Regierungskonferenz zur EU-Reform: wenig Bewegung
publiziert: Freitag, 22. Sep 2000 / 07:39 Uhr
Brüssel - Einigungsprozesse in der Europäischen Union sind eine knifflige Angelegenheit. Wenn gar nichts mehr geht, hilft nur noch eins: das Beichtstuhlverfahren. Die EU-Präsidentschaft knöpft sich dann die einzelnen Mitgliedstaaten vor und erforscht ihre Bereitschaft zum Kompromiss.
In der Regierungskonferenz zur EU-Reform, die
beim Gipfel in Nizza im Dezember unter Dach und Fach
gebracht werden soll, ist diese Phase bald erreicht.
Nachdem alle Beteiligten bis zum Abwinken ihre alten
Positionen zur Kommissionsgröße, zur Stimmengewichtung im
Rat, zur Ausdehnung von Mehrheitsentscheidungen sowie zur
flexiblen Zusammenarbeit einer integrationslustigen
Mehrheit vorgetragen haben, müssen nun Schnittmengen
ausgelotet werden. Dabei gilt: «Alles hängt mit allem
zusammen.»
Die Unterhändler der Regierungen treffen sich inzwischen im Wochenturnus zu Verhandlungen. Und obwohl die französische Ratspräsidentschaft, unter deren Regie die entscheidende Phase der Verhandlungen läuft, schon ihre Halbzeit erreicht hat, bewegt sich wenig. «Die Wiederholung bereits bekannter Standpunkte dient der Darstellung, wie hart meine Position ist», berichtet einer der Verhandlungsteilnehmer. Wenn die Präsidentschaft die Regierungsvertreter in den Beichtstuhl zitiert, will sie die bekannten Litaneien nicht mehr hören, sondern nur noch Spielräume für ein Entgegenkommen erforschen. Die Ergebnisse werden erst kurz vor dem Gipfel in einem Kompromisspapier zusammengefasst.
Damit sollen groß angelegte Rückzugsmanöver einzelner Mitglieder verhindert werden. In der Nacht der Nächte, in der die Staats- und Regierungschefs über dem Papier brüten, geht es nur noch darum, welche kleinen Änderungen akzeptabel sind, ohne dass das Gesamtkunstwerk verunstaltet wird. Noch aber liegen diverse Optionen auf dem Tisch. Die größten Annäherungen zeichnen sich bei der Reduzierung der rund 70 Politikbereiche ab, in denen derzeit noch Einstimmigkeit gilt. Zwar fand der bestechend einfache Ansatz Berlins keinen Anklang, dass künftig Mehrheitsentscheidungen die Regel und Einstimmigkeit die Ausnahme sein sollten. Doch liegt es inzwischen im Bereich des Möglichen, dass in über der Hälfte der Politikfelder das Veto abgeschafft werden könnte.
«Es zeichnet sich eine Änderung der politischen Psychologie ab», berichtete der deutsche Delegationsleiter, Staatssekretär Gunter Pleuger vom Auswärtigen Amt. Vor allem die großen Mitgliedstaaten hätten erkannt, dass «das Veto ein großes Moment der Erpressung hat». Die Zustimmung einzelner zu kontroversen Themen mit Zugeständnissen in anderen Fragen zu erkaufen, ist in der EU kein unübliches Verfahren. Von der weitgehenden Abschaffung des Vetos hängt es ab, inwieweit eine integrationswillige Avantgarde den lahmen Rest mitziehen kann oder sich auf eine separate Zusammenarbeit in Kerngruppen zurückziehen muss. Für die so genannte flexible Zusammenarbeit, die schon jetzt im EU-Vertrag vorgesehen ist und für die etwa die Währungsunion mit bald zwölf Teilnehmern Pate steht, sollen die Hürden gesenkt werden. Eine Erleichterung der flexiblen Zusammenarbeit liegt auch Bundeskanzler Gerhard Schröder am Herzen, der «keine Entwicklung möchte, die sich außerhalb des Vertrags vollzieht».
Schwieriger wird es schon mit der künftigen Größe der Kommission, zieht man in Betracht, dass die EU sich in wenigen Jahren um bis zu zwölf Kandidatenstaaten erweitert. Während kleine Staaten wie Luxemburg oder Dänemark auf einem Kommissar pro Land bestehen, treten die großen wie Frankreich und Deutschland für eine kleine, effiziente Behörde ein. Das kleine Gremium würde dann auch weniger als die Summe der Mitgliedstaaten, sondern eher als Hüterin des Gemeinschaftsinteresses wahrgenommen. Bei einer Kommission mit 27 Kommissaren wäre eine Hierarchisierung unvermeidlich: Die Stellung des Präsidenten müsste gestärkt und Gruppen von Kommissaren verschiedenen Vizepräsidenten zugeordnet werden. Es könnte außerdem Juniorkommissare ohne Geschäftsbereich geben. Bei einer kleinen Kommission müsste ein Rotationsprinzip eingeführt werden, damit alle Staaten einmal drankommen. Die Gestaltung der Kommission hat wiederum Einfluss auf die Neugewichtung der Stimmen im Rat, wie das Beispiel Spanien zeigt. Bei seinem Beitritt zur EU vor 14 Jahren verzichtete Madrid darauf, wie die anderen großen vier Staaten zehn Stimmen im Ministerrat zu erhalten. Es begnügte sich mit acht, bekam dafür aber wie Italien, Großbritannien, Deutschland und Frankreich einen zweiten Kommissar. Auf ihren zweiten Kommissar würden die großen Fünf nach den kursierenden Modellen aber auf jeden Fall verzichten.
Die Unterhändler der Regierungen treffen sich inzwischen im Wochenturnus zu Verhandlungen. Und obwohl die französische Ratspräsidentschaft, unter deren Regie die entscheidende Phase der Verhandlungen läuft, schon ihre Halbzeit erreicht hat, bewegt sich wenig. «Die Wiederholung bereits bekannter Standpunkte dient der Darstellung, wie hart meine Position ist», berichtet einer der Verhandlungsteilnehmer. Wenn die Präsidentschaft die Regierungsvertreter in den Beichtstuhl zitiert, will sie die bekannten Litaneien nicht mehr hören, sondern nur noch Spielräume für ein Entgegenkommen erforschen. Die Ergebnisse werden erst kurz vor dem Gipfel in einem Kompromisspapier zusammengefasst.
Damit sollen groß angelegte Rückzugsmanöver einzelner Mitglieder verhindert werden. In der Nacht der Nächte, in der die Staats- und Regierungschefs über dem Papier brüten, geht es nur noch darum, welche kleinen Änderungen akzeptabel sind, ohne dass das Gesamtkunstwerk verunstaltet wird. Noch aber liegen diverse Optionen auf dem Tisch. Die größten Annäherungen zeichnen sich bei der Reduzierung der rund 70 Politikbereiche ab, in denen derzeit noch Einstimmigkeit gilt. Zwar fand der bestechend einfache Ansatz Berlins keinen Anklang, dass künftig Mehrheitsentscheidungen die Regel und Einstimmigkeit die Ausnahme sein sollten. Doch liegt es inzwischen im Bereich des Möglichen, dass in über der Hälfte der Politikfelder das Veto abgeschafft werden könnte.
«Es zeichnet sich eine Änderung der politischen Psychologie ab», berichtete der deutsche Delegationsleiter, Staatssekretär Gunter Pleuger vom Auswärtigen Amt. Vor allem die großen Mitgliedstaaten hätten erkannt, dass «das Veto ein großes Moment der Erpressung hat». Die Zustimmung einzelner zu kontroversen Themen mit Zugeständnissen in anderen Fragen zu erkaufen, ist in der EU kein unübliches Verfahren. Von der weitgehenden Abschaffung des Vetos hängt es ab, inwieweit eine integrationswillige Avantgarde den lahmen Rest mitziehen kann oder sich auf eine separate Zusammenarbeit in Kerngruppen zurückziehen muss. Für die so genannte flexible Zusammenarbeit, die schon jetzt im EU-Vertrag vorgesehen ist und für die etwa die Währungsunion mit bald zwölf Teilnehmern Pate steht, sollen die Hürden gesenkt werden. Eine Erleichterung der flexiblen Zusammenarbeit liegt auch Bundeskanzler Gerhard Schröder am Herzen, der «keine Entwicklung möchte, die sich außerhalb des Vertrags vollzieht».
Schwieriger wird es schon mit der künftigen Größe der Kommission, zieht man in Betracht, dass die EU sich in wenigen Jahren um bis zu zwölf Kandidatenstaaten erweitert. Während kleine Staaten wie Luxemburg oder Dänemark auf einem Kommissar pro Land bestehen, treten die großen wie Frankreich und Deutschland für eine kleine, effiziente Behörde ein. Das kleine Gremium würde dann auch weniger als die Summe der Mitgliedstaaten, sondern eher als Hüterin des Gemeinschaftsinteresses wahrgenommen. Bei einer Kommission mit 27 Kommissaren wäre eine Hierarchisierung unvermeidlich: Die Stellung des Präsidenten müsste gestärkt und Gruppen von Kommissaren verschiedenen Vizepräsidenten zugeordnet werden. Es könnte außerdem Juniorkommissare ohne Geschäftsbereich geben. Bei einer kleinen Kommission müsste ein Rotationsprinzip eingeführt werden, damit alle Staaten einmal drankommen. Die Gestaltung der Kommission hat wiederum Einfluss auf die Neugewichtung der Stimmen im Rat, wie das Beispiel Spanien zeigt. Bei seinem Beitritt zur EU vor 14 Jahren verzichtete Madrid darauf, wie die anderen großen vier Staaten zehn Stimmen im Ministerrat zu erhalten. Es begnügte sich mit acht, bekam dafür aber wie Italien, Großbritannien, Deutschland und Frankreich einen zweiten Kommissar. Auf ihren zweiten Kommissar würden die großen Fünf nach den kursierenden Modellen aber auf jeden Fall verzichten.
(sda)
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