Wenn der Bösewicht kein «Joker» ist
Zur Abwechslung hat Amerika mal ein anderes Gesprächsthema als Donald Trump und Cowboys, die eine Ranger-Hütte in einem Nationalpark besetzen. Es ist das Enfant Terrible Sean Penn, sein Treffen mit dem im letzten Jahr spektakulär geflüchteten Drogen-Baron Joaquin 'El Chapo' Guzman und dessen Verhaftung am letzten Freitag.
Penns Reportage im Original
Der ganze Bericht über den Besuch von Penn bei El Chapo.
rollingstone.com
Penn schaffte es tatsächlich, im letzten Oktober ein erstes Treffen vor einem Interview mit 'El Chapo' (unter extremsten Sicherheitsvorkehrungen von Seiten des Drogen-Kartells) und mithilfe der mexikanischen Schauspielerin Kate del Castillo hinzukriegen, die selbst durch die Darstellung von Drogenbaroninnen berühmt geworden ist.
Die abenteuerliche Geschichte bis zu diesem Treffen im Urwald und das darauf nur über Blackberry und Videos geführte Interview lässt sich online auf der Website von Rolling Stone nachlesen.
Etwas lässt sich mit Sicherheit sagen: An politischem Journalismus hat Penn sehr wenig geliefert. Er zitiert die Zahlen der Toten und kritisiert den gescheiterten und Sündteuren WoD der USA. Doch dies sind bekannte Fakten. Über El Chapo erfahren wir einfach, wie sich dieser selbst präsentierte. Eben nicht als geifernder Psychopath, nicht als ein in Blut watendes Monster. Stattdessen stellt der sich als Familienmensch dar, als nicht unliebenswerten Mann, der einfach das eine Geschäft betreibt, das sich ihm in der bitterarmen Provinz geboten hat und nur Gewalt anwende, wenn es sich nicht vermeiden lasse.
Und ja, er sei der grösste Lieferant aller möglichen Drogen, die mit Flotten von Flugzeugen, Lastwagen und U-Booten transportiert würden, aber er sei eben ein Geschäftsmann, der nur mache, was gemacht werden müsse.
Zudem habe der Drogen-Boss Dinge in die Provinz gebracht, für die eigentlich die Regierung zuständig wäre. Spitäler, Strassen, Schulen. fast ein Robin Hood also.
Doch der Haken ist der, dass die Regierung von Mexiko und die Drogenbekämpfer in den USA vielleicht versagt haben, doch das macht den Multimilliardär Guzman, der sich bitter darüber beklagt, mit seinem schmutzigen Geld nicht in den legitimen Energiesektor expandieren zu können, noch lange nicht zum geheimen Helden.
Wenn sich Penn als Journalist aufspielt, vermeidet er es (sich) daran zu erinnern, dass Journalisten in den Drogen-Provinzen gleich im Dutzend umgebracht werden und die Wahrheit jenseits jener, die 'El Chapo' für sich gebucht hat, von diesem nicht wirklich gefragt ist. Im Gegenteil.
Die Empörung vieler US-Politiker, die seit drei Jahrzehnten eine Drogenpolitik verfolgen, von der man seit mindestens zehn Jahren weiss, dass sie gescheitert ist, über Penns Reise riecht penetrant nach der Wut jener, die es hassen, wenn ihr Märchen von einem anderen Märchen herausgefordert wird. Die Wut vieler Journalisten hingegen ist absolut echt. Vor allem die jener mexikanischen Journalisten, die, von der Regierung im Stich gelassen, vor den Kartellen aus ihrer Heimat flüchten mussten, um nicht ihren Kollegen ins Grab folgen zu müssen.
Der Penn'sche Unterhaltungsjournalismus - sein Bericht liesst sich streckenweise wie ein Abenteuerroman - diente von dem her lediglich ihm selbst und El Chapo, der die Endversion auch noch vor der Veröffentlichung absegnen konnte. Beide sonnen sich im Licht der Berühmtheit beziehungsweise der Infamie des jeweils anderen.
Der Einwand, dass Penn eben darauf pocht, als 'neutraler' Beobachter aufzutreten, zählt nicht. Er weiss und wusste von den tausenden Toten auf dem Gewissen Guzmans, wusste von Hinrichtungsorgien, toten Jorunalisten, Drogenopfern und dem gigantischen Profit, der mit den Drogen erzielt wird. Und er sollte wissen, dass Guzmans Erklärung, warum der das mache (sonst macht es jemand anderes), direkt aus dem Lehrbuch von Kriegsverbrechern und Folterknechten stammt. Ebenso sollte es Penn klar sein, dass sein 'journalistisches Privileg' Guzman zu treffen, vor allem auf der Eitelkeit des Drogenbosses geschuldet war, der über seine Anwälte ja auch schon über Filmrechte für seine Story am verhandeln war.
Das ständige Verweisen auf den «Familienmenschen» Guzman, das wiederholte Fragen nach seiner Mutter, nach seinem Verhältnis zu seinen Kindern. das alles ist absolut irrelevant im Kontext des Drogenkrieges. Doch es erinnert fatal an den heutigen Umgang mit geschichtlichen Gestalten, wie zum Beispiel Nazigrössen, deren Privatleben und Persönlichkeit zum Anlass genommen wird, (wie im letzten Weltwoche-Editorial von Roger Köppel über Hitlers langjährige Nummer 2 Herman Göring, übrigens basierend auf einer 40 Jahre alten, geschichts-wissenschaftlich völlig überholten Biographie), deren Abscheulichkeiten zu relativieren oder als bedauerliches Ereignis, dass diesen Personen einfach passierte, darzustellen und nicht als opportunistische, rücksichtslose Bereicherung ihrer selbst, für dass sie Krieg, Völkermord und Konzentrationslager nicht nur in Kauf nahmen sondern bewusst vorantrieben.
Penn fiel wohl der kognitiven Dissonanz zum Opfer, an der alle Leiden, die einem von Regierungen, Medien und kulturellen Stereotypen hinauf gehypten «Überbösewicht» begegnen und der dann eben nicht wie ein «Joker» in Batman oder «Immortan Joe» in Mad Max aussieht. Sondern eher wie der italienische Bäcker, bei dem man vor Weihnachten den Panettone holt.
Doch eben. Wenn man manchen Biographen und Pseudo-Historikern glauben schenkt, waren ja auch Himmler, Heydrich und Göring ganz reizende Menschen. Von Stalin ganz zu schweigen. Warum denn nicht auch El Chapo? Von dem her hat Penn einfach dem Zeitgeist einen Dienst geleistet. Ein Jammer, das Guzman nun verhaftet worden ist, sonst hätte er auch noch Penns Facebook-Freund werden können. Jammerschade um die tiefschürfenden Einsichten, die uns da entgangen sind.
(Patrik Etschmayer/news.ch)
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