Wiedergutmachung

Verdingkinder sollen rund 25'000 Franken erhalten

publiziert: Mittwoch, 27. Apr 2016 / 09:18 Uhr
Zehntausende von Kindern und Jugendlichen wurden an Bauernhöfe verdingt oder in Heimen platziert.
Zehntausende von Kindern und Jugendlichen wurden an Bauernhöfe verdingt oder in Heimen platziert.

Bern - Ehemalige Verdingkinder und andere Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen sollen 20'000 bis 25'000 Franken erhalten. Der Nationalrat hat dem indirekten Gegenvorschlag zur Wiedergutmachungsinitiative am Mittwoch deutlich zugestimmt.

2 Meldungen im Zusammenhang
Nach einer emotionalen Debatte hat sich der Nationalrat mit 143 zu 26 Stimmen bei 13 Enthaltungen für ein Gesetz ausgesprochen, das die Zahlungen ermöglicht. Ja sagte er auch zum Bundesbeschluss über die Finanzierung. Die Volksinitiative lehnte der Rat stillschweigend ab.

Nun muss noch der Ständerat entscheiden. Die Initianten haben in Aussicht gestellt, das Volksbegehren zurückzuziehen, sollte der Gegenvorschlag von beiden Räten angenommen werden. Mit dem Gesetz könnte den betroffenen Menschen schneller geholfen werden als mit der Initiative, hiess es im Nationalrat. Das sei angesichts des Alters vieler Opfer wichtig.

Insgesamt 300 Millionen Franken

Die Wiedergutmachungsinitiative verlangt Zahlungen im Umfang von 500 Millionen Franken. Die Höhe der Wiedergutmachung soll sich nach dem erlittenen Unrecht richten. Mit dem Gegenvorschlag stünden 300 Millionen Franken zur Verfügung, und alle Opfer würden den gleichen Betrag erhalten - wie viel genau, hängt von der Anzahl der bewilligten Gesuche ab.

Den tieferen Gesamtbetrag begründet der Bundesrat damit, dass er von einer tieferen Opferzahl ausgeht als die Initianten. Der Bund schätzt die Zahl der noch lebenden Anspruchsberechtigten auf 12'000 bis 15'000. Damit würde jedes Opfer 20'000 bis 25'000 Franken erhalten. Der Nationalrat will die Leistung auf 25'000 Franken begrenzen.

Folgen mildern

Justizministerin Simonetta Sommaruga stellte am Ende der Beratungen fest, das Thema verdiene die volle Aufmerksamkeit. "Wir dürfen nicht aufhören, uns zu vergegenwärtigen, was Jahrzehnte lang in unserem Land möglich war", sagte sie. Die Geschichte der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen sei eine Geschichte der Armut, der Ausgrenzung und Diskriminierung.

"Die Geschichte können wir nicht korrigieren", sagte Sommaruga. Es gehe auch nicht darum, die damaligen Geschehnisse aus heutiger Sicht zu verurteilen. Aber der Staat könne der besonderen Situation der Opfer Rechnung tragen. Er könne das erlittene Unrecht anerkennen und die heute noch spürbaren Folgen mildern.

Kartoffelschalen gegessen

Fürsorgerische Zwangsmassnahmen waren in der Schweiz bis 1981 angeordnet worden. Zehntausende von Kindern und Jugendlichen wurden an Bauernhöfe verdingt oder in Heimen platziert, viele wurden misshandelt oder missbraucht. Menschen wurden zwangssterilisiert, für Medikamentenversuche eingesetzt oder ohne Gerichtsurteil weggesperrt.

Die Rednerinnen und Redner im Nationalrat zeigten sich erschüttert. Manche berichteten von Begegnungen mit Opfern, andere von betroffenen Familienangehörigen - Beat Flach (GLP/AG) etwa von seiner Grossmutter, die als Verdingkind bei den Schweinen schlafen musste und Kartoffelschalen zu essen bekam, Matthias Aebischer (SP/BE) von seinem Grossvater, der fast täglich geschlagen wurde.

Schockierende Berichte

Die Erfahrungsberichte seien schockierend, stellte Roberto Schmidt (CVP/VS) im Namen der Kommission fest. Das helfe den Betroffenen aber nicht. Das psychische und physische Leid habe ihr Leben geprägt. "Wir müssen und wollen das grosse Unrecht, das diese Menschen erlitten haben, anerkennen und wenigstens teilweise wieder gutmachen."

Gegen finanzielle Leistungen für die Opfer stellten sich ein Teil der SVP-Fraktion. Zahlungen wären nur gerechtfertigt, wenn die staatlichen Handlungen dem damaligen Recht widersprochen hätten, argumentierten die Gegner. Allerdings wären die Taten in diesem Fall verjährt.

Nicht über Vorfahren urteilen

"Wir dürfen nicht einfach Geld verteilen, weil uns gerade der Sinn danach steht oder weil mit Filmen, Büchern und durch Medien ein öffentlicher Druck aufgebaut wurde", sagte Claudio Zanetti (SVP/ZH). Hans-Ueli Vogt (SVP/ZH) warnte davor, den Stab über die Vorfahren zu brechen. "Dereinst werden Menschen, für das, was wir heute tun und lassen, Wiedergutmachung verlangen."

Die Befürworter widersprachen: Es gehe nicht um Handlungen, die früher akzeptiert gewesen seien und heute als unangemessen gälten, sagte Karl Vogler (CVP/OW). Zu einem grossen Teil gehe es um strafrechtlich relevante Taten wie sexuellen Missbrauch.

Im Lauf der letzten Jahre hatte es erste Schritte zur Rehabilitierung der Opfer gegeben. Auch wurde ein Soforthilfefonds eingerichtet für jene, die sich in einer Notlage befinden. 950 Opfer erhielten Geld, durchschnittlich 7300 Franken pro Person. Ferner leiteten die Behörden eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen ein.

(cam/sda)

Lesen Sie hier mehr zum Thema
Durch eine Akteneinsicht erfuhr die Thurgauerin von einem Sparbuch, welches ihr leiblicher Vater für sie anlegte.
Frauenfeld TG - Der Kanton Thurgau zahlt einem ehemaligen Verdingkind 18'000 Franken Entschädigung für ein vor über 60 Jahren verschwundenes Sparheft. Der Verein Netzwerk ... mehr lesen
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 22
Der Jugendliche sammelt durch das Fahren mit dem eigenen Mofa frühzeitig viele Erfahrungen im Strassenverkehr.
Der Jugendliche sammelt durch das Fahren mit dem ...
Publinews Jugendliche schätzen Aktivität und Mobilität. Statt ständig auf Eltern oder öffentliche Verkehrsmittel angewiesen zu sein, lohnt es sich, über den Besitz eines eigenen Mofas nachzudenken. Schliesslich bietet es mehr Flexibilität und Unabhängigkeit. mehr lesen  
Musikstreaming-Apps im App Store  Brüssel hat Apple mit einer Geldstrafe in Höhe von 1,8 Milliarden Euro belegt. Laut einer Untersuchung der EU-Kommission hat das US-Unternehmen seine dominante Stellung durch bestimmte ... mehr lesen
Apple hatte Musikstreaming-Konkurrenten im App Store benachteiligt.
Um den Anforderungen der Wirtschaft Genüge zu tun  Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) hat im Jahr 2023 insgesamt 50 neue oder überarbeitete Berufe genehmigt und eingeführt: 23 in der grundlegenden beruflichen Ausbildung und 27 in der höheren beruflichen Bildung. mehr lesen  
Der Weg für Peppr war mit Hindernissen gepflastert.
Publinews In der sich ständig weiterentwickelnden Welt der Technik gewinnen Anwendungen oft ... mehr lesen  
Titel Forum Teaser
 
Stellenmarkt.ch
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Fr Sa
Zürich 2°C 11°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt freundlich
Basel 3°C 12°C wechselnd bewölktleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen wechselnd bewölkt
St. Gallen 1°C 8°C Schneeregenschauerleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich freundlich
Bern 2°C 11°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt wechselnd bewölkt
Luzern 2°C 11°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt freundlich
Genf 2°C 14°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen wechselnd bewölkt
Lugano 6°C 15°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig trüb und nass trüb und nass
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten