Realpolitik pur

publiziert: Montag, 14. Mrz 2016 / 08:45 Uhr / aktualisiert: Montag, 14. Mrz 2016 / 09:08 Uhr
Der designierte Präsident und seine Chefin: U Htin Kyaw und Aung San Suu Kyi.
Der designierte Präsident und seine Chefin: U Htin Kyaw und Aung San Suu Kyi.

Mit der Wahl von drei Vize-Präsidenten ist Myanmar dem historischen Machtwechsel einen wichtigen Schritt näher gekommen. Der definitive Entscheid fällt in den nächsten Wochen.

7 Meldungen im Zusammenhang
Das burmesische Parlament in der Hauptstadt Nay Pyi Taw hat die Weichen für eine neue Staatsführung von den Militärs zum Wahlsieger, der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), mit der Wahl von Vizepräsidenten gestellt. Das Mandat von Präsident und Ex-General Thein Sein, der seit 2011 demokratische Reformen mit Pragmatismus und Weitsicht ermöglicht und durchgesetzt hat, läuft am 30. März ab. Am 1. April soll dann der erste demokratisch bestimmte Präsident seit dem Militärcoup von 1962 vereidigt werden.

Drei Vize-Präsidenten

Das Prozedere für das Küren eines neuen Präsidenten ist komplex. Zunächst werden drei Vize-Präsidenten gewählt. Danach stellen sich die drei dem Parlament zur Präsidentenwahl. Wer die meisten Stimmen erreicht, wird Präsident. Die Unterlegenen sind dann die beiden Vize-Präsidenten. Im Unterhaus hat der von der NLD vorgeschlagene U Htin Kyaw das Rennen als Vize-Präsident gemacht und zwar mit 274 Stimmen. Der Kandidat der Opposition kam gerade einmal auf 29 Stimmen. Im Oberhaus setzte sich NLD-Kandidat U Henry Van Htee Yu mit 148 zu 14 Stimmen durch. Der Jurist gehört der nationalen Minderheit der Chin an und ist Christ. Das ist ein geschickter Schachzug der NLD, denn Myanmar hat - seit der britischen Kolonialzeit übrigens - ein zum Teil mit Waffengewalt ausgetragenes Problem mit nationalen Minoritäten. Sie machen rund dreissig Prozent der Bevölkerung aus. Die Militärs wiederum ernannten in ihrem Hauptquartier ihren in der Verfassung zugestandenen eigenen Kandidaten in der Person von U Mint Swe zum Vize-Präsidenten, den derzeitigen Chefminister der Region Yangon.

Familienfreund

Nach der Bestimmung der drei Vize-Präsidenten hob die Nationale Liga für Demokratie U Htin Kyaw als ihren Präsidentschaftskandidaten auf den Schild. Htin Kyaw ist ein enger Vertrauter der NLD-Vorsitzenden Aung San Suu Kyi. Während der langen Jahre des Hausarrests war er für Suu Kyi eine der ganz wenigen Kontakte nach Aussen. Er war schon ihr Klassenkamerad an der Yangon Methodist High School. Er studierte in Oxford. Der Wirtschaftsprofessor stammt aus einer NLD-Familie. Htin Kywas Vater U Min Thu Wun war ein in Burma berühmter Dichter und Politiker. Sein Schwiegervater U Lwin war Mitbegründer der NLD. Htin Kyaws Frau Daw Su Su Lwin ist NLD-Abgeordnete im Unterhaus. Er selbst ist erst vor kurzem der NLD beigetreten. Htin Kyaw leitet auch Aung San Suu Kyis ihrer Mutter gewidmete Wohltätigkeitsstiftung «Daw Kin Kyi Foundation». Suu Kyi kann sich hundertprozentig auf den Familienfreund verlassen. Seine Loyalität ist ihr gewiss. Wenn alles mit rechten Dingen zugeht, wird er der neue Präsident von Myanmar. Die Nationale Liga für Demokratie hat nämlich im November bei den Wahlen mit einem überlegenen Sieg die absolute Mehrheit im Parlament errungen.

