Prognosen - ein wissenschaftliches Wagnis mit langer Geschichte

publiziert: Donnerstag, 24. Sep 2015 / 10:33 Uhr

Seit knapp 140 Jahren erstellen Wissenschaftler Prognosen über zukünftige Geschehnisse in der Atmosphäre. Anfänglich waren Vorhersagen umstritten, heute sind sie breit etabliert. Dabei geht es immer auch um die Frage, wie mit Unsicherheiten umzugehen sei. Was uns die historische Perspektive für die Prognosen der Gegenwart lehrt.

1 Meldung im Zusammenhang
«Fortdauer des warmen trockenen Wetters bei heiterem Himmel.» So lautete am 11. Juni 1879 die Wetterprognose der Meteorologischen Centralanstalt in Zürich, die seit 1878 täglich eine Vorhersage für die nächsten 24 Stunden veröffentlichte. Wenige Stunden nachdem das Prognosetelegramm an jenem 11. Juni in Luzern eingetroffen war, fand dort ein unvorhergesehener Wetterwechsel statt: «Der Donner krachte aus dem schwarz und grau verhangenen Himmel», vermerkte ein Leser. Was bedeuteten solche Fehlprognosen für den noch jungen Wetterdienst? Robert Billwiller, der Leiter der Meteorologischen Centralanstalt (heute MeteoSchweiz), bezeichnete seine eigenen Prognosen als «unvollkommene Produkte der Spekulation». Er schützte sich vor Kritik, indem er seine Vorhersagen als begründete Vermutungen unter dem Vorbehalt des Irrtums ankündigte.

Umstrittene Prognostik

Den Pionieren der Prognostik standen dank den telegrafischen Netzen Luftdruckmessungen aus vielen Orten Europas zur Verfügung. Und doch musste sie  bekennen, vom «inneren Getriebe des Wetters» wenig Kenntnis zu haben. Unter den Meteorologen waren Wetterprognosen im 19. Jahrhundert höchst umstritten. Viele sahen die Wissenschaftlichkeit ihrer Disziplin in Gefahr und befürchteten, dass Fehlprognosen ihrem Ruf schaden würden. Der Konkurrenzkampf zwischen «reiner» und «praktischer» Meteorologie wurde nicht abgeschottet von der Gesellschaft ausgetragen. Das grosse öffentliche Interesse und die aktive staatliche Förderung begünstigten die Prognostik. Die praktischen Bedürfnisse eilten den Vorhersagemöglichkeiten in den Anfangsjahren aber weit voraus. Die Prognostiker selbst beklagten, dass sich das Publikum nicht auf ihre Meldungen verlassen könne: In den Worten des Wiener Meteorologen Otto Myrbach war die Wettervorhersage «das Schmerzenskind der Meteorologie».

Trotz aller offenkundigen Schwächen blieb die Hoffnung bestehen, dass sich der Wetterdienst in Zukunft als nützliche Einrichtung erweisen würde. Die Meteorologen glaubten daran, dass sich die Unsicherheiten mit einer grösseren Menge an Beobachtungen und effizienteren Kommunikationsmitteln reduzieren liessen. Einige verkündeten sogar, dass sie den Verlauf des Wetters eines Tages mit «absoluter Sicherheit» vorausbestimmen würden. Den Meteorologen gelang seither tatsächlich eine wesentliche Verbesserung der Prognosen, die heute anders als im 19. Jahrhundert breit genutzt werden. Umfangreiche Datennetze inklusive Satellitenaufzeichnungen erlauben es, das zukünftige Wetter bis zu sechs Tage im Voraus mit hoher Wahrscheinlichkeit anzukündigen. Nichtsdestotrotz ringen die Meteorologinnen und Meteorologen nach wie vor mit dem chaotischen Charakter der Atmosphäre. Ob in Mitteleuropa eine Ausdehnung der Wettervorhersagen auf mehrere Wochen realisierbar ist, wird kontrovers diskutiert.

Von der Vergangenheit zur Zukunft

Die Prognostiker des 19. Jahrhunderts verknüpften ihre kurzfristigen Wettervorhersagen mit langfristiger Klimabeobachtung. Für Robert Billwiller funktionierte Klimatologie als «Witterungsprognose im Grossen». In mühsamer Rechenarbeit ermittelten er und seine Kollegen Mittel- und Extremwerte und suchten nach Regelmässigkeiten im langfristigen Wetterverlauf. Sie erhofften sich, Muster in der Abfolge von strengen Wintern oder dürren Sommern zu entdecken, die mehrjährige Prognosen ermöglichen würden. Um 1900 debattierten die Wetter- und Klimaforscher intensiv darüber, ob sich das Klima nach der letzten Eiszeit verändert habe, oder ob es, abgesehen von kleineren Schwankungen, stabil sei. Die Datenbasis war zu unsicher, um eine der beiden Hypothesen zu erhärten. Erst der historischen Klimatologie im 20. Jahrhundert gelang es, das vergangene Klima verlässlich zu rekonstruieren.

