Noch keine Einigung über den Vertrag von Nizza

publiziert: Sonntag, 10. Dez 2000 / 13:10 Uhr

Nizza - Schnelle und klare Einigungen sind nicht ihre Sache - Sitzungsrekorde schon. Wenn die EU-Chefs um Reformen ringen, kommt fast immer eine Marathonsitzung dabei heraus, sei es in Maastricht, in Amsterdam oder in Nizza. Und immer wird eine Krise heraufbeschworen, bevor am Ende zähneknirschend ein Kompromiss akzeptiert wird, mit dem keiner glücklich ist, aber jeder leben kann.

Am Sonntag, dem vierten Verhandlungstag in Folge, galt für die zermürbten Staats- und Regierungschefs in Nizza noch immer: Nichts ist vereinbart, so lange nicht alles vereinbart ist. Viele Teilnehmer interessierte nur noch eine Frage: Wie lange noch? Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte vorgesorgt und zwei weitere Reservehemden dabei.

Bundesaußenminister Joschka Fischer zeigte sich zuversichtlich, dass er am Montagmittag im Flugzeug nach China sitzen werde. Doch der schwedische Ministerpräsident Göran Persson rechnete mit einem Ende nicht vor Montagabend, da selbst bei einer grundsätzlichen politischen Einigung im Laufe des Sonntags der Vertragstext noch Seite für Seite durchgearbeitet werden müsse. Der niederländische Europaminister Dik Benschop registrierte Ungeduld unter den Teilnehmern. Was am Sonntag an Vorschlägen auf dem Tisch lag, löste bei den Delegationen indes noch wenig Begeisterung aus. Doch fast jeder hielt an seinen eigenen Steckenpferden fest.

«Keiner ist frei von Sünde», schimpfte der Beobachter des Europaparlaments, der CDU-Politiker Elmar Brok. Aber alle erwarteten, dass der französische Präsident und Gastgeber Jacques Chirac sich als erster bewege. Der psychologische Druck, zu einem Ergebnis zu kommen, war groß, denn auf dem Spiel stand nichts Geringeres als die Erweiterung der EU auf fast die doppelte Mitgliederzahl. Es mussten die Probleme gelöst werden, die schon bei der letzten Vertragsreform in Amsterdam vor drei Jahren nicht geknackt werden konnten: Wie viele Mitglieder soll die Kommission künftig haben, welches Gewicht sollen die einzelnen Mitgliedstaaten im Rat bekommen, und welche Politikbereiche werden künftig vom Vetorecht ausgenommen werden.

Gleichzeitig sollten die Reformen dem Anspruch genügen, Gerechtigkeit zwischen neuen und alten EU-Mitgliedern herzustellen und für die Bevölkerung verständlich zu sein. «Dieser Kompromissvorschlag wird keine Handlungsfähigkeit und Legitimität hervorbringen», warnte der zweite parlamentarische Beobachter, der griechische Sozialdemokrat Dimitrios Tsatsos.

Tsatsos und Brok drohten Chirac damit, dass der Vertrag von Nizza im Europaparlament nicht ratifiziert werden würde, wenn die Verhandlungen kein besseres Ergebnis hervorbrächten. «Wenn wir nein sagen, gibt es eine politische Krise», betonte Brok. Andere Parlamente - etwa das belgische und das italienische - könnten ebenfalls die Ratifizierung verweigern. Die Überbleibsel von Amsterdam riefen derzeit nur eins hervor: Katerstimmung.

Die Stimmengewichtung - ein Lotteriespiel

Der Materie fehlte es nicht an Komplexität. Vorschläge zur Ausdehnung der Mehrheitsentscheidungen auf Steuerfragen wollte Fischer lieber gar nicht erst kommentieren - zu schwierig. Umso besser, dass Großbritannien die Frage später ohnehin vom Tisch fegte. Die heikle Angelegenheit einer Neuverteilung der Stimmen im Ministerrat glich Brok zufolge einem Lotteriespiel. Damit viele kleine Mitgliedstaaten wenige große bei Entscheidungen nicht blockieren können, wurden Sicherheitsnetze konstruiert, die darauf hinausliefen, dass am Ende eine dreifache Mehrheit zu Stande kommen muss, bevor ein Beschluss gefasst werden kann. Bei der Kommissionsgröße glich der akzeptabelste Vorschlag fast einer Vertagung. Erst wenn die Union 27 Mitglieder zählt, soll die Kommission verkleinert und die Rotation eingeführt werden.

Fischer frohlockte, dass er dann voraussichtlich nicht mehr im Amt sei. Bezeichnend für die verfahrene Situation war, dass die einzige in Nizza greifbare Einigung mit den eigentlichen Gipfelthemen nichts zu tun hat. Die EU-Chefs verständigten sich darauf, 2004 die nächsten Reformen anzugehen.

(la/AP)

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