Wahlkampf auf Französisch

publiziert: Montag, 20. Mrz 2006 / 10:20 Uhr / aktualisiert: Montag, 20. Mrz 2006 / 11:38 Uhr

19 Meldungen im Zusammenhang
Momentan geht in Frankreich mal wieder böse was ab. Studenten randalieren, Gewerkschaften rufen zum Streik auf, Regierende empören sich über den Druck der Strasse und alle geben sich gegenseitig die Schuld.

Worum es geht? Im verknöcherten französischen Arbeitsrecht ist es sehr schwer, einem Angestellten mit einem unbefristeten Vertrag die Stelle zu kündigen. Wer einmal eine solche Stelle hat, der hat sie auf ziemlich sicher und für sehr lang.

Nun ist das ja für die Arbeitnehmer ganz schön. Aber Arbeitgeber wollen nicht unbedingt mit einem Angestellten auf Dauer gesegnet sein, der nicht mehr produktiv ist oder den sie schlichtweg nicht brauchen können. Dies sind unter anderem die Gründe, warum viele Firmen sich mit neuen Festanstellungen zurückhalten und deshalb vielfach auf befristete Verträge ausweichen: Die Hälfte der französischen Arbeitsverträge sind zeitlich begrenzt.

Bei Kleinfirmen bis 20 Personen ist seit August 2005 nun ein der Neueinstellungsvertrag (CNE) in Kraft, der eine Kündigung ohne spezielle Gründe während der ersten zwei Jahre erlaubt. Premierminister de Villepin behauptet, dass dieser von ihm initiierte Vertrag ein Erfolg ist, seien doch seit der Einführung bereits 280'000 von ihnen unterzeichnet worden. Der eigentliche Erfolg wird sich aber erst in knapp 2 Jahren zeigen, wenn aus die kündbaren Verträgen zu praktisch unkündbaren gewandelt werden.

Doch das ficht de Villepin nicht an. Praktisch per Dekret erliess er nun den neuen Ersteinstellungsvertrag (CPE). Dieser hat das Ziel, den Kündigungsschutz von Arbeitnehmern bis 26 Jahren, die zum ersten mal eine Stelle antreten, wie beim CNE zu lockern, dies aber bei allen Firmengrössen.

Nun hätte dieser Vertrag bei Weitem nicht nur Nachteile. Vielfach haben junge Arbeitnehmer in Frankreich gar keine Chance auf einen normalen Einstieg in das Berufsleben. Lausig – wenn überhaupt – bezahlte Praktika ohne irgendwelche Ansprüche auf Sozialleistungen oder befristete, schlecht bezahlte Stellen sind die Regel. Hier will de Villepin im Zusammenhang mit dem CPE auch etwas ändern und eigentlich wäre das ganze Paket objektiv betrachtet gar nicht so übel.

Doch an der Sache und an den Problemen ist scheinbar niemand mehr interessiert. De Villepin hat das neue Gesetz praktisch im Alleingang formuliert und durchgesetzt. Er ignorierte sowohl mögliche Gegner als auch Befürworter, scheinbar mit dem Ziel eine glanzvolle 'de Villepin-Reform' zu installieren. Quasi als Steilvorlage zu einer möglichen Präsidentschaftskandidatur seiner im nächsten Jahr.

Die Gewerkschaften hingegen sehen im Kippen des CPE eine Chance, die Linke im Hinblick auf die nächstjährigen Parlaments- und Präsidialwahlen in die Offensive zu bringen.

Für beide Seiten scheint diese Reform ein Dreh- und Angelpunkt im Hinblick auf das nächste Jahr zu sein. Setzt sich der Premierminister durch, demonstriert er eindrücklich, dass er – obwohl er die Volksnähe eines Barock-Königs ausstrahlt – einiges Bewegen und womöglich das verkrustete Frankreich reformieren kann.

Siegen hingegen die Gewerkschaften, wird das für sie das Zeichen sein, dass das Pendel nach links zurück schwingt. Um dieses Ziel zu erreichen wird sogar ein Generalstreiktag in Betracht gezogen.

Momentan ist es noch völlig offen, wie die Sache ausgeht und ob am Schluss womöglich auch noch Jacques Chirac mit einem Präsidialen Machtwort eingreifen wird. Nur eines steht jetzt schon fest: Frankreich scheint nicht mehr in der Lage zu sein, Reformen vernünftig und einer Republik seiner Statur würdig durch zu ziehen. Stattdessen wurde ein unwürdiger Vorwahlkampf eröffnet, der dem Land nur schaden kann.

(von Patrik Etschmayer/news.ch mit Agenturen)

Lesen Sie hier mehr zum Thema
Paris - Bei den schweren Krawallen ... mehr lesen
Allein in Paris gab es rund 380 Festnahmen.
Allein in der Hauptstadt Paris zählten die Gewerkschaften 700 000 Teilnehmende.
Paris - Am fünften Protesttag gegen ... mehr lesen
Paris - Der französische Verfassungsrat hat die umstrittene Arbeitsrechtsreform CPE ... mehr lesen
Chirac kann nun das Gesetz verkünden oder ans Parlament zurückgeben.
Rien ne va plus am Gare de Lyon.
Paris - Im Konflikt um den ... mehr lesen
Paris - Im französischen Reformstreit ... mehr lesen
Chirac werde in den kommenden Tagen Stellung nehmen, hiess es.
Weitere Artikel im Zusammenhang
Am Dienstag waren je nach Zählung landesweit eine bis drei Millionen Menschen auf die Strasse gegangen.
Paris - Am Tag nach den Streiks ... mehr lesen
Paris - Am Rande der Proteste ... mehr lesen
Demonstranten versuchten, das öffentliche Leben lahmzulegen, Polizei räumt Gleise.
Die Demonstranten beharren darauf, dass der  Erstanstellungsvertrag CPE zurückgezogen wird.
Paris - Mehr als drei Millionen Menschen haben sich nach Gewerkschaftsangaben an landesweiten Protestaktionen gegen die Reform des Kündigungsschutzes beteiligt. mehr lesen
Bern - Die landesweiten Streiks in Frankreich haben den Bahn- und Flugverkehr ... mehr lesen
Der Bahnverkehr war von den Streiks stark betroffen.
Jeder dritte TGV und 60 Prozent der Regionalzüge fuhren nach SNCF-Angaben nicht.
Paris - Mit Streiks und Demonstrationen hat in Frankreich der vierte landesweite Aktionstag gegen die umstrittene Arbeitsrechtsreform von Premierminister Dominique de Villepin begonnen. mehr lesen
Paris - Tag der Entscheidung in ... mehr lesen
Premierminister de Villepin kämpft um sein politisches Überleben.
Die TGV-Züge in die Schweiz werden weiterhin fahren.
Bern - Dem nationalen Protesttag ... mehr lesen
Paris - Nach wochenlangen Protesten ... mehr lesen
Villepin wird nun auch von seiner Partei kritisiert.
Dominique de Villepin findet das Gespräch mit den Demonstranten nicht.
Paris - Im Konflikt um den Erstanstellungsvertrag für Berufseinsteiger (CPE) haben sich die Fronten weiter verhärtet. mehr lesen
Paris - Premierminister Dominique de ... mehr lesen
Dominique de Villepin werde sich mit Studenten und Schülern zu einem Meinungsaustausch treffen.
In ganz Paris standen Autos und Geschäfte in Flammen. (Archivbild)
Paris - Bei den anhaltenden ... mehr lesen
Paris - In den Streit um die ... mehr lesen
Für Premierminister Dominique de Villepin beginnt die «Woche aller Gefahren».
Paris - Während der jüngsten Studentenbesetzung der Pariser Sorbonne- Universität ist etwa ein Dutzend wertvoller religiöser Bücher verschwunden. mehr lesen 
Dominique de Villepin zeigt sich unnachgiebig.
Paris - Französische Gewerkschaften und Studentenverbände haben zu einem eintägigen Generalstreik am Dienstag kommender Woche aufgerufen. mehr lesen