Seit sich infolge des anthropogenen Klimawandels die Mittelwerte verschieben und die Häufigkeit der Extreme zunimmt, ist das zukünftige Klima zu einem gesellschaftlichen Interessenschwerpunkt geworden. Bei Klimamodellen sind die heutigen Wissenschaftler ebenso wie die Prognostiker im 19. Jahrhundert mit zahlreichen Unsicherheitsfaktoren konfrontiert. Unsicherheiten bestehen bezüglich der internen Variabilität des Klimas, des zukünftigen Ausstosses von klimawirksamen Substanzen und möglichen Modellfehlern.

Wagen statt warten

Wo immer möglich, drücken Klimatologen Unsicherheiten in Zahlen aus. Vorläufer solcher Quantifizierungen von Unsicherheit finden sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts, als Prognostiker begannen, für ihre Vorhersagen eine Trefferwahrscheinlichkeit anzugeben. Wettervorhersagen und Klimaprojektionen sind in der öffentlichen Wahrnehmung oft miteinander vermengt. Häufen sich bei kurzfristigen Prognosen Fehler, sinkt das Vertrauen in Langzeitmodellierungen. Zudem scheint die Akzeptanz des Klimawandels je nach Wetter zu schwanken: Hitzewellen beispielsweise beeinflussen die öffentliche Debatte.

Abwarten, bis alle Unsicherheiten ausgeräumt sind, ist für Klimatologinnen und Klimatologen keine Option. Doch gefährden sie damit letztlich nicht ihre wissenschaftliche Autorität? Die Wetter- und Klimaforscher, damals wie heute, haben mit der Vorstellung zu kämpfen, dass naturwissenschaftliches Wissen nur wahr oder falsch sein könne. Die historische Perspektive zeigt, dass der einzige Ausweg darin besteht, Unsicherheiten klar zu kommunizieren. Um als gültiges Wissen akzeptiert zu werden, müssen Zukunftsprognosen von einer Reflexion ihrer jeweiligen Beschränktheit begleitet sein. Es ist notwendig, politische Entscheidungen bezüglich des Klimawandels jetzt zu treffen, weil sich die Handlungsoptionen zunehmend reduzieren werden. Nichts wäre also falscher, als wahrscheinliche Klimaentwicklungen nicht zu vermitteln, nur weil keine absolut sicheren Aussagen möglich sind.

(Franziska Hupfer/ETH-Zukunftsblog)

Lesen Sie hier mehr zum Thema
Bern - Die Trockenheit und die ... mehr lesen
Die warmen Temeraturen lassen die Schweiz braun und grün erscheinen.
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 22
Mit Biogas betriebene Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen (WKK) können fluktuierenden Solarstrom kompensieren und Gebäude beheizen.
Mit Biogas betriebene ...
Eine zentrale Herausforderung der Energiewende ist es, die schwankende Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen auszugleichen. Eine Machbarkeitsstudie zeigt nun für drei Schweizer Kantone auf, wie ein Verbund von Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen kurzfristige Engpässe überbrücken und Gebäude mit Strom und Wärme versorgen kann. mehr lesen 
Vor rund hundert Jahren begann die Industrialisierung der Landwirtschaft - heute erleben wir den Beginn ihrer Digitalisierung. Damit die Big-Data-Welle den Bauer nicht vom Acker schwemmt, sondern ihn optimal ... mehr lesen
Vor rund hundert Jahren begann die Industrialisierung der Landwirtschaft - heute erleben wir den Beginn ihrer Digitalisierung.
Wie werden Wasserkraftwerke wieder rentabel?
Die Schweizer Wasserkraft darbt. Die Ursache dafür sind letztlich Verzerrungen im europäischen Strommarkt. Nun diskutiert die Politik Subventionen für die ... mehr lesen  
Climate change has been communicated as a global concern affecting all of mankind; but this message doesn't seem to be getting through. If ... mehr lesen  
Climate change has been communicated as a global concern affecting all of mankind; but this message doesn't seem to be getting through.

Fakten und Meinungen zu Nachhaltigkeit

Der Zukunftsblog der ETH Zürich nimmt aktuelle Themen der Nachhaltigkeit auf. Er bietet eine Informations- und Meinungsplattform, auf der sich Expertinnen und Experten der ETH zu den Themenschwerpunkten Klimawandel, Energie, Zukunftsstädte, Welternährung und Natürliche Ressourcen äussern. Prominente Gäste aus Forschung, Politik und Gesellschaft tragen mit eigenen Beiträgen zur Diskussion bei.

Lesen Sie weitere Beiträge und diskutieren Sie mit auf: www.ethz.ch/zukunftsblog

Viele Start-ups in der Schweiz haben sich dem Umweltschutz verschrieben.
Green Investment Start-ups für die Nachhaltigkeit aus der Schweiz Kaum ein anderes Land in Europa ist beim ...
 
Stellenmarkt.ch
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Fr Sa
Zürich 3°C 11°C wechselnd bewölktleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt freundlich
Basel 4°C 11°C wechselnd bewölktleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen freundlich
St. Gallen 1°C 8°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich freundlich
Bern 1°C 10°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt wechselnd bewölkt
Luzern 3°C 11°C wechselnd bewölktleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt freundlich
Genf 2°C 13°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen wechselnd bewölkt
Lugano 4°C 15°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig trüb und nass trüb und nass
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten