Unser viel zu grosser Fussabdruck

publiziert: Dienstag, 29. Mrz 2016 / 09:01 Uhr

Planungshorizonte, wie sie die Schweiz fürs Klima und die Endlagerung radioaktiver Abfälle festlegt, sind so langfristig, dass sie heute zu wenig bewegen und langfristig die Zielerreichung in Frage stellen. Dabei wären in beiden Fällen fast alle technischen Lösungen vorhanden. Warum sind die Zeitpläne bei der Endlagerung und dem Klimaschutz so wenig ambitiös?

Viele reden vom Klimawandel und spüren ihn selbst hautnah - aber fast niemand nimmt ihn genügend ernst. Ich besitze zwei Häuser, beide sind gut isoliert und relativ neu. Das Haus nahe der Stadt hat Sonnenkollektoren für Warmwasser, das Haus in den Bergen wird fast ausschliesslich mit Stückholz aus dem nahen Wald beheizt. Mein Auto, ein sparsamer Diesel, fährt meistens nur am Wochenende aus; zur Arbeit nehme ich die öffentlichen Verkehrsmittel. Da leiste ich doch schon viel für das Klima, möchte ich denken - doch ich täusche mich selbst gewaltig. Mein ökologischer Fussabdruck entspricht 3.5 (es bräuchte für meinen Lebenswandel nicht eine sondern dreieinhalb Erden), und liegt noch über dem Schweizer Durchschnitt von 3.0. Dazu emittiere ich jährlich etwa 13 Tonnen CO2. 

Langfristige Ziele lähmen

Ich erforsche mit meiner Professur unter anderem die Möglichkeit, aus tiefer Geothermie einen nachhaltigen Beitrag an unseren Strombedarf zu erbringen und unsere radioaktiven Abfälle aus der bisherigen nuklearen Stromproduktion langfristig sicher im geologischen Untergrund der Schweiz zu lagern. Gemäss dem Bundesamt für Energie sollte im Jahr 2050 ein geologisches Tiefenlager für die schwach- und mittelaktiven Abfälle bereit stehen, im Jahr 2060 für hochaktive Abfälle - und meine CO2-Emissionen sollten 2050 noch 3 Tonnen CO2 pro Jahr betragen.

Derart lange Zeiträume für die Endlagerung und diese von Politik und Behörden verfolgten «CO2-Ziele» sind aus technischer Sicht nicht notwendig und aus ökologischer Sicht verheerend. Ich werde - wie viele andere Verursacher dieser Umweltprobleme - im 2050 auch bei einem gesunden Lebenswandel wohl kaum mehr leben. Die regionale Partizipation im Sachplan Geologische Tiefenlager wird innerhalb von 30 bis 40 Jahren ihre heutige Dynamik kaum erhalten und auf die Enkel übertragen können, und auch die Stromerzeuger scheinen schon heute ihre Motivation zu verlieren, radioaktive Abfälle ohne Kostendruck möglichst sicher zu entsorgen.

Sachstand bei der Endlagerung

Gleichzeitig sind aber die wichtigsten geologischen Fragestellungen für eine sichere Lagerung radioaktiver Abfälle bereits gelöst: Geologisch geeignete Gebiete und Wirtsgesteine haben wir im Prinzip in der Schweiz schon gefunden. Ausstehend sind nur noch deren Optimierung und die Diskussion in regionalen Partizipationsverfahren. In einer ähnlichen Situation befinden wir uns  in der Klimaproblematik, da hier schon viele Lösungsansätze vorliegen, um unseren CO2-Ausstoss markant zu reduzieren.

In der Endlagerung der Schweiz harren primär noch zwei bautechnische Aufgaben einer Lösung respektive eines Nachweises der Machbarkeit: Wie können Lagerstollen in grösserer Tiefe in Tonsteinen gebaut und betrieben werden, ohne die geologische Barriere zu zerstören - und wie führen wir die Gase ab, welche durch Korrosion von Stahl und organische Abfallstoffe im Endlager gebildet werden, ohne die strahlenden Radionuklide freizusetzen?

Gotthard-Basistunnel als Benchmark

Ideen zur Lösung dieser bautechnischen Probleme liegen vor; um sie konkretisieren und zu prüfen braucht es noch aufwändige Tests auf verschiedenen Grössenskalen, die sich typischerweise innerhalb von 10 bis 20 Jahren durchführen lassen. Die noch ausstehenden Aufgaben der Endlagerung sind damit durchaus vergleichbar mit der Planung anderer technischer Grossprojekte, etwa des Gotthard-Basistunnels. Hier war der Zeitbedarf deutlich geringer ? man könnte ihn als Benchmark für Planung und Bau geologischer Tiefenlager verwenden: Entscheid zum Bau der neuen Alpentransversale im Jahr 1992, Beginn der Ausbruchsarbeiten am Gotthard 1999, Durchschlag 2010 und Eröffnung 2016.

Warum machen wir nicht vorwärts?

Weshalb denn ist ein solcher Fahrplan bei der Lösung der Schweizer Energie- und Klimaprobleme nicht möglich? Beim Bau des Basistunnels durch die Alpen waren alle Gewinner, sowohl die Bauindustrie, die lokale Bevölkerung, die Politiker, wie die Umwelt. Bei der Klimapolitik verhindern verschiedene Zielkonflikte ein beherztes Vorgehen: Schweizer Grosskonzerne profitieren von der Förderung und dem internationalen Handel mit Erdgas und Erdöl, oder von nationalem und internationalem Güter- und Personentransport auf dem Europäischen Strassennetz. Die Zielkonflikte bei der Lagerung radioaktiver Abfälle sind hauptsächlich politischer Natur, da sich in der Schweiz keine geologisch geeigneten Regionen finden, welche sich über den Bau eines Tiefenlagers freuen. 

Ich denke, unsere Umweltmassnahmen sind primär deshalb so zögerlich, weil die Grosskonzerne die Politik in der Schweiz und in anderen Ländern massiv beeinflussen, sich die Politiker ungerne mit der Bevölkerung auf Konfrontationen einlassen, und weil die Umwelt nur über eine schwache Lobby verfügt. Nur mittels «konsensfähiger» Aktionen lässt sich der CO2-Ausstoss der Schweiz nicht genügend verringern, und während die radioaktiven Abfälle auch noch Jahrzehnte auf ihre geologische Entsorgung warten könnten, erträgt dies unser Klima leider nicht mehr. Zudem machen langfristige Umweltziele viele Bürgerinnen und Bürger träge. Und so beruhigen sie ihr Gewissen - wie auch ich meines - mit ungenügenden Ablasshandlungen.

(Simon Löw/ETH-Zukunftsblog)

.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 22
Mit Biogas betriebene Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen (WKK) können fluktuierenden Solarstrom kompensieren und Gebäude beheizen.
Mit Biogas betriebene ...
Eine zentrale Herausforderung der Energiewende ist es, die schwankende Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen auszugleichen. Eine Machbarkeitsstudie zeigt nun für drei Schweizer Kantone auf, wie ein Verbund von Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen kurzfristige Engpässe überbrücken und Gebäude mit Strom und Wärme versorgen kann. mehr lesen 
Vor rund hundert Jahren begann die Industrialisierung der Landwirtschaft - heute erleben wir den Beginn ihrer Digitalisierung. Damit die Big-Data-Welle den Bauer ... mehr lesen  
Vor rund hundert Jahren begann die Industrialisierung der Landwirtschaft - heute erleben wir den Beginn ihrer Digitalisierung.
Wie werden Wasserkraftwerke wieder rentabel?
Die Schweizer Wasserkraft darbt. Die Ursache dafür sind letztlich Verzerrungen im europäischen Strommarkt. Nun diskutiert die Politik Subventionen für die Grosswasserkraft. Allfällige Rettungsaktionen sollten ... mehr lesen  
Climate change has been communicated as a global concern affecting all of mankind; but this message doesn't seem to be getting through. If ... mehr lesen  
Climate change has been communicated as a global concern affecting all of mankind; but this message doesn't seem to be getting through.

Fakten und Meinungen zu Nachhaltigkeit

Der Zukunftsblog der ETH Zürich nimmt aktuelle Themen der Nachhaltigkeit auf. Er bietet eine Informations- und Meinungsplattform, auf der sich Expertinnen und Experten der ETH zu den Themenschwerpunkten Klimawandel, Energie, Zukunftsstädte, Welternährung und Natürliche Ressourcen äussern. Prominente Gäste aus Forschung, Politik und Gesellschaft tragen mit eigenen Beiträgen zur Diskussion bei.

Lesen Sie weitere Beiträge und diskutieren Sie mit auf: www.ethz.ch/zukunftsblog

Viele Start-ups in der Schweiz haben sich dem Umweltschutz verschrieben.
Green Investment Start-ups für die Nachhaltigkeit aus der Schweiz Kaum ein anderes Land in Europa ist beim ...
 
Stellenmarkt.ch
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Mi Do
Zürich 4°C 17°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Basel 6°C 18°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wolkig, aber kaum Regen
St. Gallen 2°C 14°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Bern 4°C 17°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Luzern 4°C 17°C sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt, Regen
Genf 6°C 17°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wolkig, aber kaum Regen
Lugano 7°C 18°C sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt freundlich
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten