Neunerprobe für die «Lady»

publiziert: Montag, 15. Feb 2016 / 08:16 Uhr / aktualisiert: Montag, 15. Feb 2016 / 09:16 Uhr
Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi: Ihr ist egal, wer Präsident unter ihr wird.
Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi: Ihr ist egal, wer Präsident unter ihr wird.

Der dritte Anlauf zur Demokratie in Myanmar nach 1948 und 1990 tritt in die entscheidende Phase. Wer wird «unter» Demokratie-Ikone Daw Aung San Suu Kyi Präsident?

5 Meldungen im Zusammenhang
Das alte, von der Militärpartei «Union der Solidarität und Entwicklung» (USDP) beherrschte burmesische Parlament traf sich Ende Januar zu seiner letzten Sitzung. Präsident Thein Sein, als ehemaliger General seit der Öffnung vor fünf Jahren als Zivilist an der Spitze des Staates, sagte unter dem Applaus der Abgeordneten: «Obwohl es Schwierigkeiten und Hindernisse gab, ist uns der Übergang zur Demokratie gelungen.» Dies sei «ein Triumph für alle Menschen in Myanmar.» Auch der mächtige Armeechef General Min Aung Hlaing gab sich versöhnlich und versprach die Unterstützung der Militärs. Was also die meisten Kommentatoren, Experten und Pundits noch vor wenige Jahren für unmöglich gehalten haben, ist Tatsache geworden: ein geordneter, friedlicher Übergang von einem halben Jahrhundert Militärdiktatur zur Demokratie oder im burmesischen Militär-Jargon zur «disziplinierten Demokratie».

Absolute Mehrheit

Nur drei Tage später trat das neue Parlament zusammen. Aus der Regierungspartei USDP ist plötzlich eine kleine Oppositionspartei geworden. Sie hält in den zwei Häusern des Parlaments gerade noch 41 von 657 Sitzen. Natürlich täuscht das Verhältnis, denn den Militärs stehen laut Verfassung 25 Prozent der Sitze zu, also 166. Dennoch verfügt die siegreiche Nationale Liga für Demokratie (NLD) von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi nach dem überwältigenden Wahlsieg vom November mit 390 Sitzen locker über die absolute Mehrheit. Mithin kann die NLD auch den neuen Präsidenten wählen. Allerdings kann sie nicht die Verfassung ändern. Hier haben die Militärs mit ihren 25 Prozent Sitzen ein faktisches Vetorecht. Überdies stehen den Uniformierten laut Verfassung die drei Schlüsselministerien Inneres, Verteidigung und Grenzsicherheit zu.

Im Augenblick agiert die NLD und ihre Führung vorsichtig. Die NLD-Abgeordneten, unter ihnen 110 ehemalige politische Häftlinge, geben sich versöhnlich. Als erstes Geschäft wurde der Präsident des Unterhauses gewählt. Es ist der Jurist und ehemalige politische Gefangene U Wint Myint. Als seinen Stellvertreter aber wählten die Abgeordneten einen Vertreter der Kachin-Minderheit, U Ti Khun Myat, von der jetzt oppositionellen USDP. Den Militärs wurde von der NLD-Führung signalisiert, dass man gemeinsam in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit blicken wolle. Auch bestehe man nicht auf einer schnellen Verfassungsänderung.

«Keinerlei Druck»

Das ist ein heikles Thema, weil nach dem Artikel 59 der Verfassung Aung San Suu Ky nicht als Präsidentin kandidieren kann, weil sie mit einem Ausländer verheiratet war und ihre beiden Söhne britische Pässe besitzen. Dieser Passus wurde 2008 von den Militärs in die Verfassung geschrieben. Freilich nahmen sie dabei die kurz vor der Unabhängigkeit 1947 geschriebene Verfassung zum Vorbild, deren Mitgestalter General Aung San war, der Vater von Suu Kyi. «Wenn die Militärs mit einer Verfassungsänderung einverstanden wären», so NLD-Gewissen U Tin Oo «würde das ihr Vertrauen in unsere Nation und ihre Sympathie zum Volk zeigen». Der frühere General, der nach 1988 zur NLD wechselte, fügte jedoch sogleich hinzu: «Die NLD-Politik gegenüber den Militärs besteht darin, derzeit keinerlei Druck auszuüben». So versöhnlich sich Armeechef Min Aung Hlaing auch gibt, sehen das offenbar nicht alle Uniformierten gleich. In einer von der Armee unterstützen Zeitung hiess es anfangs Februar, dass der Verfassungs-Artikel 59 «für die Ewigkeit» nicht verändert werden solle.

«Über dem Präsidenten»

Präsident Thein Sein muss bis Ende März von seinem Amt zurücktreten. Das Unter- und das Oberhaus sowie das Militär werden je einen Kandidaten bestimmen. Mit ihrer absoluten Mehrheit ist der NLD ihr Wunschkandidat gewiss. Wer kandidieren wird, ist noch unklar. U Tin Oo hat sich bereits aus dem Rennen genommen. Der jetzige Präsdent Thein Sein, lange ein möglicher Kandidat, liess verlauten, dass er den USDP-Vorsitz übernehmen werde und mithin qua Gesetz nicht mehr Staatspräsident werden kann. Der ehemalige USDP-Unterhaus-Vorsitzende Shwe Mann aber, dem seit der Öffnung ein gutes Verhältnis zu Aung Suu Kyi bescheinigt wird, wird noch immer als möglicher Kandidat gehandelt. Viele gehen auch davon aus, dass Suu Kyis langjähriger Arzt und Vertrauter, U Tin Myo Win, vorgeschlagen werden könnte. Er war einer der wenigen, der Suu Kyi während ihres langjährigen Hausarrestes regelmässig besuchen durfte.

Der 70 Jahre alten Friedensnobelpreisträgerin - respekt- und liebevoll im Lande seit langem auch «The Lady» genannt - ist es jedoch egal, welcher NLD-Parteifreund unter ihr Präsident wird. Bereits kurz nach dem überwältigenden Wahlsieg machte sie nämlich glasklar, dass sie «über dem Präsidenten» stehen, sie also die Geschicke das Landes in jedem Fall in letzter Instanz entscheiden werde, wer immer auch als Präsident gewählt werde.

Grosse Herausforderungen

In den letzten vier Jahren hat sich in Myanmar viel verändert. Neben Menschenrechten wie Versammlungs- und Pressefreiheit sind Wirtschaftsreformen für das einst reiche, durch 50 Jahre Diktatur aber total verarmte Land in Gang gesetzt worden. Doch die Herausforderungen sind auch jenseits der ökonomischen Probleme enorm. Noch immer sind zum Teil bewaffnete Konflikte mit nationalen Minderheiten im Gang. Auch ein Religionskonflikt zwischen der buddhistischen Mehrheit (85 Prozent) und der muslimischen Minderheit (8 Prozent), insbesondere die Verfolgung der einen Million Rohyngyas, schwelt weiter.

Von der NLD, nun an der Macht, erwartet das Volk viel, und das schnell. Bislang ist von einem durchdachten Wirtschafts- und Sozialprogramm der neuen Mehrheit noch wenig sichtbar. Aung San Suu Kyi, nun in der Realpolitik angekommen, bewegt sich auf dünnem Eis. Denn sie ist nicht mit Südafrikas Nelson Mandela zu vergleichen. Sie hat bereits die moralische Deutungshoheit als Friedensnobelpreisträgerin verloren, als sie zum Problem der verfolgten muslimischen Minderheit der Rohyngyas schwieg und danach nur ausweichend Stellung nahm. Ihr wird auch vorgeworfen, harsch, ja autoritär aufzutreten und Kritik nur schwer zu ertragen, ja sie sei sogar kritikresistent. Nimmt man allerdings die politische Leistung der Tochter von Staatengründer General Aung San seit ihrer Freilassung vom Hausarrest 2010 zum Massstab - zumal ihr konzilianter Umgang mit ihren ehemaligen Peinigern vom Militär - wäre sie gewiss in der Lage, die delikaten und schwierigen Herausforderungen zu meistern. Die Neunerprobe wird die Präsidentenwahl bis Ende März sowie die kurze Zeit danach sein.

(Peter Achten/news.ch)

Kommentieren Sie jetzt diese news.ch - Meldung.
Lesen Sie hier mehr zum Thema
Achtens Asien Mit der Wahl von drei Vize-Präsidenten ist Myanmar dem historischen Machtwechsel einen wichtigen Schritt näher gekommen. Der ... mehr lesen
Der designierte Präsident und seine Chefin: U Htin Kyaw und Aung San Suu Kyi.
Naypyidaw - In Myanmar hat die Partei von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi ihre beiden Kandidaten für das Präsidentenamt nominiert. Es sind Htin Kyaw, Direktor einer ... mehr lesen
Rangun - Myanmars Parlament ... mehr lesen
Das Parlament in Myanmar wählt einen neuen Präsidenten.
Rangun - Myanmars Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi verhandelt mit dem Militär über eine Verfassungsänderung, damit sie Präsidentin werden kann. Das sagten am Wochenende übereinstimmend Mitglieder ihrer NLD-Partei und Politiker, die dem Militär nahe stehen. mehr lesen 
Myanmars Präsident Thein Sein tritt Ende März zurück.
Naypyidaw - Myanmars scheidender Staatschef Thein Sein hat in seiner letzten Ansprache vor dem Parlament den Übergang zur Demokratie als «Triumph» für das Volk gefeiert. Thein Sein wird Ende März ... mehr lesen
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 22
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der ...
Mit seinem Besuch in Vietnam hat US-Präsident Obama seine seit acht Jahren verfolgte Asienpolitik abgerundet. Die einstigen Todfeinde USA und Vietnam sind, wenn auch noch nicht Freunde, so doch nun Partner. China verfolgt die Entwicklung mit Misstrauen. mehr lesen 
Zum 50. Mal jährt sich im Mai der Beginn der chinesischen «Grossen Proletarischen Kulturrevolution». Das Chaos dauerte zehn Jahre. Mit tragischen Folgen. mehr lesen
Mao-Büsten aus der Zeit der Kulturrevolution: «Sonne des Ostens» und Halbgott.
Kim Jong-un ist ein Meister der Propaganda und (Selbst)Inszenierung. Nach vier Jahren an der Macht liess er sich nun am VII. Kongress der Koreanischen Arbeiterpartei zum Vorsitzenden krönen. mehr lesen  
Pekinger Pfannkuchen oder Crêpes Pékinoises sind nur schwache Umschreibungen für das ultimative Pekinger Frühstück Jianbing. Wörtlich übersetzt heisst Jianbing ganz banal gebratener Pfannkuchen. Aber oho, Jianbing schmeckt nicht nur. Die Zubereitung ist auch eine Kunst. mehr lesen  
Typisch Schweiz Der Bernina Express Natürlich gibt es schnellere Bahnverbindungen in den Süden, aber wohl ...
Highlight der Kollektion: Eine Gibson Les Paul von 1959, die 300.000 bis 500.000 Pfund einbringen soll.
Shopping Mark Knopfler verkauft seine Gitarrensammlung Die Gitarrensammlung vom Dire Straits-Gitarristen Mark Knopfler wird am 31.01.2024 bei Christie's versteigert.
Erstaunliche Pfingstrose.
Jürg Zentner gegen den Rest der Welt.
Jürg Zentner
Frauenrechtlerin Ada Wright in London, 1910: Alles könnte anders sein, aber nichts ändert sich.
Regula Stämpfli seziert jeden Mittwoch das politische und gesell- schaftliche Geschehen.
Regula Stämpfli
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
Patrik Etschmayers exklusive Kolumne mit bissiger Note.
Patrik Etschmayers
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Peter Achten zu aktuellen Geschehnissen in China und Ostasien.
Peter Achten
Recep Tayyp Erdogan: Liefert Anstoss, Strafgesetzbücher zu entschlacken.
Skeptischer Blick auf organisierte und nicht organisierte Mythen.
Freidenker
 
Stellenmarkt.ch
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Mi Do
Zürich 4°C 17°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Basel 6°C 18°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wolkig, aber kaum Regen
St. Gallen 2°C 14°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Bern 4°C 17°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Luzern 4°C 17°C sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Genf 6°C 17°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wolkig, aber kaum Regen
Lugano 7°C 18°C sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt freundlich
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten