Rad: Die Tour de France verlangt ganze Kerle!

publiziert: Donnerstag, 26. Jun 2003 / 21:29 Uhr

Entstanden ist die Tour de France aus der Absicht, bei einer Zeitung eine Auflagesteigerung herbeizuführen. Dieses Vorhaben gelang. So wurde die nach den Olympischen Spielen und der Fussball-WM drittwichtigste Sportveranstaltung geschaffen.

Der Sieger von 2002: Lance Armstrong.
Der Sieger von 2002: Lance Armstrong.
Paris - Rouen, die erste Städtefahrt Frankreichs, am 7. November 1869 erstmals durchgeführt, verhalf dem "Vélocipède illustré" zu zusätzlichen Lesern. Die Fernfahrt Bordeaux - Paris (Erstauflage 1891) stiess bei der Kundschaft der Zeitung "Vélo" auf grosse Resonanz. Die Monsterprüfung Paris - Brest - Paris (1891, knapp über 1000 km) sorgte ebenso für Gesprächsstoff wie Paris - Roubaix, das 1896 ins Leben gerufen wurde.

Der Tour-Gründung Patin stand die Affäre um Alfred Dreyfus, den französischen Offizier jüdischer Abstammung aus dem Elsass, dem die Deutschen 1894 wegen Spionage den Prozess gemacht hatten. Französische Industrielle wie De Dion, Michelin und Clément waren mit der Berichterstattung nicht einverstanden, weshalb sie die Herausgabe einer eigenen Zeitung "l´Auto-Vélo" initiierten, die am 16. Oktober 1900 erstmals erschien. Mit 25 000 verkauften Exemplaren konnte aber nicht von einem Erfolg gesprochen werden.

Die grosse Idee zur Auflagesteigerung kam nicht von Chefredaktor Henri Desgrange, sondern von seinem Angestellten Géo Lefèvre: "Und wenn wir ein Rennen durch Frankreich organisieren, mit Etappen, zwischen denen die Fahrer schlafen können?" Am 19. Januar 1903 platzte die Bombe mit der Ankündigung: "Die Tour de France, das grösste Radrennen der ganzen Welt!" Die Premiere war vom 31. Mai bis 5. Juli vorgesehen. Das Projekt drohte jedoch zu scheitern. Bis zum Meldeschluss (21. April) hatten sich lediglich 15 Fahrer gemeldet...

Also wurde die erste Austragung verschoben (1. bis 18. Juli), das Startgeld von 20 auf 10 Francs reduziert und jedem Teilnehmer 5 Francs pro Tag als Anteil an seine Unkosten zugesagt. Und siehe da: 78 Wagemutige schrieben sich ein, 60 nahmen am 1. Juli um 15.16 Uhr auf der Route de Corbeil in Montgeron-Villeneuve-St. Georges das grosse Abenteuer über 2428 km in sechs Etappen in Angriff.

"Die Tour verlangt ganze Kerle. Muttersöhnchen müssen zuhause bleiben!" berichtete Initiant Géo Lefèvre, der Journalist. Er war Organisator, Zeitnehmer und Zielrichter in Personalunion. Die Schlussetappe von Nantes nach Paris führte über 471 km, das vierte, vom Schweizer Charles Laeser gewonnene Teilstück Toulouse - Bordeaux war mit 268 km der kürzeste Abschnitt der Tour. Maurice Garin, einer der überragenden Rennfahrer jener Epoche, siegte mit 2:59 Stunden Vorsprung vor Lucien Pothier und verhalf seiner Velomarke "La Française" zu grosser Popularität.

"In meiner Erinnerung verkleinert sich alles. Die 2500 km haben den Eindruck einer langen, grauen Linie hinterlassen. Ich habe auf der Strasse gelitten, ich hatte Durst, ich wollte nur schlafen. Zwischen Lyon und Marseille habe ich geweint. Dieses Rennen ist noch härter, als man es sich vorstellen kann." Mit diesen Worten schilderte der erste Sieger der Tour seine Eindrücke. Auch Henri Desgrange war den Tränen nahe. Das Rennen stellte zu hohe Anforderungen an die Fahrer und die Veranstalter. Es resultierte ein Defizit, und die Auflage der Zeitung stieg nur unbedeutend.

Mit Müh und Not konnte das Aus verhindert werden. Der Kämpfer Desgrange, der erste Stundenweltrekordler der Geschichte, liess sich nicht entmutigen und schrieb seine zweite Tour de France aus. Sie endete in einem noch grösseren Fiasko. Mit Garin vor Pothier belegten 1904 die gleichen Fahrer die ersten beiden Plätze wie ein Jahr zuvor. Doch die Kommissäre hatten verschiedene Reglementsverstösse festgestellt. So sollen unter anderem die Fahrer Teilstücke der einzelnen Etappen im Zug zurückgelegt haben. Erst fünf Monate später wurde das Verdikt bekannt: Disqualifikation der vier Erstklassierten, der vorherige Fünfte Henri Cornet wurde zum Sieger erklärt.

Als Organisator war Henri Desgrange am Boden zerstört. Als Zeitungsmann witterte er indes seine grosse Chance: "Endlich sprechen die Leute auf der Strasse und in den Bistros von meinem Rennen. Das heisst, dass die Tour de France ihren Siegeszug antreten wird."

Dem schlauen Chefredaktor kam ein weiterer Skandal zu Hilfe. In der 1. Etappe des Jahres 1905 (Paris - Lille) streuten "unverantwortliche Elemente" im Schutze der Nacht Nägel auf die Strasse. Die Fahrer hatten platte Reifen im Dutzend zu wechseln. Ganz Frankreich fühlte sich in seiner Ehre angegriffen, zumal in den Zeitungen flammende Proteste erschienen. Endlich war das unternehmerische Ziel erreicht. Die Auflage stieg, die Tour hatte ihren Siegeszug angetreten -- obwohl der grösste Coup noch folgen sollte. 1910 sorgte die Ankündigung, die Strecke werde erstmals über die Pyrenäen-Pässe führen, für einen Proteststurm. Genau damit war der Zweck erreicht. Es wurden mehr Zeitungen verkauft als je zuvor.

von Toni Nötzli

Die wichtigsten Daten in der Geschichte der Tour

1903: Die erste Tour de France wird als Rennen von Einzelfahrern durchgeführt (Startgeld: 10 Francs). Ausgeschiedene Fahrer können an den folgenden Etappen teilnehmen, werden aber im Gesamtklassement nicht mehr berücksichtigt. Gesamtsieger Maurice Garin verdient ein Preisgeld von 6075 Francs (zum Vergleich: 1 kg Brot kostet 40 Centimes).

1905: Das Gesamtklassement wird nach Punkten errechnet. In der 1. und letzten Etappe sind menschliche Schrittmacher zugelassen.

1906: Einführung der roten Flagge zur Bezeichnung des letzten Kilometers.

1907: Im Verlaufe der 5. Etappe Lyon - Grenoble (311 km) macht die Tour de France in Genf erstmals einen Abstecher auf Schweizer Gebiet.

1909: Neben den Werksfahrern lassen die Veranstalter "isolierte" respektive Einzelfahrer in einer eigenen Kategorie zum Start zu.

1910: Erstmals werden die Pyrenäen-Pässe erklettert. Auf ihren Rennvelos oder zu Fuss überqueren die Fahrer den Portet d´Aspet, Peyresourde, Aspin, Tourmalet und Aubisque.

1913: Das Gesamtklassement wird wieder nach Zeit erstellt. Erstmals macht die Tour Halt im Ausland. Genf ist Ankunftsort der 11. Etappe (325 km von Grenoble her) und Startort zum 12. Teilstück über 335 km nach Belfort (Sieger beider Etappen: Marcel Buysse/Be).

1919: Einführung des "Maillot jaune" zur Kennzeichnung des Ersten der Gesamtwertung. Die Werksmannschaften sind gestrichen. Die Fahrer werden in die Kategorien A oder B eingeteilt. Die drei früheren Gesamtsieger François Faber (Lux, 1909), Octave Lapize (Fr, 1910) und Lucien Petit-Breton (Fr, 1907 und 1908) kommen während es Ersten Weltkrieges ums Leben.

1925: Rückkehr zur Formel der Werksmannschaften unter Beibehaltung einer Kategorie "touristes-routiers".

1930: Einführung von Nationalmannschaften zu acht Fahrern (Frankreich, Belgien, Italien, Spanien, Deutschland); 60 touristes-routiers sind Regionalmannschaften zugeteilt.

1933: Einführung der Bergpreiswertung.

1934: Erstmals findet ein Einzelzeitfahren statt: La Roche-sur-Yon - Nantes über 80 km.

1937: Bei den Teilnehmern der Tour de France hält die Gangschaltung Einzug.

1951: In der 17. Etappe Montpellier - Avignon (224 km) wird erstmals der Mont Ventoux befahren.

1952: Das Ziel der 10. Etappe befindet sich erstmals auf L´Alpe-d´Huez. Der Start erfolgte in Lausanne; nach 266 km hiess der Sieger Fausto Coppi (It).

1953: Zum 50-jährigen Bestehen der Tour wird die Punktewertung geschaffen und dazu das grüne Trikot eingeführt. Erster Gewinner ist Fritz Schär (Sz).

1962: Rückkehr zu den Werksmannschaften (Sportgruppen), die auch über Radsport-fremde Sponsoren verfügen dürfen.

1967: Erstmals findet ein Prolog statt. Die Fahrer gehören wieder Nationalmannschaften an. Letztmals endet die Schlussetappe im Prinzenpark-Stadion in Paris (Sieger: Raymond Poulidor/Fr).

1968: Unter dem Begriff "Rundfahrt der Gesundheit" finden erstmals regelmässig Dopingkontrollen statt.

1969: Definitive Rückkehr zu den Sportgruppen.

1975: Erstmals endet die Tour auf den Champs-Elysées in Paris (Sieger: Walter Godefroot/Be).

1983: Die Tour adoptiert die Open-Formel; Amateure aus Kolumbien nehmen an der Rundfahrt teil. 30 kolumbianische Medienschaffende verfolgen die Ereignisse und berichten darüber.

1990: Der Zerfall des früheren Ostblocks hat zur Folge, dass erstmals Fahrer der einstigen Sowjetunion und der DDR an der Tour teilnehmen können.

(bert/Si)

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