Nach dem Holz- der Kohle-Ausstieg?
Der Pariser Klima-Gipfel wirft seine Schatten voraus. China dient westlichen Puristen als willkommener Prügelknabe. Zu recht?
Eng mit der Kohle verbandelt
Als Beweis für den bösen Klima-Buben China werden eindrückliche Statistiken zitiert: 70 Prozent der Stromproduktion wurde 2010 durch Kohle-Kraftwerke erzeugt (weltweit: 40 Prozent). Oder: seit 2007 ist China weltweit die Nummer 1 im Ausstoss von CO2 mit heute rund einem Viertel des gesamten in die Atmosphäre gepusteten Kohlendioxids. Prognose: im Jahre 2030 werden es nach Meinung der internationalen Energie-Agentur der UNO rund 30 Prozent sein.
Die Statistiken sind das eine, die Interpretation das andere. Tatsache jedenfalls ist heute, dass China und die Kohle eng verbandelt sind. Im vergangenen Jahr hat China 3,87 Milliarden Tonnen Kohle zu Tage gefördert, fast 75 Prozent des gesamten Weltbedarfs. Wie bei andern Rohstoffen ist in letzter Zeit auch der Kohle-Preis zusammengebrochen. Für eine Tonne lösten chinesische Minen im vergangenen Jahr gerade noch - umgerechnet - 28 Franken, ein Viertel des Preises von 2013. Die Minen-Kumpels mussten auf die Hälfte ihres Lohnes verzichten. Zwei Drittel der staatlichen und privaten Kohlegruben erwirtschafteten rote Zahlen. Zehntausende von Bergwerksarbeitern verloren ihren Job. Schon lange ist bekannt, dass wegen nicht eingehaltener Sicherheitsrichtlinien in jedem Jahr durchschnittlich 2'000 Kumpels ihr Leben verlieren.
Kohle-Ausstieg?
Kohle bedeutet aber auch Umweltverschmutzung. Die chinesischen Behörden sind sich dessen bewusst. Nach offiziellen Statistiken sterben jährlich mindestens eine halbe Million Menschen an Krankheiten, die durch die verpestete Luft letztlich verursacht worden sind. Nicht zuletzt deshalb wird in China - und das ist im Westen, weil nicht Schlagzeilenträchtig, weniger bekannt - seit Jahren wenn nicht an einem Kohle-Ausstieg tout court so doch realistischerweise an einer Verminderung gearbeitet. Das Reich der Mitte hat beispielshalber mehr in erneuerbare Energien investiert als alle europäischen Staaten zusammen. Allein im vergangenen Jahr sind umgerechnet satte 80 Milliarden Franken in diesen Bereich geflossen. Zu drei Vierteln sind das Wind- und Wasserkraft, zu einem Viertel Sonnenenergie. Als Ziel für 2020 sollen 200 GW Wind- und 100 GW Solarkraft installiert sein.
Seit zwanzig Jahren werden Alternativ-Energien auf breiter Basis subventioniert. Wer durch China reist, sieht es: Warmwasser wird durch auf Dächern angebrachten Solaranlagen erzeugt, und dafür hat die Zentralregierung umgerechnet rund 10 Milliarden Franken aufgeworfen. Oder: in 150 Millionen Bauernhöfen sind als Energiequelle Methangas-Gruben angelegt worden mit dem Geld des Staates und der Arbeit der Bauern. China ist damit weltweit mit Abstand die Nummer 1 in «grünen Investitionen».
Forschung und Entwicklung
China verfügt dank seiner Bemühungen in den letzen Jahren über ein Viertel aller weltweit verfügbaren Kapazitäten in erneuerbarer Energie. Doch Kohle bleibt der Platzhirsch. Im laufenden Jahr beträgt der Kohleanteil nicht mehr 70, sondern nur noch 64 Prozent des Energiemixes, und in fünf Jahren sollen es noch 60 Prozent sein. Immerhin sind im vergangenen Jahr erstmals mehr Kraftwerke auf der Basis erneuerbarer Energie als auf Kohle gebaut worden. Chinesische und ausländische Firmen sowie Gemeinschaftsunternehmen arbeiten zudem intensiv mit viel Geld in Forschung und Entwicklung daran, Kohle und Kohlekraftwerke umweltfreundlicher zu machen.
Der europäische Atom-Ausstieg wird in China - und Asien - kaum verstanden. Trotz Fukushima auch in Japan nicht. In China beispielsweise gilt Atomenergie als «sauber». So soll denn im Jahre 2020 der Strom zu 60 Prozent mit Kohle, zu 30 Prozent mit Wasser, Wind und Sonne und zu 10 Prozent mit Kernenergie erzeugt werden.
Holz-Ausstieg
Für Chinesinnen und Chinesen sehr viel verständlicher ist ein Kohle-Ausstieg oder zumindest eine Verringerung der Abhängigkeit von Kohle. Von Kohle-Ausstieg freilich war - zum Beispiel im Berner Bundesrat - noch nie die Rede. Ein Blick ins benachbarte Deutschland hätte genügt. Anstatt Atom ist dort wieder Kohle der König. Geschichtsbewusste Chinesen erinnern im Zusammenhang der Klima-Diskussion gerne an die Industrielle Revolution. Damals im 18. Jahrhundert ging es um den Holz-Ausstieg, nachdem in den Jahrhunderten zuvor die Wälder in Grossbritannien, dem Ursprungsland der Industriellen Revolution, und in andern europäischen Ländern abgeholzt wurden. Holz war lange Jahrhunderte die Hauptenergiequelle für Heizen und Gewerbe nebst Tier-, Menschen-, Wasser- und Windkraft.
Die Kohle überflügelte bald alle andern Energierträger, weil billiger als Holz. Der Kohlebergbau, Kanäle als Transportrouten und die Dampfmaschine waren die wesentlichen Grundlagen für die Industrialisierung. Es war eine wahre Revolution, welche die Menschheit in ein neues Zeitalter katapultieren sollte. Nach der landwirtschaftlichen oder neolithischen Revolution mit der Domestizierung von Pflanzen und Tieren vor rund15'000 bis 12'000 Jahren - dank Klima-Erwärmung übrigens - war es der tiefste Einschnitt in der rund 200'000-jährigen Geschichte des Homo Sapiens Sapiens.
Keine Lektionen
Am kommenden Pariser Klima-Gipfel wird sich China zusammen mit andern Schwellen- und Entwicklungsländern für eine saubere Umwelt einsetzen. Mit einem Leistungsausweis, notabene, der sich sehen lassen kann. Das Ziel, den Klimawandel auf zwei Grad oder weniger gegenüber dem vorindustriellen Zeitaler zu begrenzen, ist für das Reich der Mitte durchaus akzeptabel. Aber Lektionen von europäischen und amerikanischen Klima-Fundamentalisten hat China nicht nötig. Wer hat denn seit über zweihundert Jahren, also dem Beginn der Industriellen Revolution an, die Umwelt ohne Rücksicht auf Verluste - nachhaltig sozusagen - ausgebeutet, verunstaltet, verdreckt? Richtig: die Europäer und Amerikaner.
(Peter Achten / Peking/news.ch)
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