Tennis: Federers grösster Erfolg
Roger Federer steht als erster Schweizer in Wimbledon in der Runde der letzten vier. Der Münchensteiner bezwang den angeschlagenen Holländer Sjeng Schalken 6:3, 6:4, 6:4 und erreichte den ersten Grand-Slam-Halbfinal seiner Karriere.
Nicht euphorisch...
Euphorisch reagierte Federer auf den grössten Erfolg seiner Karriere nicht. Hatte der 21-jährige Baselbieter vor zwei Jahren nach dem Achtelfinal-Sieg gegen Pete Sampras auf dem Centre Court noch Freudentränen verdrückt, wirkte er diesmal so, wie er in diesen Tagen in Londons Südwesten immer gewirkt hatte: überaus cool. "Ich bewege mich nun nicht in einer anderen Sphäre, nur weil ich gegen einen verletzten Spieler gewonnen habe." Federer sprach damit die Blessur Schalkens (ATP 12) an, der wegen eines Blutergusses und einer Entzündung im linken Fuss nur mit einer Spritze antreten konnte. "Es tut mir Leid für Sjeng. Er konnte heute nicht mehr geben." Federers Hexenschuss war derweil ausgeheilt und behinderte den Schweizer in keiner Weise.
...aber glücklich
Die verhaltene Freude Federers, dürfte aber auch auf die eigene Leistung zurückzuführen sein. Obwohl der Erfolg letztlich klar ausfiel, wechselten sich bei Federer Licht und Schatten ab. Während er durchwegs stark servierte und Schalken in zehn von 15 Aufschlagsspielen höchstens einen Punkt zugestand, retournierte er vorab in den ersten beiden Sätzen nicht gut und machte auch sonst bei gegnerischem Aufschlag mehr Fehler als gewohnt. "Es war tatsächlich kein grosses Spiel. Aber dies war wegen der besonderen Umstände wohl auch nicht zu erwarten." Glücklich sei er nun aber natürlich gleichwohl.
Trotz einiger schwächerer Phasen Federers war das Duell gegen den Holländer, den Federer in diesem Jahr bereits zuvor dreimal ohne Satzverlust bezwungen hatte, höchst unausgeglichen. Schalken vermittelte nie das Gefühl, er könne den Schweizer am Halbfinal-Einzug hindern. In leichte Rücklage geriet Federer einzig zu Beginn des dritten Durchganges, als er das einzige Mal den Service abgab und sich einen 0:3-Rückstand einhandelte.
Doch just in dieser Phase zeigten sich Schalkens Probleme beim Aufschlag. Der Holländer war nicht in der Lage, den Satz zum Gewinn zu servieren. Federer kam jeweils leicht zu Breakbällen (insgesamt acht im dritten Satz) und nahm Schalken schliesslich zweimal den Aufschlag ab. Nach dem 1:4-Rückstand liess Federer kein Game mehr zu und verwertete nach lediglich 98 Minuten den ersten Matchball.
Roddicks Servicestärke
Halbfinal-Gegner Federers ist der 20-jährige Amerikaner Andy Roddick der als Nummer 5 des Turniers in der Setzliste nur einen Platz hinter Federer figuriert. Roddick servierte Jonas Björkman beim 6:4, 6:2, 6:4 förmlich vom Platz. Im Duell des jüngsten gegen den ältesten Viertefinal-Teilnehmer brachte Roddick gegen den 31-jährigen Schweden über 70 Prozent der ersten Aufschläge ins Feld. Roddick gab wie Federer auf dem Weg unter die letzten vier nur einen Satz ab. Und wie der Schweizer ist auch der Rechtshänder aus Nebraska auf Rasen in diesem Jahr noch ungeschlagen (10:0 Siege).
Roddick hatte schon beim Australian Open im Januar im Halbfinal gestanden. Doch im epischen Viertelfinal-Duell gegen den Marokkaner Younes El Aynaoui (21:19 im fünften Satz) erlitt Roddick eine Verletzung an der rechten Hand und verlor dann im Halbfinal gegen den Deutschen Rainer Schüttler in vier Sätzen.
In Wimbledon ist der Amerikaner aber in bester physischer Verfassung. "Ich habe hier bisher -- wie Roger auch -- nicht viel Kraft verloren. Wir sind beide ziemlich frisch." Auch deshalb erwartet Roddick ein ausgeglichenes Spiel zwischen der Weltnummer fünf und der Nummer sechs. Von Federer schwärmt er in den höchsten Tönen. "Er hat keine Schwäche. Er serviert gut, hat eine hervorragende Vorhand und ein tolles Spielverständnis. Ich denke, er ist der beste Spieler auf der Tour, der noch nie ein Grand-Slam-Turnier gewonnen hat."
In den bisherigen drei Duellen hat Federer Roddick immer geschlagen, zuletzt im vergangenen Herbst in Basel in zwei Sätzen. Die phänomenale Service-Statistik Roddicks (über 70 Prozent erste Aufschläge, 64 Asse) bereitet Federer keine Sorgen. "Ich habe gegen Roddick immer gut retourniert, sonst hätte ich ihn nicht jedesmal geschlagen." Ohnehin müsse er vor dem Service Roddicks keine Angst haben, denn ein Aufschlag habe noch niemanden getötet, fügte Federer schmunzelnd hinzu.
Wieder kein englischer Triumph
Gestorben ist derweil die englische Hoffnung auf den ersten einheimischen Wimbledon-Sieg seit 67 Jahren. Tim Henman (ATP 29) konnte das Blatt (1:2-Satzrückstand) im am Mittwoch abgebrochenen Duell gegen Sébastien Grosjean (ATP 14) nicht mehr wenden und verlor den vierten Durchgang 4:6. Der 28-jährige Brite verpasste somit den fünften Halbfinal-Einzug seit 1998.
Durch das Ausscheiden Henmans werden weitere Quoten-Rekorde bei der englischen TV-Station BBC verhindert. Den Match gegen Grosjean hatten am Mittwoch über 15 Millionen Zuschauer verfolgt; eine Zahl, die in diesem Jahr weder die englische Fussball-Nationalmannschaft im EM-Qualifikationsspiel gegen die Türkei (12,2 Millionen) noch Manchester United im Champions-League-Knüller gegen Real Madrid (12,3) erreicht hatten.
Gejubelt wird dafür in Frankreich, denn die "Grande Nation" erlebte in Wimbledon für einmal kein Waterloo. Grosjean, schon 2001 in Melbourne und Paris Grand-Slam-Halbfinalist, ist nach Henri Leconte (1986) und Cédric Pioline (1997) erst der dritte Akteur aus dem Hexagon, der an der Church Road die Runde der letzten vier erreichte. Einen entscheidenden Sprung macht Grosjean in der Weltrangliste. Nächste Woche dürfte er in den Top ten figurieren.
Nur knapp 30 Minuten nach dem Out von Henman musste mit Alexander Popp (ATP 198) auch Englands "Ersatz-Held" den heiligen Rasen geschlagen verlassen. Der Deutsche, dessen Mutter aus Wolverhampton kommt und der einen englischen Pass besitzt, unterlag Mark Philippoussis im entscheidenden Satz 6:8. Damit musste der 26-jährige Heidelberger, der in Wimbledon erst das dritte Turnier nach einer siebenmonatigen Verletzungspause bestritt, an der Pressekonferenz wenigstens für einmal nicht die Frage beantworten, ob er nicht doch jemals für England im Davis Cup antreten wolle.
Philippoussis Aufschlag und Aufstieg
Philippoussis (ATP 48), der in den Achtelfinals die Weltnummer 1 Andre Agassi eliminiert hatte, hatte am Vortag einen 0:2-Satzrückstand wettgemacht und schlug Popp gestern Donnerstag letztlich mit seiner stärksten Waffe, dem Aufschlag. 119 Asse hatte der Australier in den ersten vier Partien in Wimbledon serviert. Gegen Popp liess er 34 weitere folgen. 13 Asse schlug Philippoussis allein im fünten Satz, in dem er im letzten Game das Break zum 8:6 schaffte.
Nach mehreren Knieoperationen war er im Ranking vor zwei Jahren aus den Top 100 gefallen. Nun setzt Philippoussis seinen Aufstieg dank der zweiten Grand-Slam-Halbfinalqualifikation fort und dürfte kommende Woche in der Nähe von Platz 30 positioniert sein.
von Stefan Wyss, Wimbledon
Resultate
Männer-Einzel, Viertelfinals: Roger Federer (Sz/4) s. Sjeng Schalken (Ho/8) 6:3, 6:4, 6:4. Andy Roddick (USA/5) s. Jonas Björkman (Sd) 6:4, 6:2, 6:4. Sébastien Grosjean (Fr/13) s. Tim Henman (Gb/10) 7:6 (10:8), 3:6, 6:3, 6:4. Mark Philippoussis (Au) s. Alexander Popp (De) 4:6, 4:6, 6:3, 6:3, 8:6. -- Halbfinal-Tableau: Roddick (5) - Federer (4), Grosjean (13) - Philippoussis.
Männer-Doppel, Viertelfinal: Mahesh Bhupathi/Max Mirnyi (Ind/WRuss/1) s. Martin Damm/Cyril Suk (Tsch) 7:6 (7:2), 7:6 (7:3), 6:3.
Das Programm vom Freitag
12.00 Uhr Lokalzeit (SF1 live ab 15.00). Centre Court: Grosjean - Philippoussis gefolgt von Federer - Roddick.
(bert/Si)
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