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 22
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
«Hier hätte ich noch eine ...
In den USA ist bei einer Frau mit Harnwegsinfektion zum ersten mal ein Bakterium aufgetaucht, das gegen das letzte Reserve-Antibiotikum resistent ist. Wer Angst vor ISIS hat, sollte sich überlegen, ob er seinen Paranoia-Focus nicht neu einstellen will. Denn das hier ist jenseits aller im Alltag sonst verklickerten Gefahren anzusiedeln. mehr lesen 4
Durch ungeschickte Avancen von SBB- und Post-Chefs, droht die Service-Public-Initiative tatsächlich angenommen zu werden. Von bürgerlicher Seite her solle laut einem Geheimplan daher ein volksnaher Alternativvorschlag vor den Wahlen als Killer-Argument gegen die Initiative publik gemacht werden. Dass dieser noch nicht öffentlich ist, liegt mal wieder am Geld. mehr lesen  
Eine renommierte US-Kanzlei stellt einen neuen Anwalt Namens Ross ein. Die Aufgabe: Teil des Insolvenz-Teams zu sein und sich durch Millionen Seiten Unternehmensrecht kämpfen. Und nein, ROSS ist kein armes Schwein, sondern ein ... mehr lesen
Urversion von IBM's Supercomputer WATSON: Basis für 'ROSS'... und unsere zukünftigen Regierungen?
Sicherheitskontrolle in US-Airport: 95% Versagen, 100% nervig.
In letzter Zeit wurden aus Terrorangst zwei Flüge in den USA aufgehalten. Dies, weil Passagiere sich vor Mitreisenden wegen deren 'verdächtigen' Verhaltens bedroht fühlten. Die Bedrohungen: Differentialgleichungen und ein ... mehr lesen  
Typisch Schweiz Der Bernina Express Natürlich gibt es schnellere Bahnverbindungen in den Süden, aber wohl ...
Highlight der Kollektion: Eine Gibson Les Paul von 1959, die 300.000 bis 500.000 Pfund einbringen soll.
Shopping Mark Knopfler verkauft seine Gitarrensammlung Die Gitarrensammlung vom Dire Straits-Gitarristen Mark Knopfler wird am 31.01.2024 bei Christie's versteigert.
Erstaunliche Pfingstrose.
Jürg Zentner gegen den Rest der Welt.
Jürg Zentner
Frauenrechtlerin Ada Wright in London, 1910: Alles könnte anders sein, aber nichts ändert sich.
Regula Stämpfli seziert jeden Mittwoch das politische und gesell- schaftliche Geschehen.
Regula Stämpfli
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
Patrik Etschmayers exklusive Kolumne mit bissiger Note.
Patrik Etschmayers
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Peter Achten zu aktuellen Geschehnissen in China und Ostasien.
Peter Achten
Recep Tayyp Erdogan: Liefert Anstoss, Strafgesetzbücher zu entschlacken.
Skeptischer Blick auf organisierte und nicht organisierte Mythen.
Freidenker
 
Stellenmarkt.ch
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Fr Sa
Zürich 0°C 12°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt wolkig, aber kaum Regen
Basel 5°C 14°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen wolkig, aber kaum Regen
St. Gallen 1°C 9°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wechselnd bewölkt
Bern 0°C 11°C starker Schneeregenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich wolkig, aber kaum Regen
Luzern 1°C 12°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt wolkig, aber kaum Regen
Genf 5°C 13°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt wolkig, aber kaum Regen
Lugano 6°C 10°C wechselnd bewölkt, Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig anhaltender Regen anhaltender Regen
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten