Fragt man das australische Trio «The Necks» nach der Machart
ihrer skurrilen Musikgemälde, sprechen sie von «Klängen jenseits
der Erinnerung». Eine nicht nur schön sich anzuhörende, sondern
auch passende Umschreibung ihrer filigranen Melodielinien, die sich
in intensiver Kollektivarbeit zu komplexer Kunstmusik entwickeln.
Jenseits der Erinnerung im Sine von ungebunden und unbekannt ist
eigentlich alles, was an den Taktlos-Festivals geboten wird. Dieses
Mal von fünf Trios, drei Quartetten und einem Septett aus ganz
Europa, Nordamerika und Ozeanien. Dominierten letztes Jahr
elektronische Tüftelarbeiten, so sind heuer vermehrt konventionelle
Spielweisen auszumachen.
«Klaxon Geule» aus Kanada kramen in der musikalischen
Geschichtenkiste, montieren die gefundenen Erinnerungsfetzen -
Freejazz, Noise und elektronischen Ambient - aber zu einer Melange
von theatralischer Ausgelassenheit. Und dies mittels «normaler»
Instrumente (Gitarre, Bass und Schalgzeug). Noch traditioneller
gebärdet sich das «Monitor Trio» (NL/USA), dessen sphärische
Kammermusik als Hommage an Jazzmonument Sun Ra erklingt.
Ganz anders die französische Bassistin Joëlle Léandre (F), die
dem Festival einen besonderen - weiblichen? - Stempel aufdrückt. Im
«Collective Trio SJS» mit Pianistin Sylvie Courvoisier (CH) und
Drummerin Susie Ibarra (USA) pfelgt sie das Kollektiv im Sinne des
interaktiven Zusammenspiels von Komposition und Improvisation.
Im «Quartet Noir», wo Léandre auf die Schweizer Urs Leimgruber
(Sax) und Fritz Hauser (Drums) sowie die US-Pianistin Marilyn
Crispell trifft, entstehen aus den individuellen Erfahrungen mit
zeitgenössischer Musik Werke von höchster Komplexität. Zuweilen
fragil, dann wieder expressiv, versuchen die vier Topmusiker, ihre
schwarze Seite (musikalisch verstanden) zum Klingen zu bringen.
Weiblich dominiert ist auch das Projekt «Speechwater» (NL/CH/I).
Bassistin Cristin Wildbolz aus Bern und Vokalistin Hester Boverhuis
aus Amsterdam haben den italienischen Turntabel-Artisten Riccardo
Massari-Spiritini aufgeboten, um ihren lautmalerischen Miniaturen
melancholische Klangbögen zu unterlegen.
Der ursprünglichen Taktlos-Idee der Freien Improvisation am
nächsten kommen dieses Jahr aber die beiden Quartette «Supersilent»
(N) und «Four in One» (D/NL). Während die Norweger ihre mit
Trompete, Drums und Synthesizer erzeugten Improvisationen vom
Elektroniker Helge Sten alias Deathprod verfremden lassen, stellt
sich das deutsch-holländische Kollektiv zum spontanen Instant
Composing auf die Bühne.
Eine besondere Art freier Musik gestaltet schliesslich das
Septett «Die Regierung» (CH). Diese Formation setzt sich zusammen
aus «fünf körperlich und geistig unterschiedlichst und zwei normal
behinderten Männern», so die augenzwinkernde Selbstdefinition.
Landesweit bekannt geworden durch CD-, Theater- und Filmprojekte,
beschert «Die Regierung» dem diesjährigen Taktlos-Festival einen
speziellen Auftakt.
Das Festival - 1984 erstmals in Zürich ausgetragen - wird von
«Fabrikjazz» in der Roten Fabrik in Zürich und «à suivre Basel» in
der Kaserne Basel organisiert. Das identische Programm findet in
beiden Städten um jeweils einen Tag verschoben statt. Das Berner
Taktlos-Festival - die einstigen Partner von «Jazz Now Bern» haben
sich 1998 selbständig gemacht - steigt am 14./15. September in der
Dampfzentrale.
(sda)