Zwei Dalai Lamas?

publiziert: Montag, 13. Apr 2015 / 08:01 Uhr / aktualisiert: Montag, 13. Apr 2015 / 19:51 Uhr
Dalai Lama: Marxist und dereinst weiblich reinkarniert? Tenzin Gyatso erstaunt mit seinen Aussagen.
Dalai Lama: Marxist und dereinst weiblich reinkarniert? Tenzin Gyatso erstaunt mit seinen Aussagen.

Der 15. Dalai Lama könnte sogar eine Frau sein. So raunte humorvoll sibyllinisch Tenzin Gyatso, der weltweit verehrte 14. Dalai Lama. Die überraschende, wenn auch von Lachen begleitete Äusserung hat einen ernsthaften Hintergrund. Exil-Tibeter und Peking streiten in der Reinkarnations-Frage um Deutungshoheit.

6 Meldungen im Zusammenhang
SHOPPINGShopping
Dalai LamaDalai Lama
Wird es überhaupt einen 15. Dalai Lama geben? Der heute 79 Jahre alte Tenzin Gyatso, die 14. Reinkarnation in der fast 500 Jahre alten Geschichte der Institution, lässt die Frage offen. Chinas Regierung allerdings widerspricht. Die religiöse Reinkarnations-Frage wurde Mitte März einmal mehr aktuell bei den Beratungen des Nationalen Volkskongresses. Padma Choling, der Vorsitzende des Tibetischen Regionalkongresses, äusserte sich in der Grossen Halle des Volkes in Peking dabei, nicht zum ersten Mal, zur Wiedergeburt des Dalai Lama: «Ob er die Reinkarnation beenden will oder nicht, liegt nicht in seiner Hand». In einem Interview mit der «New York Times» wurde Padma Choling noch deutlicher: «Die Entscheidungsgewalt über die Reinkarnation des Dalai Lama und über das Ende oder das Überleben seiner Erbfolge liegt bei der Zentralregierung Chinas».

Strenge religiöse Regeln

Der Chef der tibetischen Exilregierung im indischen Dharamshala, der in Harvard ausgebildete Lobsang Sangay, sagte, jeder Anspruch Pekings, den Dalai-Lama-Nachfolger zu bestätigen, sei absurd. Er fügte ohne Blick auf die tibetische Geschichte das wahrlich schräge Argument hinzu: «Das ist so, als ob Fidel Castro sagte, 'ich suche den nächsten Papst aus, und alle Katholiken müssen dem folgen'» . Der Tibeter Padma fasste in Peking den Standpunkt Chinas schliesslich so zusammen: Der Dalai Lama betreibe mit seinen Worten zur Reinkarnation «Blasphemie gegen den tibetischen Buddhismus» und «provoziert eine Spaltung». Die Wiedergeburt, so der Tibeter, erfolge traditionell nach strengen religiösen Regeln.

Wenn die Äusserungen Padma Cholings sicher auch politisch motiviert sind, hat er historisch gesehen mit den religiösen Regeln nicht ganz unrecht. Seit die neueste Richtung des tibetischen Buddhismus, die Gelugpa-Schule - oder Gelb-Hüte - im westlichen Teil Tibets mit Zentrum Lhasa bestimmend ist, und seit die Reinkarnation der Dalai Lamas im 16. Jahrhundert ihren Anfang nahm, gelten strikte Regeln. Danach lag es an den hohen Lamas der Gelugpa-Tradition und der Tibetischen Regierung, den wiedergeborenen Dalai Lama zu erkennen und zu finden. Die Suche beschränkt sich nach der Tradition ausschliesslich auf Tibet. Ist das Kind einmal gefunden, muss es unzählige Tests bestehen. Dann mussten die hohen Lamas zusammen mit den lebenden Buddhas der drei grossen Klöster sowie den mitregierenden tibetischen Adligen das Ergebnis bestätigen und seit Ende des 17. Jahrhunderts der Zentralregierung mitteilen.

