Turnen: WM - Erstes Turner-Gold für eine Brasilianerin

Das 20-jährige Energiebündel aus Porto Alegre zeigte eine Bodenübung mit einer Sprunggewalt, wie man sie im Kunstturnen noch nie gesehen hatte. Selbst die amerikanischen Zuschauer, die hauptsächlich eigene Turner(innen) frenetisch feiern, riss es von den Sitzen. So war die nur 1,42 m grosse Mulattin nicht nur die erste Turnerin, die für Brasilien und ganz Südamerika einen WM-Titel holte, sondern auch die einzige, die mit einer "Standing Ovation" geehrt wurde.

Die Arbeit der ukrainischen Trainer-Schule trägt in Brasilien Früchte. Schon das Team hatte mit einem 5. Platz überrascht, noch vor Russland und nur sechs Zehntel hinter den Medaillen. Dos Santos´ persönlicher Trainer formte einst schon Lidia Podkopajewa zur Mehrkampf-Weltmeisterin (1995). Die neue Boden-Weltmeisterin Daiane Dos Santos ist natürlich wie alle Brasilianer auch ein Fussball-Fan; ihr bevorzugter Spieler: Real-Madrid-Star Roberto Carlos.

Drei Titel für Li Xiao Peng

Zum erfolgreichster Turner dieser WM avancierte der Chinese Li Xiao Peng. Neben dem Titel mit der Mannschaft holte er auch, wie 2002 bei den WM in Debrecen (Un), die beiden Goldmedaillen im Pferdsprung und am Barren. Damit ist er auch der einzige Titelverteidiger. Sonst gab es durchwegs neue Sieger. Im Pferdsprung ist Li Xiao Peng seit vier Jahren ungeschlagen. Schon 1999 wurde er Weltmeister und 2000 Olympiasieger. 2001 überliess er den Titel Marian Dragulescu, weil er den China-Spielen gegenüber den WM den Vorzug gab.

Li Xiao Peng war im Pferdsprung der einzige, der zwei 10er-Sprünge zeigte. Und auch die Balken-Siegerin Fan Ye war die einzige, die eine Ausgangsnote von 10,0 aufwies. Dagegen hatten 66 Ringturner einen Ausgangswert von 10,0. Da sagte Andreas Schweizer, der den Final nur wegen der tieferen Streichnote eines Kampfrichters (aus Malaysia) verpasst hatte, zu Recht: "So ist es schwer, aus eigener Kraft eine Medaille zu holen. Diese werden von den Kampfrichtern vergeben." Demonstrativ hatte er sich den Ring-Final nicht angeschaut und dafür Hollywood besucht -- eine andere Traumwelt.

Warum stehen die Schweizer abseits?

Mit einer verpassten Olympia-Chance durch das Schweizer Männer-Team hatten die Weltmeisterschaften angefangen, mit den Gerätefinals ohne Schweizer Beteiligung hörten sie auf. Gab es für das unglückliche Ausscheiden Erklärungen und Begründungen, so fragt man sich an den Finals schon eher: Warum stehen die Schweizer auch hier abseits?

Wenn von 81 Nationen 25 in den Finals vertreten sind und 15 davon eine Medaille holen, so müsste zwingend auch ein Schweizer dabei sein -- so wie früher Donghua Li oder Dieter Rehm. Als Letzter qualifizierte sich 2001 Christoph Schärer am Reck für einen WM-Final, als erster Schweizer an diesem Gerät seit über 50 Jahren.

Seither war weder bei den EM 2002 in Patras als bei den WM 2002 in Debrecen wie nun auch in Anaheim ein Schweizer im Endkampf dabei. In Debrecen gab es sogar nur einen einzigen Halbfinal-Platz. In Anaheim standen Andreas Schweizer (13. an den Ringen, punktgleich mit dem Achten) und Christoph Schärer (13. am Pauschenpferd) einer Qualifikation am nächsten.

Das muss sich ändern, diese Meinung vertritt auch der Chef Leistungssport Ruedi Hediger. Seine Hoffnungen ruhen auf den Jungen. Noch nie hatten die Schweizer ein so junges Team: Niki Böschenstein ist 18, Mark Ramseier 19, Kevin Bachmann auch erst 21, und der zu Hause gebliene Patrick Dominguez ebenfalls 19.

Das System mit zwölf Regionalzentren (8 Männer/4 Frauen) für den Nachwuchs und einem Verbandszentrum (Magglingen) für die Elite stimmt nach seiner Ansicht: Die Kantonalverbände unterstützen den Leistungssport, der mit rund vier Millionen Franken dotiert ist.

Die Kantonalverbände selber wenden nochmals einen fast ebenso grossen Betrag auf. "Ich hoffe", so Hediger, "dass die Resultate von Anaheim nicht zu einer Überreaktion führen". Am nächsten Montag trifft sich die verantwortliche Kommission, um über Anaheim zu befinden. Und allenfalls die Weichen neu zu stellen: auch personell?

Resultate Gerätefinals 2. Teil. Männer.
Sprung: 1. Li Xiao Peng (China) 9,818. 2. Marian Dragulescu (Rum) 9,687. 3. Kyle Shewfeld (Ka) 9,612. 4. Abel Driggs Santos (Kuba) und Robert Gal (Un) je 9,537. 6. Ioan Suciu (Rum) 9,443. 7. Diego Hypolito (Br) 9,387. 8. Anton Golotsutskow (Russ) 9,15. Barren: 1. Li Xiao Peng (China) 9,825. 2. Huang Xu (China) und Alexej Nemow (Russ) je 9,762. 4. Naoya Tsukahara (Jap) 9,675. 5. Cho Seong Min (Skor) 9,637. 6. Blaine Wilson (USA) 9,625. 7. Eric Lopez Rios (Kuba) 9,575. 8. Mitja Petkovsek (Sln) 9,562.

Reck: 1. Takehiro Kashima (Jap) 9,775. 2. Igor Cassina (It) 9,75. 3. Alexej Nemow (Russ) 9,737. 4. Philippe Rizzo (Au) 9,70. 5. Li Xiao Peng (China) 9,662. 6. Alexander Jeltkow (Ka) 9,187. 7. Iwan Iwankow (WRuss) 8,762. 8. Florent Marie (Fr) 8,60.

Frauen.
Schwebebalken: 1. Fan Ye (China) 9,812. 2. Catalina Ponor (Rum) 9,587. 3. Ludmilla Eschowa (Russ) 9,55. 4. Li Ya (China) 9,45. 5. Elena Gomez (Sp) 8,887. 6. Chellsie Memmel (USA) 8,837. 7. Jirina Krasnynska (Ukr) 8,55. 8. Monette Russo (Au) 8,537.

Boden: 1. Daiane Dos Santos (Br) 9,737. 2. Catalina Ponor (Rum) 9,70. 3. Elena Gomez (Sp) 9,675. 4. Aura Munteanu (Rum) 9,40. 5. Emilie Lepennec (Fr) 9,387. 6. Suzanne Harmes (Ho) 9,287. 7. Anna Pawlowa (Russ) 9,237. 8. Alona Kwascha (Ukr) 7,687.

(Richard Hegglin, Anaheim/Si)