Marina Gilardonis Statement nach der fulminanten Aufholjagd war kurz und prägnant: "Einfach geil!" Nach dem ersten Durchgang schien eine Medaille ausser Griffweite. Als Neunte wies die 28-jährige St. Gallerin bereits 61 Hundertstel Rückstand auf das Podest auf. Mit dieser Ausgangslage gab es nur eines: volles Risiko.
"Ich wählte ein sehr aggressives Setup für den zweiten Lauf. Wenn ich Dritte gewesen wäre, hätte ich das so sicher nicht gemacht", erklärte Gilardoni. Sie verringerte die Auflagefläche der Kufen auf ein Minimum. "Ich hatte schon im ersten Lauf ein gutes Gefühl, aber er war zu sicher", sagte sie. Weniger Auflagefläche macht das Gefährt schneller, aber weniger stabil. Gepaart mit den tieferen Temperaturen am Nachmittag, bei denen Gilardonis Kufen meist besser laufen, und einer fulminanten Fahrt legte sie einen Bahnrekord in den Olympia Bob Run und distanzierte im zweiten Durchgang sämtliche Konkurrentinnen um über eine halbe Sekunde.
Eine Fahrerin um die andere scheiterte an der Marke Gilardonis. Erst die Österreicherin Janine Flock, Dritte nach dem ersten Lauf und bereits im Vorjahr Siegerin in St. Moritz, übernahm mit neun Hundertstel Vorsprung die Führung - und gab diese nicht mehr ab. Dann lagen Glück und Pech bei den deutschen Favoritinnen nahe beisammen. Tina Hermann blieb eine Hundertstel vor Gilardoni und gewann Silber, die Halbzeit-Führende Jacqueline Lölling belegte eine Hundertstel hinter der Schweizerin den vierten Platz.
Gilardoni bestätigte damit auf der Bahn, die ihr letztes Jahr mit Rang 19 eine herbe Enttäuschung beschert hatte, eindrücklich ihre Fortschritte. Sie stand zum dritten Mal in dieser Weltcup-Saison - und in ihrer Karriere - auf dem Podest. Diesmal gab es dafür gleich noch eine EM-Medaille. "Von perfekt spreche ich nicht gerne", erklärte die kaufmännische Angestellte aus Eschenbach am Oberen Zürichsee. "Aber die zweite Fahrt war nahe dran."
Nun gehört Gilardoni in einer Woche an der WM in Innsbruck/Igls, auf einer Bahn, die ihr bisher besser lag als St. Moritz, erst recht zum Favoritenkreis. Eine grosse Medaillenfeier war im Engadin deshalb nicht möglich. "Ein, zwei Schnäpschen mit meinem Fanclub liegen aber sicher drin", sagte sie freudestrahlend.
Südkoreanischer Überraschungssieg
Eine grosse Überraschung gab es bei den Männern. Der erst 21-jährige Südkoreaner Yun Sungbin verwies Martins Dukurs, der sämtliche Saisonrennen gewonnen hatte, und dessen Bruder Tomass um sieben Hundertstel auf den zweiten Platz und feierte seinen ersten Weltcup-Sieg. Die beiden zeitgleichen Letten durften sich immerhin mit EM-Gold trösten. Der Freiburger Ronald Auderset gewann das Schweizer Duell gegen Marco Rohrer um fünf Hundertstel und qualifizierte sich als 20. gerade noch für den zweiten Durchgang. Dort verbesserte er sich noch um einen Platz.
(bert/Si)