Versauerung der Weltmeere – das andere CO₂-Problem

publiziert: Montag, 14. Jun 2010 / 10:00 Uhr / aktualisiert: Montag, 14. Jun 2010 / 20:31 Uhr

Vor 20 Jahren musste ich zu einer mündlichen Prüfung bei Prof. Werner Stumm antreten. Der Professor, eine weltweite Autorität der Aquatischen Chemie, stellte mir schon fast vorhersehend die Frage, was denn die Auswirkung einer Verdopplung der atmosphärischen CO₂-Konzentration auf den pH-Wert des Ozeans sei.

Nicolas Gruber ist Professor für Umweltphysik an der ETH Zürich und beschäftigt sich schon seit über 20 Jahren mit dem Kohlenstoffkreislauf und dem Klima.
Nicolas Gruber ist Professor für Umweltphysik an der ETH Zürich und beschäftigt sich schon seit über 20 Jahren mit dem Kohlenstoffkreislauf und dem Klima.
1 Meldung im Zusammenhang
Weiterführende Links zur Meldung:

EPOCA - European Project on Ocean Acidification
The EU-Project EPOCA was launched in June 2008 for 4 years. The overall goal is to advance our understanding of the biological, ecological, biogeochemical, and societal implications of ocean acidification.
epoca-project.eu

Da ich mich schon als Student für die CO₂-Chemie interessierte, war ich froh, den Ball so schön zugespielt zu bekommen. Ich konnte dem Professor die Antwort darlegen und begründen: Eine Verdoppelung der CO₂-Konzentration in der Atmosphäre führt zu einer Absenkung des pH-Wertes im Ozean um ca 0.2 bis 0.3 pH-Einheiten. Der Grund dafür ist, dass CO₂ mit Wasser reagiert und dabei Kohlensäure bildet. Diese agiert - wie der Name schon sagt - im Wasser als Säure und gibt dabei Protonen (H+) ans Wasser ab.

Noch ahnungslose Wissenschafter

Da der Ozean im Schnitt leicht basisch ist (ungefähr pH 8), machte sich damals niemand Sorgen darüber, ob diese Ansäuerung eine Auswirkung auf marine Ökosysteme haben könnte. Wir waren alle sehr froh zu wissen, dass der Ozean gewaltige Mengen von CO₂ aus der Atmosphäre aufnehmen kann und somit wesentlich dazu beiträgt, dass die atmosphärische CO₂-Konzentration weniger stark ansteigt als erwartet aufgrund der Emissionen (siehe dazu meinen Blogbeitrag «Die halbe Miete»).

Leider hatten wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Wir ahnten damals nicht, dass das Thema «Versauerung der Weltmeere» in den folgenden zwei Jahrzehnten zu einem zentralen Gegenstand der Forschung werden würde.

Was ist geschehen? Es sind zwei entscheidende Erkenntnisse, die zu einer völlig veränderten Einschätzung eines schon Jahrzehnte lang bekannten Effektes geführt haben:

1) Von Kalk-Übersättigung zu Kalk-Untersättigung

Die Aufnahme von CO₂ aus der Atmosphäre führt zu chemischen Veränderungen in den Weltmeeren. Diese Veränderungen, die regional sehr unterschiedlich sind, führen dazu, dass der Kalk-Sättigungsgrad des Wassers abnimmt. Da das oberflächennahe Wasser im Schnitt aber sowieso mit Kalk übersättigt ist, war man lange davon überzeugt, dass eine kleine Abnahme dieser Übersättigung keinen Einfluss habe auf jene Organismen, die Kalkschalen bilden (Korallen, Muscheln, einige freischwebende, d.h. planktonische Algen).

Was man aber übersehen hat, ist, dass es Gebiete gibt, wo die Übersättigung heute schon klein ist, und es so schon innerhalb der nächsten Jahrzehnte zu einer Untersättigung gegenüber Kalk kommen kann. Zum Beispiel im Südpolarmeer, in der Arktis oder an den Westküsten vieler Kontinente. Bei einer Untersättigung wird Kalk aufgelöst, was kaum von Vorteil für Kalkschalen-bildende Organismen sein wird.

2) Organismen reagieren sensitiv

Auch in Fällen, wo keine Untersättigung erreicht wird, reagieren viele Organismen sehr sensitiv auf diese doch relativ kleinen chemischen Veränderungen. Erst vor circa 15 Jahren hat man damit begonnen, Experimente mit Korallen und planktonischen Algen durchzuführen, um den Einfluss der Ansäuerung auf deren Wachstum oder Fitness zu untersuchen. Und siehe da, viele Organismen zeigten substantielle Veränderungen.

Bei den genaueren Untersuchungen stellte sich heraus, dass viele Organismen nicht nur negativ auf die pH-Absenkung reagieren, sondern auch auf die erhöhte Konzentration der gelösten Kohlensäure und die Abnahme des Sättigungsgrades gegenüber Kalk. Man hat aber auch einige Organismen gefunden, die positiv auf diese Veränderungen reagieren. Viele Experimente später ist die Situation also alles andere als geklärt.

Gewinner und Verlierer

Wenig Zweifel gibt es inzwischen darüber, dass Korallen und einige Muscheln unter der Ansäuerung leiden werden. In Bezug auf die anderen Organismen kann man heute nur mit Sicherheit sagen, dass die zunehmende Versauerung der Weltmeere zu einer Veränderung der Ökosysteme führen wird - mit Gewinnern und Verlierern.

Ob die Menschheit dann ebenfalls zu den Gewinnern dieses Wandels in den marinen Ökosystemen gehört, wissen wir noch nicht - ich würde es doch stark bezweifeln. Im Sinne einer vorausschauenden Sicht ist es also doch sehr ratsam, den Grund dieser Versauerung an der Wurzel zu packen - also den Anstieg von CO₂ in der Atmosphäre so gering wie möglich zu halten. Damit hätten wir zwei Probleme auf einmal gelöst: weniger Klimaerwärmung und weniger Versauerung.

Literatur

Hauri, C., Gruber, N., Plattner, G.-K., Alin, S., Feely, R.A., Hales, B., and Wheeler, P.A. (2009). Ocean acidification in the California current system, Oceanography, 22 (4), 61-71, December 2009.

(Nicolas Gruber/ETH-Zukunftsblog)

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