Tunis - Tunesien steuert auf eine Staatskrise zu: Regierungschef Hamadi Jebali droht mit Rücktritt, eine säkulare Koalitionspartei zog sich aus der islamistisch geprägten Regierung zurück. Zudem entbrannte in der grössten Regierungspartei Ennahda ein Richtungsstreit.
Die Pläne des als moderat geltenden Regierungschefs stiessen im konservativen Flügel seiner eigenen Partei auf Widerstand. Jebalis Pläne wurden auch von den beiden kleineren, säkularen Koalitionspartnern kritisiert, weil das Vorhaben mit ihnen nicht abgesprochen sei.
Die Partei von Staatspräsident Moncef Marzouki, der Kongress für die Republik (CPR), zog seine drei Minister aus der Regierung zurück. Ein CPR-Sprecher begründete den Entscheid mit Streitigkeiten um die Besetzung von Kabinettsposten.
Seit Wochen hatte Jebali vergeblich versucht, sich mit der CRP und dem dritten Koalitionspartner, der sozialdemokratischen Ettakatol, auf eine neue Regierungsmannschaft zu verständigen. Die CRP hatte dabei für sich das Justiz- und das Aussenministerium beansprucht.
Festhalten am Wahltermin
Trotz der angespannten Lage hält Präsident Marzouki an Parlaments- und Präsidentenwahlen noch in diesem Jahr fest. Die Wahlen könnten um zwei bis drei Monate auf einen Zeitraum zwischen Juni und Oktober verschoben werden, sagte Marzouki am Sonntag in einem Interview mit dem arabischen Fernsehsender Al-Dschasira.
Tunesien werde stabiler, wenn es eine neue Verfassung, einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament habe, sagte Marzouki. Dann könnten die sozialen und wirtschaftlichen Probleme in Angriff genommen werden. Gründe für die derzeitigen Probleme seien die lange Übergangsperiode zur Demokratie sowie eine schwache Regierung.
Ennahda weist Anschuldigungen zurück
Die Lage in Tunesien hatte sich seit Mittwoch kontinuierlich verschärft: Nach der Ermordung des Oppositionspolitikers Chokri Belaïd war es in Tunesien zu Unruhen und Massenprotesten gekommen. Die Opposition wirft der Ennahda vor, hinter dem Attentat zu stecken.
Ennahda-Parteichef Rachid Ghannouchi wies die Anschuldigungen als absurd zurück. Niemand in seiner Partei profitiere von der Ermordung Belaïds. «Es ist sicher nicht im Interesse der regierenden Partei, den Boden, auf dem sie steht, in die Luft zu sprengen», sagte Ghannouchi. Die Vorwürfe zielten darauf ab, die Ennahda und ihre Mehrheit zu zerstören.
In die tunesischen Unruhen wurde verstärkt auch die frühere Kolonialmacht Frankreich hineingezogen. Der französische Innenminister Manuel Valls hatte im Zusammenhang mit dem Mord an Belaïd vor einem «islamischen Faschismus» gewarnt.
Nachdem Zehntausende Menschen am Freitag dem Trauerzug mit dem getöteten Oppositionspolitiker Belaïd das letzte Geleit gegeben hatten, folgten am Samstag einige tausend Ennahda-Anhänger dem Aufruf zu einer Gegendemonstration. Auf den Strassen herrschte am Wochenende jedoch weitgehend Ruhe, Geschäfte und Restaurants öffneten wieder.
(fest/sda)
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