Verfassungsartikel 59f

Vergeblich versuchte Suu Kyi in den letzten Monaten die Militärs von einer Verfassungsänderung zu überzeugen, die ihr erlaubt hätte, selbst als Präsidentin anzutreten. Doch die Uniformierten waren - vorerst? - nicht bereit, den Artikel 59f zu ändern. In der Verfassung von 2008 schrieben die Militärs in das Grundgesetz, dass niemand mit engen verwandtschaftlichen Bindungen ans Ausland das oberste Amt des Staates erringen könne. Suu Kys verstorbener Gatte war Brite und ihre beiden Söhne haben einen britischen Pass. Natürlich haben die Generäle bei dieser Verfassungsbestimmung an die damals noch unter Hausarrest lebende Friedensnobelpreisträgerin gedacht. Allerdings gab es schon früher eine fast identische Bestimmung in jener Verfassung, die 1947 kurz vor der Unabhängigkeit verabschiedet worden war. Mit-Autor war General Aung San, der Vater der Demokratie-Ikone Suu Kyi. Auch in andern Ländern Asiens gibt es ähnlich einschneidende Verfassungsbestimmungen. In den USA wiederum kann nur ein in den USA Geborener Präsident werden, während in der Schweiz zum Beispiel ein in Aleppo geborener Syrer nach Einbürgerung theoretisch durchaus die Chance hat, einmal Bundespräsident zu werden.

Für eine Verfassungsänderung in Myanmar bedarf es einer Zweidrittels-Mehrheit. Und die kann die NLD nicht erreichen, weil für die Militärs qua Verfassung 25 Prozent der Parlamentssitze reserviert sind und sie mithin eine Sperrminorität halten. Mit der absoluten Mehrheit im Parlament freilich kann die NLD allein bestimmen, wer der künftige Präsident wird. Daw Aung San Suu Kyi hat denn nie den geringsten Zweifel daran aufkommen lassen, dass, wer immer Präsident wird, sie «über» ihm stehen und die Regierungsgeschäfte führen werde. Das ist Realpolitik pur à la Birmanie.

Stilles Einvernehmen mit den Militärs?

Wie genau sich das Abspielen wird, darüber werden in Myanmar verschiedene Möglichkeiten herum geboten. Als Aussenministerin oder auf einem neu zu schaffenden Posten als Chef-Ministerin könnte Suu Kyi zum Beispiel in allen entscheidenden Gremien Einsitz nehmen. Zudem kann sie auf die absolute Loyalität ihres Vertrauten, des Präsidenten U Htin Kyaw zählen. Andere Stimmen wiederum glauben, dass Suu Kyi ein stilles Einvernehmen mit den Militärs erzielt habe, wonach nach zwei Jahren der Präsident zurücktreten und sie selbst nach einer dann möglichen Verfassungsänderung auch die formell oberste Stufe der Macht erklimmen werde.

Das alles sind Spekulationen. Denn nach Machtantritt muss die NLD zunächst höchst delikate Probleme angehen und lösen: wirtschaftlich, sozial und politisch. Über ein konkretes NLD-Programm ist noch immer nichts bekannt. Die Erwartungen sind hoch. Eine politische Symbiose, eine enge Zusammenarbeit mit den Militärs jedenfalls ist auf absehbare Zeit eine unvermeidliche Notwendigkeit. Die Uniformierten verfügen nämlich noch immer über erkleckliche politische Macht. Im Parlament sind ihr ein Viertel der Sitze gewiss. In der dreiköpfigen Staatsspitze verfügen sie über einen Vize-Präsidenten, und in der Regierung sind die wichtigen Ressorts des Innen-, des Verteidigungs- und des Grenzsicherheits-Ministeriums verfassungsmässig sicher. Auch wirtschaftlich hat das Militär ein gewichtiges Wort mitzureden. Privilegien stehen auf dem Spiel.

Die Würfel jedoch sind noch nicht ganz gefallen. Mit einem Federstrich könnten - theoretisch und praktisch - die Militärs noch alles zunichte machen. Doch daran glaubt in Myanmar niemand mehr. Der Weg zur Demokratie, sagte schon vor zwei Jahren ein guter burmesischer Freund, ist unumkehrbar. Möge das am 1. April mit der Inauguration von U Htin Kyaw zum neuen, demokratisch erkorenen Präsidenten sich bewahrheiten.

