleben und nicht ein Mangel an sonnigen Tagen» die Freizeitaktivitäten begrenzen.¹ Doch das ficht die Resultate der Analysen nicht an: Denn wer kein Geld hat für Freizeitaktivitäten, zählt in einer solchen Rechnung sowieso kaum.

Im Entwurf zum zweiten IPCC-Bericht von 1995 stand, ein Menschenleben sei in einem Industrieland mit 1,5 Millionen Dollar zu bewerten und in einem Entwicklungsland mit 150.000 Dollar. Kein Wunder, protestierten vierzig Wissenschaftler in einem offenen Brief in der Zeitschrift «Nature» gegen diese Aussage. Die Passage wurde gestrichen, mehrere ihrer Autoren - darunter Tol - zogen sich beleidigt aus dem IPCC-Prozess zurück.

In der Logik der Kosten-Nutzen-Analyse war die gestrichene Aussage indes korrekt. Solche Zahlen, schrieb Samuel Fankhauser, ein anderer Klimaökonom, «bedeuten natürlich nicht, dass das Leben beispielsweise eines Chinesen weniger wert ist als das eines Europäers. Es widerspiegelt nur die Tatsache, dass die Zahlungsbereitschaft für ein geringeres Sterberisiko in entwickelten Ländern höher ist.» Aber aufgrund solcher Analysen wird Politik gemacht - was rein deskriptiv daherkommt («widerspiegelt die Tatsache»), wirkt normativ.

Kosten-Nutzen-Analysen sind betriebswirtschaftlich nützlich, aber für Probleme wie den Klimawandel, die die ganze Menschheit betreffen, schlicht das falsche Instrument. Die Alternative ist das in der Umwelt-Diplomatie erprobte Vorsorgeprinzip. Es definiert Ereignisse, die es um (fast) jeden Preis zu vermeiden gilt. Die viel diskutierte Zwei-Grad-Grenze stünde - würde sie denn ernst genommen - in dieser Logik. Der Glaube aber, es lasse sich das «optimale» Mass an Klimawandel objektiv-wissenschaftlich bestimmen, ist anmassend und mit demokratisch-egalitären Werten unvereinbar.

¹ Der Kritiker ist der Ökonom Clive Spash. Die Zitate in diesem Blog sind seinem Buch «Greenhouse Economics. Value and Ethics» (London/New York 2002) entnommen.

(Gastautor Marcel Hänggi/ETH-Zukunftsblog)

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