Protest ersetzt Verantwortung nicht

publiziert: Freitag, 21. Mrz 2003 / 10:25 Uhr / aktualisiert: Samstag, 22. Mrz 2003 / 12:03 Uhr

Es gibt viele Gründe, warum man gegen den Krieg im Irak sein kann. Und fast alle sind in den letzten Tagen zur Sprache gebracht worden. Ebenso wie die Gründe für den Krieg, die zum Teil auch nicht von schlechten Eltern sind: Ein Land, von dessen Bevölkerung ein gutes Viertel auf der Flucht vor der Regierung ist, lebt nicht in Frieden. Alle Diskussion ändert nichts an der Tatsache, dass der Krieg passiert und nicht vor einem definitiven Resultat – dem Sturz Saddams – zu Ende sein wird. Daher ist es viel interessanter, darüber nachzudenken, was dieser Krieg längerfristig bedeutet. Primär ist er ein Alarmsignal, ein Weckruf für die westliche Zivilgesellschaft. Die Massenbewegungen, die sich jetzt in Bewegung gesetzt haben, haben seit Jahrzehnten keine Entsprechung mehr gehabt. Allerdings ist diese Bewegung nur Reaktion, nicht Aktion. Offenbar geht es allen nur darum, etwas zu stoppen. Hätten die Proteste Erfolg gehabt, wären alle zufrieden nach Hause gegangen. Dort hätten sie die Nachwehen von Deutschland sucht den Superstar oder GZSZ geschaut, während Saddam weitermordete. So gesehen, ist es fast schon ein Glück, dass sich Bush und Blair um die Meinung der Strasse foutieren. Denn dieses Verhalten zeigt auf, was in den letzten dreissig Jahren passiert ist: Durch die ständig grösser werdende Politikabstinenz und –desinteresse oder Fundamentalablehnung politischer Entscheidungsprozesse (Stichwort: 'Classe politique') hat sich ein Abgrund zwischen den Völkern und den demokratischen Regierungen aufgetan. Ein direkt messbares Zeichen ist die überall sinkende Wahlbeteiligung: Wenn ein amerikanischer Präsident mit weniger als 25 Prozent der Stimmen aller Stimmberechtigten gewählt werden kann, sollte das nicht nur nachdenklich machen, sondern Entsetzen auslösen. Was jetzt kommen wird, ist die Nagelprobe für die aus ihrem Dornröschenschlaf erwachten Bevölkerungen. Wird das politische Engagement – sei es rechts oder links – auch nach dem Ende der kriegerischen Handlungen am Golf weitergehen? Oder beschränkt es sich wieder darauf, zweimal schweigend mit einem bunten Tuch um den Kopf durch die Shoppingmeile marschiert zu sein und mitunter 'Peace Now!' gerufen zu haben? Diese politische Apathie hat den Krieg erst möglich gemacht: Hätte sich eine ähnliche zivile Bewegung wie gegen das Apartheidregime Südafrikas in den 80ern während der 90er Jahre gegen das Terrorregime Saddams gebildet, wären die Ölfirmen, die totalitäre Regime unterstützen, boykottiert worden. Die öffentliche Meinung hätte die EU und USA gezwungen, eine friedliche Lösung des Palästinakonfliktes (und sei es unter glaubhafter Androhung von Gewalt) zu suchen. Es gäbe wesentlich weniger Probleme. Stattdessen beschäftigten sich viele der jetzt Protestierenden mit Feng-Shui-Kursen, Astrologieseminaren und Reiki- Therapiesitzungen, bastelten sich eine hermetische Welt und kultivierten einen Politautismus, dessen gläserne Hülle erst beim Einschlag der Flugzeuge in den Twin Towers zerbrach. Dass in der ganzen Zeit zuvor schon Unrecht passiert war, auf das wir Einfluss gehabt hätten, scheint aber bis heute niemandem richtig einzuleuchten. Bush handelt vielleicht falsch, aber er handelt. Das hat Europa seit mehr als zehn Jahren versäumt (der Kosovo war eine Ausnahme, da direkt vor der Wohnungstüre). Es muss den Bürgern, die sich so gerne als mündig betrachten, endlich klar werden: Politik ist unbequem, Engagement ist anstrengend, Meinungsfindung kann schmerzhaft sein, da eigene, liebgewordene Ansichten über Bord geschmissen werden müssen. Das Wahlrecht ist ein Privileg, mit dem verantwortungsvoll umgegangen werden muss. Und wer glaubt, dass er sich mit einem Fackelzug von seiner versäumten Verantwortung freikaufen kann, der hat nichts, aber auch gar nichts verstanden.

(Patrik Etschmayer/news.ch)

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