(Peter Achten / Peking/news.ch)

Kommentieren Sie jetzt diese news.ch - Meldung.
Lesen Sie hier mehr zum Thema
Naypyidaw - In der einstigen ... mehr lesen
Naypyidaw - In Myanmar hat die Partei von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi ihre beiden Kandidaten für das Präsidentenamt nominiert. Es sind Htin Kyaw, Direktor einer ... mehr lesen
Rangun - Myanmars Parlament ... mehr lesen
Das Parlament in Myanmar wählt einen neuen Präsidenten.
Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi: Ihr ist egal, wer Präsident unter ihr wird.
Achtens Asien Der dritte Anlauf zur Demokratie in ... mehr lesen
Rangun - Myanmars Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi verhandelt mit dem Militär über eine Verfassungsänderung, damit sie Präsidentin werden kann. Das sagten am Wochenende übereinstimmend Mitglieder ihrer NLD-Partei und Politiker, die dem Militär nahe stehen. mehr lesen 
Weitere Artikel im Zusammenhang
Rangun - Burmas neue Regierung ... mehr lesen
Die Regierung in Burma will über 6000 Gefangene freilassen.
Die Menschen gehen in Rangun kaum mehr vor die eigene Haustüre. (Archivbild)
Rangun - Nach einer Woche heftiger ... mehr lesen
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 22
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der ...
Mit seinem Besuch in Vietnam hat US-Präsident Obama seine seit acht Jahren verfolgte Asienpolitik abgerundet. Die einstigen Todfeinde USA und Vietnam sind, wenn auch noch nicht Freunde, so doch nun Partner. China verfolgt die Entwicklung mit Misstrauen. mehr lesen 
Zum 50. Mal jährt sich im Mai der Beginn der chinesischen «Grossen Proletarischen Kulturrevolution». Das Chaos dauerte zehn Jahre. Mit tragischen Folgen. mehr lesen
Mao-Büsten aus der Zeit der Kulturrevolution: «Sonne des Ostens» und Halbgott.
Kein Psychopath, sondern ein der Realität verpflichteter Diktator: Kim Jong-un.
Kim Jong-un ist ein Meister der Propaganda und (Selbst)Inszenierung. Nach vier Jahren an der Macht liess er sich nun am VII. Kongress der Koreanischen Arbeiterpartei zum Vorsitzenden krönen. mehr lesen  
Pekinger Pfannkuchen oder Crêpes Pékinoises sind nur schwache Umschreibungen für das ultimative Pekinger Frühstück Jianbing. Wörtlich übersetzt heisst Jianbing ganz banal gebratener Pfannkuchen. Aber oho, Jianbing schmeckt nicht nur. Die Zubereitung ist auch eine Kunst. mehr lesen  
Typisch Schweiz Der Bernina Express Natürlich gibt es schnellere Bahnverbindungen in den Süden, aber wohl ...
Highlight der Kollektion: Eine Gibson Les Paul von 1959, die 300.000 bis 500.000 Pfund einbringen soll.
Shopping Mark Knopfler verkauft seine Gitarrensammlung Die Gitarrensammlung vom Dire Straits-Gitarristen Mark Knopfler wird am 31.01.2024 bei Christie's versteigert.
Erstaunliche Pfingstrose.
Jürg Zentner gegen den Rest der Welt.
Jürg Zentner
Frauenrechtlerin Ada Wright in London, 1910: Alles könnte anders sein, aber nichts ändert sich.
Regula Stämpfli seziert jeden Mittwoch das politische und gesell- schaftliche Geschehen.
Regula Stämpfli
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
Patrik Etschmayers exklusive Kolumne mit bissiger Note.
Patrik Etschmayers
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Peter Achten zu aktuellen Geschehnissen in China und Ostasien.
Peter Achten
Recep Tayyp Erdogan: Liefert Anstoss, Strafgesetzbücher zu entschlacken.
Skeptischer Blick auf organisierte und nicht organisierte Mythen.
Freidenker
 
Stellenmarkt.ch
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Mi Do
Zürich 5°C 16°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Basel 8°C 18°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
St. Gallen 4°C 14°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Bern 4°C 16°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Luzern 6°C 16°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Genf 5°C 16°C sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Lugano 6°C 17°C sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt freundlich
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten