Zahlen gegen Inhalt

publiziert: Mittwoch, 9. Jan 2013 / 10:06 Uhr / aktualisiert: Sonntag, 11. Aug 2013 / 17:32 Uhr
Leben Zeitungen? Haben sie Kinder? Wer kommt zur Beerdigung, wenn sie sterben?
Leben Zeitungen? Haben sie Kinder? Wer kommt zur Beerdigung, wenn sie sterben?

«Lesen Sie gar das Gratisblatt?» Mit dieser Frage leitete Eva Wannenmacher am 12.12.12 den Kulturplatz-Beitrag zum Zeitungssterben im «Kulturplatz» ein. An der Dreikönigstagung der Verleger drehte sich auch alles um das Leben und Sterben der gedruckten Information.

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Die Referate an der Dreikönigstagung waren spannend, der Beitrag im Kulturplatz nicht. Denn das Schweizer Fernsehen glänzte einmal mehr in einer völlig klischierten BILD-Kultur und meinte, mit etwas in Bilitis getauchtem Licht, das Zeitungssterben genügend erklären zu können. Wie peinlich ist denn das? Und dies in einem Kulturplatz! Tausend kreative Möglichkeiten hätte es gegeben, um am Wandel der Zeitungen Kultur und Politik zu diskutieren, doch das?

Allein der Begriff «Zeitungssterben» böte genügend Material, um eine ganze Kultursendung zu füllen. Können Zeitungen wirklich sterben? Wenn ja, wie lebt denn eine Zeitung? Pflanzt sich die Zeitung so auch fort? Mit vielen kleinen Nachwuchsmagazinen? Und kommen die an die Beerdigung, wenn sie stirbt?

Wann fing das überhaupt an, dass Dinge, Waren und Produkte leben, sterben und, wie im Fall von Barbie, sogar Geburtstage feiern? Dinge sterben nicht, ihre Produktion wird einfach eingestellt. Man kann Dinge auch immer wieder reproduzieren. Dies im Unterschied zu Menschen, die tatsächlich sterben können und nicht wieder herstellbar sind. Und hey: Weshalb reden wir vom Zeitungssterben und nicht vom Minnelieder- oder Märchensterben im Mittelalter oder vom Tempelsterben bei den alten Griechen? Gäbe dies nicht viele schöne Beiträge für eine Kultursendung?

Die prosaischen Verleger waren gestern weit kultureller, philosophischer und politischer. Die Brandrede von Hanspeter Lebrument gegen die SRF-Monopolisierung thematisierte zwar Brisantes, doch die meisten Anwesenden kümmerte dies nicht wirklich. Es scheint, als hätten sich die meisten Verleger gut mit dem SRF arrangiert. Dabei war der Einwand von Lebrument, dass die Privatmedien bei SRF nie zu Wort kommen, doch bedenkenswert. Ebenso spannend war sein Votum, dass die Nähe der Politiker zum SRF diese so mainstreamförmig macht, dass jene eher fürs Fernsehen statt fürs Volk politisieren. Die Rede war gut und bedenkenswert, doch die Reaktionen blieben unterkühlt. Man merkt schon: Auch das Medienklima ist derart, dass man lieber von den Grossen kuscht als die Sache, nämlich sauberen Qualitätsjournalismus und Trennung von öffentlich-privat, pusht.

Ähnlich ging es dann beim Thema Zeitungssterben weiter. Der Tod von Zeitungen ist Chefsache der Grosskonzerne. Während die Kleinen alles dran setzen, mit ihrem Unternehmen die Vielfalt und die Demokratie zu stützen, kümmern sich grosse Medienkonzerne keinen Deut um die Funktion von Zeitungen und Medien allgemein in einer Demokratie. Es zählt nur das Zählbare. Genau diese Strategie der ganz Grossen fordert Opfer bei den Kleinen. Deshalb setzt Tamedia nun künftig auf Spiele statt Journalismus. Hörte man dem sympathischen Unternehmensleiter der Tamedia, Christoph Tonini, zu, vergass man, dass hinter den Worten des ehemaligen Druckers das Flagschiff TagesAnzeiger nur noch als lästiges Überbleibsel längst vergangener Zeiten gehandelt wird.

Tamedia ist ein Konzern, kein journalistischer Medienbetrieb. Dies wurde gestern einmal mehr klar. Die 20 Minuten von Christoph Tonini waren ausschliesslich mit Zahlen und Nullen gefüllt. Von journalistischen Inhalten, Engagement und Visionen fehlte jede Spur. Es waren 20 Minuten betriebsökonomischen News-Speaks.

Wie völlig anders klang und sah dasselbe Thema dann bei Tobias Trevisan, dem Geschäftsführer der FAZ aus! Grösser hätte der Unterschied nicht sein können. Da stand ein Mann vor dem Publikum, der tatsächlich von Qualitätsjournalismus, Demokratieverpflichtung und langfristiger Strategie statt kurzfristigem Gewinn redete. Er erinnerte alle Anwesenden daran, was es heisst, bedeutet und wie viel Spass es machen kann, Zeitung zu machen!

Die FAZ ist nicht in erster Linie Cash-Cow, sondern eine Institution, die sich auch in 10 Jahren als Flaggschiff für qualitativ hohen Journalismus bewähren wird. Gäbe es mehr solch engagierte Medienmanager, sähe nicht nur der Zeitungsmarkt, sondern auch der Finanzplatz anders aus - doch das ist ein anderes Thema.

Spannend war auch Prof. Dr. Lutz Jäncke, der als Neurologe spannende Einsichten in Täuschung, Wahrheit und Einzigartigkeit der Urteilskraft lieferte.
Doch auch er blieb stumm bei der weiterführenden philosophisch-politischen Frage, was Menschen denn während dem digitalen Zeitungslesen passiert, wenn sie nur noch ihre Augen und nicht mehr ihre Hände und Nase durch das Zeitungspapier stimulieren lassen? Können wir vielleicht nichts mehr begreifen, weil wir keine Zeitung mehr greifen? In einer Untersuchung zeigte sich, dass Menschen sich ganz einfach Dinge merken, wenn sie die Informationen gedruckt memorieren müssen. Bildschirm-Informationen verflüchtigen sich viel eher. Je mehr Sinne der Mensch einsetzt, umso eher bleiben die Erinnerungen. Das Auge allein reicht eben nie aus. Das wissen wohl die Pornokonsumenten besser als alle Anderen. Entleiblichung ist das entscheidende Thema der Gegenwart - nicht nur der Zeitungen, sondern auch für die Menschen.

Kurz: Die Zeitungen wie die Transformation der Information böten wie kein anderes «Produkt» Anlass für weiterführende Debatten, was mit uns Menschen, was mit einer entkörperlichten Information, was mit der Demokratie gegenwärtig und in Zukunft passiert. Tamedia hat dieses Thema mit Zahlen beerdigt, die FAZ wird dranbleiben.

Doch wenn schon dem «Kulturplatz» zum Zeitungssterben nichts anderes einfällt als zwei Kurzstatements mit Medienmachern, dann realisiere ich: Tamedia ist nicht einfach Tamedistan, sondern Tamedia ist typisch Schweiz. Da haben die Zahlen schon immer die Kultur besiegt... und angesichts der Kleinheit des Landes ist das, selbst wenn es schmerzt, nicht mal immer das Schlechteste, oder?

(Regula Stämpfli/news.ch)

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