Landflucht, Teil 2

Tierische Freude

publiziert: Montag, 25. Mai 2015 / 12:14 Uhr
Schuhdiebe!
Schuhdiebe!

Das Landleben ist wie in einem Zoo voller wilder Tiere, einfach ohne Sicherheits-Gitter. Dazu gehören auch Raubtiere und viele kleine «Iihhh-Tiere». Um in diesem Dschungel zu überleben, muss man Arrangements treffen.

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Ich kann das Gejammer der Langstrassen-Bewohner gut verstehen. Es ist unangenehm, wenn man morgens vor der Haustüre einen Fäkalienhaufen vorfindet. Doch statt menschlichen Exkrementen handelt es sich hier auf dem Land um die eines Fuchses, der mir regelmässig vor die Haustüre scheisst. Ich kann ihm nicht böse sein, schliesslich lebe ich in seinem Revier.

Vielleicht ist es ja auch seine spezielle Art Danke zu sagen für den Abfallschmaus, den ich dem Fuchs versehentlich serviert habe, als ich neulich den Grill-Abfallsack über Nacht draussen stehen liess. Oder für die Zoggelis, die er sich im Winter für seinen Fuchsbau geholt hat. Wahrscheinlich machten sie sich gut in seinem neuen Schlafzimmer - seit etwa einer Woche streift er nicht mehr alleine durch die Nacht sondern ist zu zweit. Vielleicht braucht Kollege-Samtpfote ja bald Flip-Flops für ein Kinderzimmer ...

Im Estrich wohnt ab und zu ein Marder, der wenn er hier ist einen solchen Lärm macht, dass Poltergeist-Jäger schockerstarrt aus dem Haus flüchten würden. Wie bei anderen lauten Mitbewohner auch, klopft man dann am besten mit einem Besenstil an die Decke und ruft: «Ruhe!» Nach ein paar Tagen zieht der Party-Marder jeweils weiter. Wo er sonst wohl wohnt oder sich rumtreibt? Im Garten verirrt sich manchmal auch ein Igel oder ein Eichhörnchen, das auf dem Haselnuss-Baum wohnt.

In einem Haus auf dem Land ist man nie alleine. Es gibt zahlreiche Untermieter. Kleine Mäuse zum Beispiel oberhalb der Garage, aber auch schon mal ein Siebenschläfer, der es sich unter der Spüle gemütlich gemacht hat und mich zu Tode erschreckte, als er mir eines Nachts aus dem Kübel entgegensprang.

Im Dachfirst nistet eine aufgedrehte Spatzenfamilie, bei der immer was los ist. Einer kommt, der andere geht, dazwischen zwitschert und fiept es unentwegt. Vielleicht kommt es auch von den vielen anderen Vögeln, die sich auf der grossen Tanne treffen. Einige Vögel hört man besonders gut raus. Einer tönt zum Beispiel wie der Klingelton eines alten Nokia-Handys, ein anderer wie das Schimpfen einer alten Frau in einer Balkan-Sprache. Gerne würde ich wissen, um welche Art von Vögel es sich handelt. Gibt es so eine Art Shazam für Tiere, eine App, die bestimmen kann, was für ein Tier es ist, das man fotografiert hat?

Vor allem bei Schmetterlingen nimmt es mich Wunder, welche Exemplare da um den Sommerflieder flattern. Ich hatte schon immer ein Faible für Schmetterlinge und freute mich darum letztes Jahr sehr über die vielen Raupen, die plötzlich die Hauswand raufkletterten. Erst Tage später merkte ich, dass die Raupen miese Arschlöcher sind und mir die Buchsen tot gefressen haben. Was für ein Verrat! Meine Rache war gnadenlos - ich heuerte einen Killer an, der das «Problem erledigt» hat.

Es war eine der wenigen Male, wo ich mich nicht an den Deal hielt: Alles was draussen bleibt, darf leben, alles was reinkommt, wird gejagt. Mit Jagen meine ich übrigens nicht töten sondern ich jage die meisten Kleintiere in die Freiheit.
 
Nie würde ich einem filigranen Zimmermann eines seiner zartgliedrigen Beine krümmen. Oder einer fetten Spinne, die sich am schmiedeeisernen Fenstergitter ein kompliziertes Netz spinnt. Unermüdlich repariert sie ihr Netz, wenn es der Regen oder der Wind zerstört. Das verdient Respekt und nicht den Tod.

Eine kleine Spinne wohnte mal einen ganzen Sommer in der Innenseite des Rückspiegels meines Wagens. Sie baute immer wieder ein Netz zwischen dem Rückspiegel und der Fichte, so dass ich es jedesmal vernichten musste, wenn ich die Fahrertüre öffnete. Wenn ich losfuhr, verkroch sie sich hinter den Rückspiegel. Zuhause angekommen, spannte sie sogleich wieder ein Netz, das ich dann wieder vernichtete. Das ging den ganzen Sommer so, sie fuhr viele Kilometer mit mir, kam sogar mit in die Sommerferien. Die Rückfahrt schien sie nicht überlebt zu haben oder sie wohnt jetzt in Italien.

Auch Fliegen wollen einem nicht nerven, sondern vor allem ihre Freiheit. Kaum öffnet man das Fenster, schon hauen Sie ab. Stubenfliegen ist darum auch der falsche Ausdruck, weil sie eigentlich gar nicht in der Stube leben wollen sondern auf einem Misthaufen. Nicht so wie Fruchtfliegen, welche die eigentlichen Stubenfliegen sind. 

Zu den Fruchtfliegen hab ich in den letzten Jahren eine verständnisvolle Beziehung aufgebaut, seit mir ein Bekannter erzählte, dass Fruchtfliegen betrunkenen Mallorca-Touristen sehr ähnlich sind. Sie lieben gegärten Zucker also Alkohol und Sex. Sie rächen ihren Kater aber nicht mit fiesen Stichen gegen Menschen sondern sind komplett harmlos. Darum: Lassen Sie die kleinen Party-Tiere leben.

Apropos leben und leben lassen: Was soll ich mit dem kleinen Ameisenhaufen machen, der bei der Hollywoodschaukel wächst und mittlerweile die Einwohnerzahl eines Kleinstaates haben muss? Er wird wohl immer grösser und immer herzloser, diesen zu vernichten?

Es gibt noch mehr traurige Tierli-Geschichten zu erzählen. Zum Beispiel: die vom einsamen Storch und dem hässigen Schwan. Ich weiss nicht, ob seine Partnerin ihn verlassen hat, weil er so hässig ist oder er hässig ist, seit sie nicht mehr ist. Sorgen mache ich mir aber vor allem um den einsamen Storch, der letztes Jahr noch mit der ganzen Familie hier lebte. Warum ist er jetzt alleine? Ist sie mit einem anderen durchgebrannt? Wo sind die Kleinen? Ist das Storchen-Nest bewohnt oder steht es zum Verkauf?

Ich gehe der Sache auf den Grund, hoffe aber beim Guck-in-die-Luft keines dieser faszinierenden Weinbergschnecken-Häuschen zu zerstören - an manchen Tagen ist es ein richtiger Zickzack-Lauf, um niemanden zu töten. Oder auf einen aufgewühlten Regenwurm zu treten, der ironischerweise so heisst, weil er vor dem Regen aus dem Erdinnern fliehen, um nicht zu ertrinken. Das glaubte man zumindest früher - heute vermutet man, er sei auf der Flucht vor dem Maulwurf.

Es könnte also schlimmer sein als an der Langstrasse zu wohnen. 

(Jürg Zentner/news.ch)

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