«Von China lernen» - tatsächlich?

publiziert: Dienstag, 9. Aug 2011 / 08:45 Uhr / aktualisiert: Dienstag, 9. Aug 2011 / 10:03 Uhr
Die Schulden der USA bei China sind noch 15% grösser...
Die Schulden der USA bei China sind noch 15% grösser...

Schon nur die Erwähnung der amerikanischen Schuldenkrise treibt den Pekinger Genossen den Angstschweiss auf die Stirn. China ist mit 1,152 Billionen Dollar US-Schatzpapieren der grösste Kreditgeber der USA. Gefolgt - im asiatischen Zusammenhang nicht ganz unwesentlich - von Japan mit rund einer Billion.

7 Meldungen im Zusammenhang
Eine wahrscheinlich neue Schuldenaufnahme, so unisono chinesische Volkswirte, wird den Wert des Dollars noch weiter drücken, Rohstoffe für China teurer machen, die Inflation weltweit anheizen und die chinesischen Devisenreserven von unterdessen 3,2 Billionen Dollar entwerten. Damit nicht genug. Falls die USA in eine tiefe Rezession fallen würden, wären chinesische Exporte in grossem Umfang betroffen. Vorläufig und noch auf Jahre hinaus sind mithin, die USA und die Volksrepublik China - die beiden grössten Volkswirtschaften - gegenseitig voneinander abhängig wie siamesische Zwillinge.

Was in den USA in den vergangenen Wochen vor allem auf politischem Parkett geboten worden ist, lässt in Pekings «Neuer Verbotener Stadt» Zhongnanhai - der Parteizentrale - sämtliche Alarmglocken schrill klingeln. Immer wieder fordert Chinas Aussenminister Yang Jiechi Washington auf, «verantwortungsvoll» mit der Krise umzugehen, vor allem in der Währungs- und Fiskalpolitik. Kurz, die USA müssten die Dollar-Investitionen Chinas und anderer Länder wirksam schützen. Zhou Xiaochuan, der Gouverneur der Volksbank - der Zentralbank Chinas - mahnt ebenfalls seit Wochen die USA, das Schuldenproblem «entschieden» anzugehen und fordert «konkrete Massnahmen». Ansonsten, so Zhou, sei das «globale Währungs- und Finanzsystem und mithin auch die Realwirtschaft in Gefahr». Dass die USA mit ihrem Schuldenberg klar komme, sei «im wohlverstandenen Eigeninteresse der USA und im Interesse der ganzen Welt».

Die chinesischen Medien sind nicht weniger deutlich als die roten Mandarine. «Das kurzfristige politische Gezerre» in Washington wird angeprangert und dem «überlegenen» chinesischen Polit-System gegenübergestellt. Chinesische Kommentatoren schreiben auch vom «Kindertheater in Washington». Die amtliche Nachrichten-Agentur Xinhua - hochoffizielles Sprachrohr nach Aussen - schreibt in einem Kommentar: «Um ihre Schuldensucht zu kurieren, müssen die USA dem gesunden Menschenverstand nachleben und entsprechend ihren Verhältnissen leben». China habe das Recht, von den USA zu verlangen, das «strukturelle Schuldenproblem zügig zu bewältigen», denn die Dollar-Anlagen Chinas und anderer Länder stünden auf dem Spiel. Peking hat nämlich nicht nur ein Drittel seiner Reserven in amerikanischen Schuldpapieren der Supermacht angelegt, vielmehr hat sich das Reich der Mitte via verschiedene andere Investitionsinstrumente noch sehr viel stärker in Dollars engagiert.

Den Laobaixing - den Durchschnittschinesen - kümmert das wenig, wenngleich die Medien das Thema mit steigender Panik täglich thematisieren. «Wir hoffen», lässt sich der Sprecher des Aussenministeriums Hong Lei gerne zitieren, «dass die USA eine verantwortliche Politik und Massnahmen ergreifen, um die Interessen der Investoren zu garantieren».

Für Rentner Wen Jianbin ist all das, was in den Medien publiziert wird, zu abstrakt. Was ihn interessiert, sind die Lebensmittelpreise, vor allem das teuer gewordene Schweinefleisch, pièce de résistance der chinesischen Küche. Die KP-Führung versucht derzeit, der mittlerweile auf 6,4% hochgeschnellten Inflation Einhalt zu gebieten,die hohe Verschuldung der Provinzen und Städte in den Griff zu bekommen, die Immobilienblase zu verhindern, die faulen Kredite der grossen, an ausländischen Börsen kotierten Staatsbanken in einem separaten Finanzvehikel zu parkieren und die überhitzte Wirtschaft «sanft zu landen».

Seit dem vergangenen Oktober hat die Notenbank bereits fünfmal an der Zinsschraube gedreht. Zudem wurden seit Anfang Jahr die Banken sechsmal dazu verdonnert, höhere Rückstellungen gegen Kreditausfälle zu bilden. Premier Wen Jiabao, der chinesische Wirtschaftszar, bringt es für chinesische Verhältnisse ziemlich krass folgendermassen auf den Punkt: «Die Wirtschaft ist nicht ausgeglichen, nicht koordiniert, nicht stabil». Das sei letztlich auch mittelfristig unhaltbar. Auch wenn die zweitrösste Volkswirtschaft der Welt noch immer mit über neun Prozentpunkten wächst, ist höchste Gefahr im Anzug.

Weil auch China strukturelle Unebenheiten der Wirtschaft reformieren muss, kommt die jetzige Krise zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Für die Lokomotive der Weltwirtschaft sind zudem die nach unten korrigierten Konjunkturaussichten von Amerika und Europa - die grössten Abnehmer von «Made in China»-Produkten - düstere Vorzeichen. Kurzfristige Priorität hat die Bekämpfung der Inflation. Mittel- und langfristig jedoch steht ein «nachhaltiges Wachstums-Modell» zuoberst auf der Traktandenliste. Damit soll - im Parteijargon - «Chaos verhindert und soziale Stabilität hergestellt werden», ganz im Sinne der gültigen Parteilinie einer «harmonischen Gesellschaft». Die Kluft zwischen Reich und Arm, Stadt und Land soll einigermassen eingeebnet und die Armut definitiv besiegt werden. Mit andern Worten: das seit über dreissig Jahren erfolgreich angewendete Export-Modell soll durch eine auf Konsum und Innovation konzentrierte Volkswirtschaft abgelöst werden. Eine harte Landung - noch immer möglich - würde dieses Ziel wenn nicht verhindern, so doch für die KP-Führung und das Volk weit hinausschieben.

Unterdessen erteilt Peking dem Ausland, vor allem den «vor der Pleite stehenden» Amerikanern, volkswirtschaftliche Lektionen. Die «Global Times», ein Ableger des Parteiorgans Renim Ribao (Volkszeitung) schwadroniert von einem «nachhaltigen wirtschaftlichen Niedergang» Amerikas und tönt wie in uralt revolutionären Zeiten: «von China lernen».

Jung-Unternehmer Fan Weilan, studierter Betriebswirt, nimmt alles etwas lockerer. Erst 28 Jahre alt betreibt er ein vor vier Jahren gegründetes IT-Softwareunternehmen mit mittlerweile 17 Angestellten im Pekinger Haidian-Distrikt, dem Silicon Valley Chinas. Ultraliberal und inzwischen Mitglied der Kommunistischen Partei findet er das «Zocken mit Gratisgeld» in Amerika auch nicht das Gelbe vom Ei. Allerdings bleibt er bei der ganzen Schuldenkrise optimistisch, weil er sich einfach nicht vorstellen kann, dass im bewunderten Amerika Politiker und Oekonomen ihre «politischen Hausaufgaben und das finanzielle Einmaleins» nicht intus haben.

Die vor über hundert Jahren gegründete amerikanische Rating-Agentur Standard & Poors hat zum ersten Mal die Bonität der USA von AAA auf AA+ heruntergestuft . Die amerikanische Agentur Moody's Investors Services und die europäische Agentur Fitch Ratings drohen erst und werden sehr wahrscheinlich bald ebenfalls AA verteilen. Die chinesische Rating-Agentur Dagong Global Credit Rating Peking ist da schon mehrere Schritte weiter. Die USA bekommen gerade mal noch die Note A+, und das mit «negativer Prognose». Dagong-Chef Guan Jianzong trocken: «Unserer Meinung nach sind die USA bereits zahlungsunfähig».

(et/news.ch)

Machen Sie auch mit! Diese news.ch - Meldung wurde von einer Leserin oder einem Leser kommentiert.
Lesen Sie hier mehr zum Thema
Achtens Asien Chinas Wirtschaftswachstum sinkt ... mehr lesen
Grossbaustelle in China: Unsummen durch Provinzregierungen in «weisse Infrastruktur-Elefanten» versenkt.
Chinesische Rentner: In zehn Jahren von 200 auf 300 Millionen; ein schnell wachsendes Problem.
Achtens Asien China altert schnell. Der Westen alterte auch, jedoch weniger schnell. Die Renten sind heute überall in Gefahr. Die Anhebung des ... mehr lesen
Hong Kong/Lubumbashi/Berlin - Der ... mehr lesen
Afrika rückt immer mehr in den Blickpunkt ausländischer Investoren. Bild: Kupfermine.
Weitere Artikel im Zusammenhang
Doha - Die weltweite Verunsicherung ... mehr lesen
Den arabischen Börsen geht es schlecht. (Symbolbild)
Der (Schein-) Erfolg Chinas . . .
. . . definiert sich über den Preis. Dieser wird erzielt mit unmenschlichen Arbeitsbedingungen und durch die gnadenlose Ausbeutung der Umwelt. Dadurch, dass wir von den Chinesen nicht die gleichen Produktionsbedingungen abverlangen, ruinieren wir uns selber. Leidtragende sind nebst der Umwelt auch alle unsere westlichen Volkswirtschaften, die versuchen den Mensch nicht als Sklaven zu sehen sondern als intelligentes menschliches Wesen mit einem Recht darauf, sich in seinem Leben zu verwirklichen. Werte, die es einer Gesellschaft erst erlauben, sich nachhaltig gesund zu entwickeln
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 22
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der ...
Mit seinem Besuch in Vietnam hat US-Präsident Obama seine seit acht Jahren verfolgte Asienpolitik abgerundet. Die einstigen Todfeinde USA und Vietnam sind, wenn auch noch nicht Freunde, so doch nun Partner. China verfolgt die Entwicklung mit Misstrauen. mehr lesen 
Zum 50. Mal jährt sich im Mai der Beginn der chinesischen «Grossen Proletarischen Kulturrevolution». Das Chaos dauerte zehn Jahre. Mit tragischen Folgen. mehr lesen  
Mao-Büsten aus der Zeit der Kulturrevolution: «Sonne des Ostens» und Halbgott.
Kein Psychopath, sondern ein der Realität verpflichteter Diktator: Kim Jong-un.
Kim Jong-un ist ein Meister der Propaganda und (Selbst)Inszenierung. Nach vier Jahren an der Macht liess er sich nun am VII. Kongress der Koreanischen Arbeiterpartei zum Vorsitzenden krönen. mehr lesen  
Pekinger Pfannkuchen oder Crêpes Pékinoises sind nur schwache Umschreibungen für das ultimative Pekinger Frühstück Jianbing. Wörtlich übersetzt heisst Jianbing ganz banal gebratener Pfannkuchen. Aber oho, Jianbing schmeckt ... mehr lesen
Das Ehepaar Wang in Aktion.
Typisch Schweiz Der Bernina Express Natürlich gibt es schnellere Bahnverbindungen in den Süden, aber wohl ...
Highlight der Kollektion: Eine Gibson Les Paul von 1959, die 300.000 bis 500.000 Pfund einbringen soll.
Shopping Mark Knopfler verkauft seine Gitarrensammlung Die Gitarrensammlung vom Dire Straits-Gitarristen Mark Knopfler wird am 31.01.2024 bei Christie's versteigert.
Erstaunliche Pfingstrose.
Jürg Zentner gegen den Rest der Welt.
Jürg Zentner
Frauenrechtlerin Ada Wright in London, 1910: Alles könnte anders sein, aber nichts ändert sich.
Regula Stämpfli seziert jeden Mittwoch das politische und gesell- schaftliche Geschehen.
Regula Stämpfli
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
Patrik Etschmayers exklusive Kolumne mit bissiger Note.
Patrik Etschmayers
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Peter Achten zu aktuellen Geschehnissen in China und Ostasien.
Peter Achten
Recep Tayyp Erdogan: Liefert Anstoss, Strafgesetzbücher zu entschlacken.
Skeptischer Blick auf organisierte und nicht organisierte Mythen.
Freidenker
 
Stellenmarkt.ch
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Fr Sa
Zürich 0°C 12°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt wolkig, aber kaum Regen
Basel 5°C 14°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen wolkig, aber kaum Regen
St. Gallen 1°C 9°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt
Bern 0°C 11°C starker Schneeregenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wolkig, aber kaum Regen
Luzern 1°C 12°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt wolkig, aber kaum Regen
Genf 5°C 13°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt wolkig, aber kaum Regen
Lugano 6°C 10°C wechselnd bewölkt, Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig anhaltender Regen anhaltender Regen
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten