Wie Pisa keine Bildung misst

Wissenszombie-Produzent Pisa

publiziert: Mittwoch, 4. Dez 2013 / 14:32 Uhr / aktualisiert: Mittwoch, 4. Dez 2013 / 15:19 Uhr
Dank der SAT-Scores seit langem normaler Anblick in den USA, dank Pisa auch bald in Europa: Wissenszombie.
Dank der SAT-Scores seit langem normaler Anblick in den USA, dank Pisa auch bald in Europa: Wissenszombie.

Seit dem Jahr 2000 wird weltweit die Bildung vermessen. Gemäss US-Amerikanischem Vorbild, welches schon seit Jahrzehnten mit den SAT-Tests die Fabrikation von Wissen statt Bildung fördert, hat auch Brüssel beschlossen, via Paris und OECD europäische und globale Standards zu erheben.

3 Meldungen im Zusammenhang
Weiterführende Links zur Meldung:

Lernen in China
Interview mit der Sinologien Andrea Riemenschnitter
tagi.ch

Die Wettbewerbsfähigkeit verlangt nach vergleichbaren Daten, da darf selbstverständlich auch die Bildung nicht ausgeschlossen werden. Dass damit lediglich Handelsstempel ausgetauscht werden, ist keinem eine müde Zeile wert.

  Pisa wird wie alle grasssierenden Ratings unkritisch wiedergegeben. Man freut sich über das gute mathematische Ergebnis der Schweiz und lacht über Deutschland mit Schadenfreude. Egal ob der grosse Kanton im Norden zu den stärksten Volkswirtschaften weltweit gehört, egal ob Deutschland mit seinem noch funktionierenden dualen Bildungssystem ganz Europa aus dem Schuldentief holt: In der Pisa-Studie reicht es dem Erfolgsmodell Deutschland im besten Falle ins Mittelfeld. Dafür ist Japan Spitze - eine Volkswirtschaft, die seit Jahrzehnten stagniert, an Überalterung und verkrusteten Hierarchien krankt und erschreckend hohe Selbstmordraten hervorbringt. Ein Schelm könnte nun Deutschland gratulieren und hoffen, dass es in der Pisa-Manie nie an erste Stelle schafft.

Das ist das Problem an Ratings. Da wird etwas vermessen, ohne in einen Kontext gesetzt zu werden. Mit Absicht selbstverständlich. Denn ob das, was Pisa misst, für den persönlichen Erfolg relevant ist, oder gar für einen nationalen, bleibt völlig im Dunkeln. Gerade in der Mathematik ist belegt, dass Pisa-Rechnen überhaupt nichts über den Qualitätsstandard von Mathe aussagen. Wolfram Meyerhöfer, Paderborner Mathematikdidaktiker weist sein Jahren nach, dass Pisa-Fragen einem «Mathematismus» frönen, der wie die Fragen in Trivial Pursuit nur noch Testbares testen und dieses dann auch noch zur Bildung erklären.

Pisa ist nichts anderes als ein Warentest für Kinder. Wetten, dass in fünf Jahren die Kapitalkörper Kinder noch mit anderen Methoden vermessen werden?

Damit geht das Wichtigste der Menschen, nämlich die Autonomie, die Freiheit und die Neugierde verloren. Denken passiert nicht mehr in Zusammenhängen, sondern mutiert zum Fitnesstraining.

Wie meint Adorno in seinen 'Minima Moralia'? «Die jeweils dem fortgeschrittensten technischen Entwicklungsstand angemessenen Verhaltensweisen beschränken sich nicht auf die Sektoren, in denen sie eigentlich gefordert sind. So unterwirft Denken sich der gesellschaftlichen Leistungskontrolle nicht dort bloss, wo sie ihm beruflich aufgezwungen wird, sondern gleicht seine ganze Komplexion ihr an.»

Intelligenz, welche sich u.a. durch die eines eigenen Urteils aufgrund von Fakten und Argumenten äusserst, wird in den Pisa-Fabriken eingesperrt, misshandelt und letztlich zur Hinrichtung freigegeben. In einem schönen Interview auf Tagi-Online benennt die Sinologin Andrea Riemenschnitter, weshalb gerade in China Kinder wie Roboter nur noch aufs Auswendiglernen trainiert werden. Sie sagt: «Es wäre nicht gut, wenn der Westen nun auch seine Kinder in ähnliche Wissensfabriken stecken würde. Denn die freien Denkräume, die wir über die letzten Jahrhunderte geschaffen haben, gehen dabei verloren. Es ist hauptsächlich ein reproduktives Wissen, das in China durch Auswendiglernen gefördert wird»

Tja. Zu Pisa gäbe es viel kritisches zu sagen und nicht nur am Beispiel Chinas. Doch in der Schweiz nimmt der Vermessungswahn an Tempo zu. Wer Bildung verwertet, verwaltet, misst und in eine Rangliste setzt, produziert nur noch marktgerechte Menschen für Gegenwart und Zukunft. Und glauben Sie mir: Denen wollen Sie, solange Sie können, schleunigst aus dem Weg gehen. Zumindest, wenn Sie sich selbst nicht schon zu den lebenden Hirntoten, diesen Wissenszombies zählen.

(Regula Stämpfli/news.ch)

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Wo sie Recht hat,
hat sie Recht.
"Das ist das Problem an Ratings. Da wird etwas vermessen, ohne in einen Kontext gesetzt zu werden"

Stimmt genau. Allerdings ist es eine Kunst für sich, diesen Kontext auch sinnvoll zu definieren.
Dass ein Land angeblich mit Hilfe der dualen Bildung einen ganzen Kontinent aus dem Elend holt, ist ebenso wenig ein sinnvoller Kontext, wie die Selbstmordrate Japans. So könnte man auch, mit entsprechender ideologischer Ausrichtung, die Zahl installierter Fotovoltaik-Module noch in einen konstruierten Zusammenhang dazu setzen.
Noch dazu ist die Analyse, dass Deutschland den Kontinent aus dem Schuldentief hole, grundfalsch. In Wirklichkeit stösst sich die Deutsche Industrie mit durch Deutsche Ersparnisse finanzierter ausländischen Kaufkraft gesund. Kurzfristig ein genialer Schachzug der teuflischen Rechner in den Finanzinstituten, sachlich besehen ein Diebstahl am eigenen Volk und mittelfristig die beste Garantie für die Verarmung.

Dem Geist des Artikels kann ich jedoch zustimmen. Ich hielt jede Form von IQ-Test schon immer für einen Blödsinn; Intelligenz lässt sich nicht abfragen und Wissen hat mit Intelligenz nur am Rande zu tun. Doch woher kommt dieser Wahn, das Leben möglichst umfänglich in Zahlen zu fassen?
Aber nicht etwa von übertriebener Wissenschaftsgläubigkeit?
Ich muss in jüngster Zeit ständig gegen die Wissenschaft Stellung nehmen, was mir persönlich eigentlich widerfährt. Das Problem dahinter ist die Forderung einer konspirativen Vereinigung, die festgestellt hat, dass eine vollständige Obrigkeitshörigkeit nur durch eine ebenso vollständige Wissenschaftsgläubigkeit erreicht werden kann. Sie erachten es deshalb als Notwendigkeit, jeden Aspekt des Lebens, der eine politische Relevanz haben könnte, in eine "wissenschaftliche Form" zu verpacken - denn der kann man ja (darf man) nicht widersprechen; die Wissenschaft hat immer Recht.
Dabei ist die Skepsis eine Grundlage wissenschaftlichen Fortschritts. Wer glaubt, das Wissen gepachtet oder es in Form einer lapidaren Studie erlangt zu haben, hat sich von der wahren Wissenschaft schon entfernt.
Denn das gepachtete Wissen, das kennen wir doch in historischer Betrachtung schon .... längst! Oder?
Wir belächeln heute die Menschen des Mittelalters, weil die glaubten, die Erde sei eine flache Scheibe und keine anderen Ansichten gelten liessen.
Doch in Wirklichkeit glaubte kein Gelehrter des Mittelalters, der wirklich eine Ahnung hatte, dass die Erde eine Scheibe wäre.
Das hingegen zu beweisen versuchen, wird heute die selben reflexartigen Lacher und Spott verursachen, wie Galileos Kugel und Newtons Schwerkraft.
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