Mitsprache der Qing-Kaiser

Die Kaiser der Qing-Dynastie (1644 - 1911) hatten bei der Ernennung des Dalai Lamas immer ein gewichtiges Wort mitzureden. Auch nach der Zeit der Kaiser behielt sich die chinesische Zentralregierung ein entscheidendes Mitsprachrecht vor. Das war so in der Republik unter Kuomintang-Generalissimo Chiang Kai-shek als auch nach der Gründung der Volksrepublik unter den Kommunisten. Mit andern Worten: Der ganze Reinkarnations-Prozess war und ist äussert komplex und kann Jahre dauern. Dass das Thema Reinkarnation politisch sowohl von Peking als auch vom Dalai Lama und den Exil-Tibetern im indischen Dharamshala instrumentalisiert wird, versteht sich unter den gegebenen schwierigen Umständen schon fast von selbst.

Schon 1969 sagte der Dalai Lama, es liege an den Tibetern selbst zu entscheiden, ob die Institution des Dalai Lama weitergeführt werde oder nicht. Mitte der 1970er-Jahre meinte er in einem Interview: «Die Institution des Dalai Lama wurde einst geschaffen, um andern zu helfen. Es ist möglich, dass die Nützlichkeit der Institution sich überlebt hat». Vor zehn Jahren nahm er das Thema erneut auf und sagte: «Wenn das tibetische Volk überzeugt ist, dass die Institution irrelevant ist, dann wird es nach mir keinen 15. Dalai Lama geben». Ist der Dalai Lama plötzlich Demokrat geworden? Bis zur Flucht von 100'000 Tibetern 1959 während der grossen Hungersnot und Unterdrückung in ganz China war Tibet eine Theokratie. Menschenrechte galten nichts.

Panchen Lama

Politisch noch brisanter war dann die Äusserung, dass er - wenn überhaupt - weder in einem von der Volksrepublik China kontrollierten Land noch in irgendeinem andern unfreien Region wiedergeboren werde. Dass die Reinkarnation nach den strengen Regeln der Tradition nur in Tibet gefunden werden kann, überging der Dalai Lama. Im politischen Nahkampf sind solche Einwände kontraproduktiv. Mit diesem Diktum jedoch skizziert «seine Heiligkeit» die wenig wünschbare Möglichkeit von zwei Dalai Lamas - einer in China, einer im Ausland. Vor zwanzig Jahren gab es schon einmal einen ähnlichen Vorfall. Der Dalai Lama hatte aus dem Exil für die zweite Position im tibetischen Buddhismus, dem Panchen Lama, einen Knaben für diese Rolle bestimmt. Peking suchte und bestätigte einen eigenen Panchen Lama. Der ist, entgegen dem Urteil der Buddhisten im Ausland, nicht nur ein Kopfnicker, vielmehr setzt er sich ab und an mit kritischen Worten für das Wohl der Tibeter und Tibeterinnen ein. Ob der Dalai Lama überhaupt das Vorrecht für die Ernennung eines Panchen Lama hat, ist historisch äusserst fragwürdig.

2011 griff der Dalai Lama noch einmal, wie immer überraschend, das Thema Wiedergeburt auf: «Wenn ich etwa neunzig Jahre alt bin, werde ich die hohen Lamas der tibetischen buddhistischen Tradition, das tibetische Volk und andere Buddhisten konsultieren und nochmals überprüfen, ob die Institution des Dalai Lama fortgeführt werden soll oder nicht. Auf dieser Grundlage werden wir eine Entscheidung treffen». In einem Interview mit der «Welt am Sonntag» meinte der Dalai Lama dann vor einem Jahr: «Wir hatten einen Dalai Lama seit fast fünfhundert Jahren. Der 14. Dalai Lama ist jetzt sehr populär. Lasst uns das Ganze mit einem 14., populären Dalai Lama beenden».

«Weiblich und sehr attraktiv»

Der Dalai Lama, charismatisch, weltoffen und voller Humor, brachte in den letzten Jahren auch andere, eher ungewohnte Themen zur Sprache. So könne er sich durchaus vorstellen, dass die nächste Wiedergeburt auch eine Frau sein könnte. «Ich sagte halb scherzend», meinte der Dalai Lama vor fünf Jahren mit seinem überbordenden Lachen, «dass die Reinkarnation, wenn sie denn weiblich ist, sehr attraktiv sein muss, weil sie so mehr Einfluss auf andere hat. Wenn sie hässlich ist, wird sie nicht sehr effektiv sein. Oder?».

«Ich bin Marxist»

Zum Schrecken vieler westlicher Bewunderer kritisiert der Dalai immer wieder den Kapitalismus und nennt sich selbst einen überzeugten Marxisten. Der Marxismus habe «moralische Ethik», während der Kapitalismus nur darauf aus sei, «Profit zu machen». «Ich denke, ich bin linker als die chinesische Führung», sagt er mit seinem breiten, lauten Lachen, «die sind nämlich Kapitalisten». In jungen Jahren wollte er nach eigener Aussage sogar einmal Parteimitglied werden. Immerhin sass er in den 1950er Jahren zusammen mit dem Panchen Lama - der nach Tradition die Reinkarnation des Dalai Lama bestätigen muss - im Nationalen Volkskongress und wurde dort sogar zum Stellvertretenden Vorsitzenden des Ständigen Ausschusses ernannt. In der Reinkarnations-Frage jedenfalls gibt sich der Dalai Lama ganz nach marxistischem Denkansatz durchaus dialektisch....

Wie die tibetischen Buddhisten und die Buddhisten weltweit einst beim Tod des 14. und der Reinkarnation von vielleicht zwei 15. Dalai Lamas reagieren werden, ist schwer zu sagen. Sowohl Peking als auch das tibetische Exil in Dharamshala instrumentalisieren die Reinkarnations-Frage für ihre politischen Zwecke. Der Dalai Lama hält mittlerweile bei zunehmender Opposition von jungen Exil-Tibetern am «Mittleren Weg» fest, das heisst an einem autonomen Tibet innerhalb Chinas. In der Tat: seit über dreihundert Jahren ist Tibet Teil Chinas. Das letzte tibetische Grossreich zerfiel schon vor über tausend Jahren. Auch nach 1911, dem Zusammenbruch der letzten Kaiser-Dynastie der mandschurischen Qing, war Tibet nie ein völkerrechtlich anerkannter unabhängiger Staat.

Tibeter entscheiden Zukunft

Die Zukunft des tibetischen Buddhismus wird weder von Kommunisten in Peking, noch von Dalai-Lama-Sykophanten, «seine Heiligkeit» murmelnden westlichen Buddhisten und schon gar nicht den Exil-Tibetern entschieden werden. Wie der Dalai Lama lehrt, sind vielmehr Tibeterinnen und Tibeter auf dem Dach der Welt die Schiedsrichter. In der diffizilen und komplexen Tibet-Frage hilfreich jedenfalls bleiben immer zwei Ratschläge: Nicht alles, was die chinesische Regierung sagt, ist falsch, und nicht alles, was die Exil-Tibeter in Dharamshala und anderswo sagen, ist richtig. Und umgekehrt.

(Peter Achten / Peking/news.ch)

Kommentieren Sie jetzt diese news.ch - Meldung.
Lesen Sie hier mehr zum Thema
Rikon - Dieses Jahr feiert seine ... mehr lesen
Die Mönche des Tibetinstituts Rikon führen eine Zeremonie und Räucherung durch.
Dalai Lama - Buddhistische Unterweisungen in der Jakobshalle
Basel - Der Samstag in der St. Jakobshalle war ganz der Vertiefung in die buddhistischen Lehren gewidmet. Die Unterweisungen, die der Dalai Lama direkt nach der Pressekonferenz hielt, wurden aus ... mehr lesen
Heute findet in Basel eine Demonstration gegen den Dalai Lama statt. Über 400 Demonstranten, die der ... mehr lesen
Demonstranten der Gruppe International Shugden Community
Viele Mönche aus verschiedenen Gegenden der Schweiz begrüssen den Dalai Lama bei seiner Ankunft.
Basel - Sehnsüchtig erwartet wurde ... mehr lesen
Weitere Artikel im Zusammenhang
Dalai Lama wird die Einreise nach Südafrika verweigert.
Kapstadt - Aus Protest gegen ein Einreiseverbot für den Dalai Lama in Südafrika haben Friedensnobelpreisträger aus aller Welt ihr dort geplantes Gipfeltreffen abgesagt. Für die ... mehr lesen

Dalai Lama

Diverse Produkte rund um den Dalai Lama und Tibet
DVD - Religion
DALAI LAMA - RENAISSANCE - SPIRIT MOVIE EDITION - DVD - Religion
Regisseur: Khashyar Darvich - Genre/Thema: Religion - Dalai Lama - Ren ...
27.-
DVD - Religion
DALAI LAMA - RENAISSANCE - DVD - Religion
Regisseur: Khashyar Darvich - Genre/Thema: Religion - Dalai Lama - Ren ...
22.-
Nach weiteren Produkten zu "Dalai Lama" suchen
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 22
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der ...
Mit seinem Besuch in Vietnam hat US-Präsident Obama seine seit acht Jahren verfolgte Asienpolitik abgerundet. Die einstigen Todfeinde USA und Vietnam sind, wenn auch noch nicht Freunde, so doch nun Partner. China verfolgt die Entwicklung mit Misstrauen. mehr lesen 
Zum 50. Mal jährt sich im Mai der Beginn der chinesischen «Grossen Proletarischen Kulturrevolution». Das Chaos dauerte zehn Jahre. Mit tragischen Folgen. mehr lesen  
Mao-Büsten aus der Zeit der Kulturrevolution: «Sonne des Ostens» und Halbgott.
Kein Psychopath, sondern ein der Realität verpflichteter Diktator: Kim Jong-un.
Kim Jong-un ist ein Meister der Propaganda und (Selbst)Inszenierung. Nach vier Jahren an der Macht liess er sich nun am VII. Kongress der Koreanischen Arbeiterpartei zum Vorsitzenden krönen. mehr lesen  
Pekinger Pfannkuchen oder Crêpes Pékinoises sind nur schwache Umschreibungen für das ultimative Pekinger Frühstück Jianbing. Wörtlich übersetzt heisst Jianbing ganz banal gebratener Pfannkuchen. Aber oho, Jianbing schmeckt ... mehr lesen
Das Ehepaar Wang in Aktion.
Typisch Schweiz Der Bernina Express Natürlich gibt es schnellere Bahnverbindungen in den Süden, aber wohl ...
Highlight der Kollektion: Eine Gibson Les Paul von 1959, die 300.000 bis 500.000 Pfund einbringen soll.
Shopping Mark Knopfler verkauft seine Gitarrensammlung Die Gitarrensammlung vom Dire Straits-Gitarristen Mark Knopfler wird am 31.01.2024 bei Christie's versteigert.
Erstaunliche Pfingstrose.
Jürg Zentner gegen den Rest der Welt.
Jürg Zentner
Frauenrechtlerin Ada Wright in London, 1910: Alles könnte anders sein, aber nichts ändert sich.
Regula Stämpfli seziert jeden Mittwoch das politische und gesell- schaftliche Geschehen.
Regula Stämpfli
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
Patrik Etschmayers exklusive Kolumne mit bissiger Note.
Patrik Etschmayers
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Peter Achten zu aktuellen Geschehnissen in China und Ostasien.
Peter Achten
Recep Tayyp Erdogan: Liefert Anstoss, Strafgesetzbücher zu entschlacken.
Skeptischer Blick auf organisierte und nicht organisierte Mythen.
Freidenker
 
Stellenmarkt.ch
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Sa So
Zürich 1°C 7°C trüb und nassleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen trüb und nass
Basel 3°C 9°C wechselnd bewölkt, Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen wechselnd bewölkt, Regen
St. Gallen 1°C 5°C trüb und nassleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig starker Schneeregen immer wieder Schnee
Bern -1°C 7°C wechselnd bewölkt, Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen wechselnd bewölkt, Regen
Luzern 2°C 7°C trüb und nassleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen trüb und nass
Genf 0°C 12°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen wolkig, aber kaum Regen
Lugano 6°C 16°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig recht sonnig wolkig, aber kaum Regen
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten